Keine:r will den Kochjob? Wie Krone und Heute gegen Arbeitnehmer:innen schreiben
Kann das sein? Das Restaurant „Sperling“ im Wiener Augarten sucht seit Monaten eine Köchin oder einen Koch, verzweifelt inzwischen. Und das, obwohl laut Berichten in der Kronen Zeitung und in Heute an nur drei Tagen in der Woche gearbeitet werden müsse. „Obwohl viel Freizeit winkt, findet ein beliebtes Lokal keinen Mitarbeiter“, schreibt die Kronen Zeitung. „Für den Job als Koch zahlt das Unternehmen 1.900 Euro – für die 3-Tage-Woche!“, formuliert die Gratiszeitung Heute.
Das Ausrufezeichen am Satzende soll wohl Überraschung oder Empörung darüber ausdrücken, dass um dieses Geld und bei diesen wenigen Arbeitstagen scheinbar niemand den Job machen will. Die beiden Boulevard-Medien stimmen ein in das ewige Klagelied von Arbeitgeber:innen über Arbeitnehmer:innen. Die wollten trotz angebotener Jobs mit „perfekter Work-Life-Balance“ (Zitat: Kronen Zeitung) einfach nicht arbeiten. In der Heute sagt Sperling-Geschäftsführer Andreas Sael: „Vielleicht sehen viele Menschen einfach keinen Sinn mehr darin, arbeiten zu gehen.“
3-Tage-Woche heißt: Über 12 Stunden Arbeit am Tag
Das Feindbild ist schnell gestrickt, Empörung bei Leser:innen programmiert. Doch Krone und Heute verschweigen entscheidendes. Denn die 3-Tage-Woche im Sperling heißen trotzdem: Arbeitszeit 40 Stunden. So steht es in Anzeigen, die das Restaurant zunächst im Mai und Ende September noch einmal etwa bei Facebook veröffentlicht hat. 40 Stunden arbeiten in drei Tagen würde bedeuten, mehr als 13 Stunden täglich in der Küche des Sperling zu stehen.
Eine Mitarbeiterin des Lokals erklärt MOMENT.at, wie das läuft. „Die Köche arbeiten an drei Tagen hintereinander. Der erste Koch kommt um 8 Uhr, der zweite um 9 Uhr. Die Küche schließt um 21:30 Uhr, manchmal auch später“, sagt sie am Telefon. Ob da immer die auch in der Gastro gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten werden? Das könnte knapp werden. Und ob das etwa für Menschen mit Kindern die „perfekte Work-Life-Balance“ darstellt, ist anzuzweifeln. Ob das für sie und viele andere überhaupt machbar ist, ebenfalls.
Klar ist: Dafür als ausgebildete Köchin oder Koch ein Gehalt von 1.900 Euro angeboten zu bekommen, ist nicht gut bezahlt. Wobei: Die 1.900 Euro netto, von denen Heute und Krone schreiben, sind nicht unbedingt 1.900 Euro. In den Anzeigen wird nämlich nur ein Gehalt von „1.800 bis 1.900 Euro“ in Aussicht gestellt. Die 100 Euro mehr oder weniger: für die Zeitungen scheinen das nur kleinliche Details zu sein. Für Arbeitnehmer:innen, die teuer gewordene Mieten, Stromrechnungen und Lebensmittel zu bezahlen haben, ist es das wohl nicht.
„Wir wollten nicht den Eindruck vermitteln, dass es sich hier um eine Teilzeitstelle handelt“, sagt Geschäftsführer Andreas Sael zu MOMENT.at. Die tatsächliche Wochenarbeitszeit zu verschweigen, sei eine redaktionelle Entscheidung der Zeitungen gewesen. „Wenn die das so schreiben, ist das nicht meine Schuld“, sagt er am Telefon. An drei Tagen die Woche, dafür aber sehr lange zu arbeiten, das hätten sie eingeführt, “weil die Mitarbeiter:innen das wollten”. Sie seien mit den geblockten Arbeitszeiten zufrieden.
Sind 1.900 Euro dafür ein angemessenes Gehalt? „Prinzipiell würde ich jedem gern mehr zahlen“, sagt er. Nur leider: Leisten könne er sich das nicht. „Ich mache kaum Gewinn, vergangenes Jahr bin ich mit plus minus Null ausgestiegen.“ Wenn jemand bei ihm mehr Gehalt haben wolle, „dann muss er auch mehr leisten. Wenn ich selbst die Spritzer einschenken muss, weil der das nicht kann, dann kann ich nicht mehr zahlen.“
Lokalchef klagt über fehlende „Motivation“
Und warum er bisher so gar niemanden für den Job bekommen hat, erklärt er sich auch so: „Es liegt daran, dass es keine Motivation mehr gibt, was zu tun.“ Soll wohl heißen: Nicht er biete zu wenig Gehalt, sondern Arbeitslosengeld und die staatlichen Sozialleistungen seien zu hoch. Auf die Frage, ob er sich wünsche, dass hier gekürzt wird, antwortet er zunächst mit „Ja“, relativiert dann aber etwas. Sein Vorschlag: „Man sollte bei der Lohnsteuer anfangen und dann im Einzelfall schauen, was wir bei den Sozialleistungen machen.“ Und: „Ich glaube nicht, dass alle Leute faul sind.“
Sael schickt dann noch eine Berichtigung hinterher: die seiner eigenen Job-Anzeige. Die angegeben 40 Stunden Arbeitszeit seien eigentlich nur 36 Stunden in der Woche. Warum er in seiner Anzeige mehr Stunden angibt, erklärt er so: „Schreibe ich 36 Stunden, haben manche Leute Angst, dass sie dann nicht Vollzeit angestellt sind.“ Im Arbeitsvertrag würden aber tatsächlich 36 Stunden Wochenarbeitszeit stehen. „Ich weiß, das klingt abstrus“, sagt er.
MOMENT.at fragte bei Heute und Kronen Zeitung nach, warum beide Zeitungen die Information über die tatsächliche Wochenarbeitszeit für den Job mit „perfekter Work-Life-Balance“ nicht nennen. Bis Redaktionsschluss erhielten wir keine Antwort. MOMENT.at fragte auch beim Arbeitsmarktservice nach. Denn im Bericht von Heute hieß es, ein Coach des AMS hätte das Restaurant beraten, wie es neue Mitarbeiter:innen finden könne. Wir wollten wissen, was der Coach ihnen empfahl.
Zu den konkreten Inhalten der Beratung könne er nichts sagen, sagt der AMS-Mitarbeiter am Telefon. So wie das Jobangebot im Bericht der Heute beschrieben wird, klinge das aber recht gut. Auf den Hinweis von MOMENT.at, dass es sich dabei aber dennoch um eine Vollzeitstelle mit laut Jobanzeige 40 Stunden Arbeitszeit handelt, stockt er kurz und sagt dann: “Das wäre dann eine kleine Mogelpackung”. Und eine Berichterstattung, die dieses Detail verschweigt, sei “reißerisch”, so der AMS-Mitarbeiter.
Für Andreas Sael vom Restaurant Sperling seien die zumindest irreführenden bis falschen Berichte „ein großes Glück für uns“. Das Lokal hätte 50 bis 60 Bewerbungen auf den Job erhalten, „40 von denen sagen, das finden sie super“, sagt er. Das ist kein starker Beleg dafür, dass es unter Arbeitnehmer:innen und Arbeitssuchenden keine Motivation gäbe, für 1.900 Euro monatlich in Vollzeit zu arbeiten.