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Gesundheit
Arbeitswelt

Lehrlinge spüren besonders hohe psychische Belastung

Erstmals gibt es eine umfassende Studie über den körperlichen und seelischen Zustand von österreichischen Lehrlingen. Die Ergebnisse sind alarmierend: Demnach pflegen alle, vorrangig jedoch die männlichen Lehrlinge einen ungesunden Lebensstil, während weibliche Lehrlinge öfter über psychische Beschwerden klagen als gleichaltrige Schülerinnen. Experten sehen dringenden Handlungsbedarf.

Für die Studie des Instituts für Gesundheitsförderung und Prävention wurden über 2.000 Lehrlinge aus verschiedensten Berufsparten befragt. Erst im vergangenen Jahr hat das Gesundheitsministerium eine ähnliche Befragung unter SchülerInnen gemacht. Der Vergleich mit diesen Daten zeigt: Es gibt kaum einen Indikator, bei dem Lehrlinge nicht schlechter abschneiden als gleichaltrige SchülerInnen. 

 

Weibliche Lehrlinge – eine gefährdete Gruppe

„Besonders stechen die Ergebnisse bei Indikatoren der psychischen Gesundheit weiblicher Lehrlinge hervor, die nicht nur schlechter im Vergleich zu Schülerinnen, sondern auch im Vergleich zu männlichen Lehrlingen sind“, meint Studienleiterin Rosemarie Felder-Puig. Bei weiblichen Lehrlingen herrscht ein höheres emotionales Unbehagen als bei männlichen: 18% der Burschen und 31% der Mädchen zeigen Anzeichen einer depressiven Verstimmung. Mädchen geben auch häufiger an, unter Gereiztheit, schlechter Laune, Einschlafschwierigkeiten und Rückenschmerzen zu leiden. Wirklich auffallend ist aber der Medikamentenkonsum der weiblichen Lehrlinge: 37% haben im vergangenen Monat Kopfschmerzmittel eingenommen. Generell nehmen sie auch im Vergleich zu Schülerinnen deutlich mehr Medikamente gegen Symptome ein, die häufig von psychischem Stress ausgelöst werden.

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Es muss zukünftig mehr zielgruppengerechte Programme für weibliche Lehrlinge geben, ist Studienleiterin Felder-Puig überzeugt. Und diese müssten schon während der Pflichtschulzeit greifen. Denn bereits hier läuft einiges schief. „Mädchen wollen tendenziell eher in eine Schule weitergehen. Es scheint so, dass jene, die einen Lehrberuf ergreifen, das unfreiwillig tun. Weil etwa ihre schulischen Leistungen für eine weiterführende Schule nicht reichen.“ Männliche Lehrlinge entscheiden sich demnach öfter bewusst für ihren Beruf, sind dementsprechend zufriedener und verdienen in typischen „männlichen“ Lehrberufen wie Metall-, Elektro- und Kfz-Technik später auch sehr gut. Die drei häufigsten Lehrberufe bei Mädchen sind hingegen: Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin. In Schulen müsste es also weitaus mehr Berufsinformationskampagnen geben, die endlich diese noch immer vorherrschenden stereotypen Berufsrollenbilder aufweichen. Und auch der Lehrberuf muss durch breite Image-Kampagnen aufgewertet werden. Denn noch immer sehen sich Lehrlinge mit dem Vorurteil konfrontiert, dass „nur jene, die in der Schule zu schlecht sind, eine Lehre machen müssen.“ Dabei gibt es durchaus Jobs, bei denen Lehrlinge später mehr verdienen als jemand mit Universitätsabschluss.

Betriebsklima ausschlaggebend für Wohlbefinden

Doch auch Betriebe brauchen mehr Unterstützung im Umgang mit Lehrlingen. Denn die Studie zeigt, dass rund ein Viertel aller Lehrlinge das Betriebsklima teilweise oder mehrfach unangenehm empfindet – wobei auch hier die Mädchen den Arbeitsalltag eher negativ erleben.

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Wesentlich für die psychische Gesundheit der Lehrlinge sind selbstverständlich gute, tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen zu den Erwachsenen in ihrer Arbeitswelt. Doch oft gibt es keine gute Feedback- oder Fehlerkultur. Den Verantwortlichen muss hier besser vor Augen geführt werden, welche Auswirkungen ihr Vorgehen hat, vielen fehlt ein pädagogisches Rüstzeug.

Erwachsene als (negative) Vorbilder

Doch ein Betrieb ist nicht nur für seine Lehrlinge in beruflichen Belangen verantwortlich – die älteren Beschäftigten sollten eine allgemeine Vorbildwirkung haben. Und hier zeigt vor allem ein Blick auf die Gesundheitsdaten, dass die Arbeitswelt der Lehrlinge keinen gesunden Lebensstil fördert. Im Vergleich mit den SchülerInnen sind viel mehr Lehrlinge von Übergewicht betroffen, hierbei vor allem die männlichen Jugendlichen. Nicht einmal ein Fünftel isst täglich Obst oder Gemüse, dafür konsumiert fast die Hälfte der Lehrlinge mehrmals pro Woche Fastfood und Energy Drinks. Oft ist auch wenig Zeit und in der Mittagspause wird schnell eine Leberkässemmel und ein Red Bull eingeworfen. Generell müsste es mehr Kampagnen für gesunde Ernährung in Betrieben geben.

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Wirklich schockiert hat jedoch die hohe Anzahl der RaucherInnen. Über 50% der Lehrlinge beider Geschlechter rauchen aktuell Zigaretten, davon etwas mehr als die Hälfte täglich. Währenddessen sinkt die Zahl der RaucherInnen bei den SchülerInnen seit Jahren.

Doch leider wird auch hier in Betrieben oft schlecht vorgelebt: Die Erwachsenen sollten gemeinsame Rauchpausen mit den Jugendlichen vermeiden. Auch sollte es mehr Möglichkeiten für Pausen geben – damit nicht das Rauchen als Vorwand verwendet wird, um überhaupt eine machen zu können.

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Der wöchentliche Alkoholkonsum bei 17-jährigen SchülerInnen ist rückläufig, obwohl er mit einer Rate von 38% weiterhin stark verbreitet ist. Die Zahl der österreichischen Lehrlinge, die regelmäßig trinken, entspricht in etwa jener der SchülerInnen. Doch auch hier zeigt sich, dass Burschen öfter betrunken sind als Mädchen.

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Angesichts dieser Studienergebnisse haben ExpertInnen bereits Vorschläge erarbeitet, wie Betriebe ihre Lehrlinge zu einem gesünderen Lebensstil motivieren können. Kleine Betriebe, die nicht selbst über eine Kantine verfügen, könnten etwa mit gratis Obst zu gesunden Snacks für Zwischendurch anregen, außerdem sollte es Anreizsysteme für das Trinken von Wasser geben und mehr Aufklärung, wie zuckerhaltig und ungesund Energy Drinks und Limonaden sind.

Auch sollten Betriebe einen guten und kompakten Überblick über mögliche finanzielle oder andere Unterstützungsmöglichkeiten bekommen. Tatsächlich gibt es bereits einige Angebote, die jedoch nicht ausreichend genutzt werden. 

„Es wäre wichtig, die jungen Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme und der Entwicklung eines positiven Gesundheitsverhaltens zu unterstützen,“ so Rosemarie Felder-Puig. 

Und letztendlich sollte es den Arbeitgebern selbst am Herzen liegen, gesunde und zufriedene Lehrlinge zu haben, die sich wertgeschätzt fühlen und weniger krank sind – und die auch später der jüngeren Generation ein gutes Vorbild sind.

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