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Ungleichheit

Ignoriert? Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen

Symbolbild zu Gewalt in LGBTIQ-Beziehungen: Junge Person mit Kapuze auf und einer Wunde an der Nase
Symbolbild: Auch in LGBTIQ-Beziehungen kommt es zu Gewalt
Viele Menschen erleben Gewalt in Beziehungen. Auch in LGBTQ-Beziehungen passiert das sehr häufig. Zahlen und Forschung dazu fehlen weitgehend. Sowie auch die öffentliche Debatte. Vorurteile verhindern, dass sich die Situation bessert. Michael und Magdalena erzählen von persönlichen Erfahrungen, um das Schweigen zu brechen.

Magdalena und ihre langjährige Partnerin gingen gemeinsam aus. Beide tranken etwas zu viel, begannen heftig zu streiten. Magdalena ging allein nachhause. Kurz darauf klingelte die Freundin. Magdalena ließ sie rein. Statt zur Versöhnung kam es zu Gewalt: Die Freundin sprang Magdalena an und begann sie zu treten. Magdalena wollte sie wegdrücken. Aber die Freundin war viel stärker und kräftiger, als sie sich gedacht hatte und als sie es gewohnt war. 

Sie schlug nicht zurück, denn sie wollte nicht die Person verletzen, die sie liebte. Der Angriff wurde trotzdem heftiger. Die Freundin schlug Magdalenas Kopf an die Wand und biss ihr in die Hand. Irgendwann konnte Magdalena sich losreißen und sich im Schlafzimmer einsperren. Von dort rief sie Freund:innen an. Erst die bekamen die Freundin aus der Wohnung.

Es ist ein Mythos und Vorurteil über häusliche Gewalt, dass sie nur von heterosexuellen Männern an den Frauen in deren Paarbeziehungen ausgeübt wird. 

LGBTIQ-Personen sind mindestens ebenso häufig von Partnergewalt betroffen. Das zeigen die wenigen vorhandenen Studien. Konkret für Österreich oder auch Deutschland gibt es kaum Daten dazu. Wie oft häusliche Gewalt hierzulande in LGBTIQ-Beziehungen vorkommt? Wir wissen es nicht. Auch in der Öffentlichkeit existiert das Thema nicht. Und damit wird es auch zum Tabu.

Warum geschwiegen wird

Vorurteile spielen eine große Rolle. Michael war selbst Opfer von Gewalt in seiner Beziehung. „Viele schwule Männer wollen sich nicht als Opfer deklarieren. Erstens, weil niemand gern Opfer ist. Aber auch, weil „Opfer-Sein“ nicht der gesellschaftlichen Vorstellung von Männlichkeit entspricht. Das macht es doppelt schwierig, sich als Mann in dieser Form der Gewaltbeziehung zu ‚outen‘“, sagt uns Michael.

Der klassische Täter in Bezug auf Gewalt ist ein Mann, das klassische Opfer ist eine Frau. So sieht es zumindest ein Großteil der Gesellschaft. “Wie ist ein Mann und was darf er? Die Genderstrukturen und die Vorstellungen, was ein Mann sein soll, bringen ein enormes Gewaltpotential mit sich. Ich habe mich sehr viel damit beschäftigt. Für mich ist das ein großer Ursprung des Problems“, sagt Michael im Gespräch. Diese Stereotype führen auch dazu, dass Gewalt sowohl in lesbischen als auch in schwulen Beziehungen oft nicht ernst genommen wird.

Mit seiner Geschichte will Michael eigentlich nicht ins Scheinwerferlicht. Aber er findet: das Thema muss sichtbarer werden. Deshalb hat er sich dazu entschlossen, seine Erfahrungen öffentlich zu teilen. Deshalb hat er auch einen Film zum Thema gedreht, der am 30. Juni im Schikaneder vorgestellt wurde: „I Will Break Your Face“

Die Abwärtsspirale der Diskriminierung

LGBTIQ-Personen werden im Alltag immer noch diskriminiert, angefeindet und stigmatisiert. In einer europaweiten Studie mit 140.000 Teilnehmer:innen geben deshalb sechs von zehn an, dass sie mit ihre:r Partner:in auf der Straße lieber nicht einmal Hand in Hand gehen. Viele berichten von Übergriffen, Mobbing und Nachteilen im Berufsleben.

