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Klimakrise
Fortschritt

Mit Plastik gegen die Klimakatastrophe

In Plastik verpackte Lebensmittel gelten als Umweltsünde. Die Klimabilanz der Gurke aus der Kunststoff-Folie ist trotzdem besser als die der lose angebotenen, sagt eine Studie. Kann das sein?

Die Salatgurke im Supermarkt, bio natürlich, aber eingeschweißt in Plastik. Daneben eine andere Gurke, lose im Gemüseregal liegend. Keine Frage: Wer klima- und umweltbewusst handeln möchte, greift zum frei herumliegenden Gemüse. Denn verpackte Lebensmittel sind böse, und Plastik ist dabei praktisch der Leibhaftige. So ist es mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung Konsens.

Doch wer glaubt, damit der Umwelt und dem Klima etwas Gutes zu tun, könnte falsch liegen. „Plastikverpackungen per se zu verteufeln, ist für die Umwelt nicht die richtige Lösung“, sagt Lisa Panhuber, Expertin für Konsum bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace zu MOMENT. Aber: „Zuerst sollten wir regionale Produkte verbrauchen.“ Die beste Möglichkeit sei noch immer, die unverpackte Gurke aus Österreich zu kaufen. Bei tierischen Produkten wie Fleisch und Käse habe die Verpackung aber „oft einen geringeren Klimaeffekt als das Produkt an sich“.

An erster Stelle steht, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
Lisa Panhuber, Greenpeace

Um die Umweltschützerin hier nicht misszuverstehen: „Das soll nicht heißen, Plastik ist kein Problem. Wenn es in die Umwelt kommt, ist es ein Riesenproblem“, sagt sie. Plastik zu produzieren verbraucht große Mengen fossiler Energie und schadet dem Klima. Seit Jahrzehnten steigt die Menge an produziertem Plastik Jahr für Jahr immer weiter an, auf inzwischen mehr als 8,3 Milliarden Tonnen. Nur 9 Prozent des weltweit produzierten Plastikmülls wurden bisher recycelt. Fast 80 Prozent landeten in Deponien oder in der Umwelt.

„Davon müssen wir uns lösen“, sagt Panhuber. Die Produktion von Plastik müsse gedrosselt und Ersatzstoffe gefunden werden. Bei Lebensmittelverpackungen liege die Crux aber woanders. „An erster Stelle steht, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.“ Wenn dafür eine Verpackung nötig ist, müsse das umweltfreundlichste Material gesucht werden.

Weniger Plastik heißt mehr Abfälle

In Österreich und weltweit wird ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen. Unter anderem mit der kritikwürdigen Praxis, noch genießbare Waren einfach wegzuwerfen, produziert der Einzelhandel hierzulande jährlich fast 80.000 Tonnen an vermeidbaren Lebensmittelabfällen. So weit, so schlecht.

In den Kühlschränken und Vorratskammern der privaten Haushalte lagern aber noch weit mehr Lebensmittel, die schlussendlich im Müll landen: 207.000 Tonnen werfen die ÖsterreicherInnen Jahr für Jahr weg. Ein Grund dafür sei auch „die fehlende Wertschätzung von Nahrungsmitteln“, sagt Johannes Mayerhofer vom Institut für Abfallwirtschaft der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) zu MOMENT.

Wenn es gelänge, Lebensmittelabfälle ganz zu vermeiden, würden wir auf einen Schlag 8 Prozent weniger Treibhausgase erzeugen. Die sind nämlich vorher dafür angefallenen, die letztlich weggeworfenen Nahrungsmittel zu produzieren. So steht es in einer Studie des Projekts „Stop Waste – Save Food“, an der BOKU-WissenschaftlerInnen federführend geforscht haben.

70 Prozent sagen, Verpackungsabfälle seien ein größeres ökologisches Problem als weggeworfene Lebensmittel. „Ein Missverständnis.“
Johannes Mayerhofer, BOKU Wien

Sie kommt zu dem Schluss, dass ausgerechnet die Umweltsau Plastik uns dabei hilft, weniger Lebensmittel wegzuwerfen und damit weniger Treibhausgase zu produzieren.

Das überrascht: Der Berg an Plastikverpackungen, die Österreichs Haushalte Jahr für Jahr produzieren ist fast genauso schwer wie der der weggeworfenen Lebensmittel: 155.000 Tonnen sind es laut Umweltbundesamt. Das ist kein Berg, sondern eher ein Gebirge. Mehr als die Hälfte aller Verpackungsabfälle fallen in den Haushalten an. Aber: Lebensmittelverpackungen sind nur ein Teil davon.

Die Studie schätzt, dass Verpackungen von Lebensmitteln in Europa 0,7 Prozent der klimaschädlichen Emissionen ausmachen. Das ist nicht nichts, aber weit weniger groß als der Klimaschaden durch weggeworfene Lebensmittel. Dennoch gaben in der Studie rund 70 Prozent der Befragten an, die Abfälle der Verpackungen seien ein größeres ökologisches Problem als weggeworfene Lebensmittel. „Da gibt es ein Missverständnis“, sagt Mayerhofer.