Das erschwert es vielen, über die erlebte häusliche Gewalt zu sprechen. Einerseits, weil man sich dazu outen muss. Andererseits wollen manche nicht, dass die eigene Gruppe negativ auffällt. Man hat es ja schon schwer genug. Michael erklärt das so: „Grundsätzlich erfahren wir sehr viel Gewalt von außen. Damit leben wir täglich. Jetzt müsste man dann sagen: Unsere Beziehungen sind gewalttätig. Damit geben wir neue Munition nach außen, um uns irgendwie zu kritisieren, zu beschimpfen und runterzumachen.“ 

Nach Hilfe außerhalb der Community wird dann nicht gefragt. Aus Angst vor noch mehr Diskriminierung. Auch das ist kein unverständlicher Gedanke. Denn wer doch Hilfe sucht, macht dabei nicht selten erst recht wieder schlechte Erfahrungen. Beinahe jede fünfte LGBTIQ-Person gibt in einer Studie an: Zuletzt diskriminiert wurden sie, als sie sich an einen sozialen Dienst oder Gesundheitsdienst wenden mussten.

Mit der Polizei ist es auch so eine Sache. „Schwule Männer und die Polizei – das ist nicht gerade die beste Beziehung. Erst seit 1971 ist in Österreich Homosexualität nicht mehr strafbar. Das ist nicht so lange her“, sagt Michael. Das beeinflusst natürlich auch die Zahl der Anzeigen von häuslichen Gewalttaten in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. 

Auch Magdalena wollte ihre damalige Partnerin direkt nach dem Gewalt-Angriff nicht anzeigen. Sie entschied sich aber doch dafür. Nach einem Besuch beim Amtsarzt und der Anzeige musste sie vor Gericht aussagen. Ihre Geschichte öffentlich zu erzählen, fiel ihr extrem schwer.

Muster in Gewaltbeziehungen

Die grundlegenden Muster von Gewaltbeziehungen sind oft ähnlich. Unabhängig davon, ob die Gewalt in heterosexuellen oder in queeren Beziehungen passiert. Gewalt beginnt meist nicht mit körperlichen Angriffen. Emotionaler Missbrauch geht oft voraus.

Während Michael am Anfang der Beziehung von seinem Partner mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet wurde, wollte der ihn nach und nach von seinem sozialen Umfeld isolieren. Dann kamen körperlicher und sexueller Missbrauch dazu. Zwischendurch gab es aber auch immer wieder schöne Momente. Mit Liebeserklärungen. “Die Grenzen verschwammen und es war nicht immer klar, was real war und was nicht“, erzählt Michael.

Die Zeit nach der Trennung und die Aufarbeitung der Erlebnisse waren für Michael die größte Belastung. Durch Therapie konnte er rückwirkend Muster erkennen und auch seine Rolle in der Beziehung aufarbeiten. 

“Der Mann, der mir sagte, dass er mich liebt, wollte mir im nächsten Moment mein Gesicht brechen. Danach zweifelte ich an meinen Gefühlen und konnte mir selbst nicht mehr trauen. Warum hab ich das zugelassen? Warum ist mir das passiert?”

Sichtbarmachen und Investition in Prävention 

Das Thema Gewalt in LGBTQ-Beziehungen braucht Öffentlichkeit. Betroffene, die mutig ihre Erfahrungen teilen und anzeigen, tragen einen wichtigen Teil dazu bei. Sie und ein unterstützendes Umfeld können aber nicht alleine stemmen, was die Politik versäumt. Dabei muss vor allem Geld in Prävention investiert werden. Manches Bedürfnis ähnelt oder gleicht denen von heterosexuellen Gewaltbeziehungen, aber Gewaltschutzeinrichtungen sollten auch spezifisch für queere Personen ausgelegt und zugänglich gemacht werden. 

Denn Gewalt-Betroffene brauchen passende, professionelle Unterstützung. Eine spezielle Schulung für medizinisches Personal wäre dabei ebenfalls ein Schritt nach vorne. Die Schwelle für Betroffene, sich im Gesundheitssystem Hilfe zu holen ist niedriger, als sich gleich ans Rechtssystem zu wenden. Unterstützung kann hier Leben retten. Denn es ist nicht heterosexuellen Beziehungen vorbehalten, dass Gewaltbeziehungen ohne Hilfe im schlimmsten Fall tödlich enden können. 

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