Die Umweltsau hilft beim Klimaschutz

Die Rechnung der StudienautorInnen: Die Verpackung ist im Schnitt für 3,2 Prozent des Klimafußabdrucks eines Lebensmittels verantwortlich. Gelingt es mittels Verpackung, zumindest diese 3,2 Prozent weniger an nicht mehr genießbaren Lebensmitteln auf den Müll werfen zu müssen, habe es sich „aus Sicht des Klimaschutzes ausgezahlt“, die Ware zu verpacken.

Um bei der Salatgurke zu bleiben: Muss der Handel sonst fast 10 Prozent aller Salatgurken unverkauft wegwerfen, so sinkt dieser Anteil laut Studie auf rund 5 Prozent, sobald eine dünne Plastikfolie um die Gurken gewickelt ist. „Der Umweltvorteil durch die Abfallreduktion ist dreimal höher als der Aufwand für die Verpackung“, heißt es in der Studie.

Gleichzeitig haben Supermärkte getestet, was passiert, wenn sie nur noch unverpackte Salatgurken anbieten. Ergebnis: Der Anteil der Salatgurken, die schlussendlich im Müll landeten, stieg um fast das Dreifache an. Was die Ökobilanz angeht, gewinnt dadurch am Ende die in Plastik eingewickelte. „Eine unverpackte Gurke hat eine größere Abfallrate als eine eingepackte“, sagt Mayerhofer. „Das ist etwas, was KonsumentInnen nicht verstehen.“

SupermarktkundInnen sind generell rätselhafte Wesen. „Über 90 Prozent von ihnen sagen, dass Lebensmittel überverpackt sind“, so Mayerhofer. „Das bedeutet aber nicht, dass sie zwingend bei Unverpacktem zugreifen.“

Heißt: Liegt vor ihnen im Gemüseregal eine unverpackte, vielleicht schon etwas angerunzelte und möglicherweise bereits von anderen Personen berührte Salatgurke neben einer tadellos in Plastik eingeschweißten, dann greifen die meisten eben doch zu letzterer. Und das, obwohl sie die ja eigentlich für überverpackt halten. 

Trommeln für die Plastikfolie

Die Studie soll ein „Leitfaden für Verpackungshersteller, Lebensmittelverarbeiter, Handel, Politik & NGOs“ sein. Die Liste der Unterstützer liest sich wie ein Who‘s Who von österreichischen Handelsketten, Plastikherstellern und Recyclingunternehmen.

Der Gedanke liegt nahe, dass es für die ein erwünschtes Forschungsergebnis ist, in Plastik eingepackte Lebensmittel seien fürs Klima besser. Supermärkte können ihre Waren länger anbieten, Verpackungshersteller haben mehr zu umwickeln und Recycler bekommen auch mehr zu tun.

„Nein, das ist schon sehr seriös berechnet“, sagt Christian Pladerer, Leiter des Ökologie Institut Österreich zu MOMENT. Er steht nicht im Verdacht, dem Handel oder den Verpackern nach dem Mund zu reden. Pladerer kämpft für den Ausbau des Mehrwegsystems und dafür, auf Plastikflaschen zumindest einen Einwegpfand zu erheben. Ein Ansinnen, das vom Handelsverband seit Jahren torpediert wird.

Man sollte nicht der Kunststoffverpackung den Kampf ansagen, sondern der Wegwerfmentalität.
Christian Pladerer, Ökologie Institut Österreich

Auch er sagt: „Wenn wir verderbliche Waren weniger verpacken, kann das im Handel zu mehr Lebensmittelabfällen führen“. Deshalb sei es auch „falsch, der Kunststoffverpackung den Kampf anzusagen“, sagt Pladerer. „Man sollte vielmehr der Wegwerfmentalität den Kampf ansagen.“

Soll noch mehr Plastik nun also das Heilmittel gegen Lebensmittelabfälle und deren Klimafolgen sein? Nein, sagt BOKU-Forscher Mayerhofer. Darum geht es in der teilweise seit 2014 laufenden Studie nicht. „Das Projekt kommt auch zu dem Schluss, dass es oft nichts bringt, Verpackungen noch weiter zu optimieren“, sagt er. Sie sollten „vermieden werden, wo sie nicht notwendig sind,“ sagt Mayerhofer. „Avocados in der eingeschweißten Plastikschachtel sind nicht sinnvoll.“

Und: Nicht verpackte, saisonale und regionale Lebensmittel stechen die aus Spanien oder den Niederlanden hierher gekarrten, in Plastik verpackten Erdbeeren und Salatgurken aus. Denn die müssten nicht mittels Verpackung länger haltbar und fitter für den Transport gemacht werden.

Haushalte sind die Top-Verschwender

Ob unverpackte oder verpackte Lebensmittel: Es ist weitgehend unbekannt, wie KundInnen mit ihren Einkäufen umgehen, sobald sie nach Hause getragen haben. Fest steht nur, dass die privaten Haushalte in Österreich die Nummer Eins sind, was vermeidbare Lebensmittelabfälle angeht. Ob Plastikverpackungen da wirklich helfen können?

Christian Pladerer vom Ökologie-Institut ist skeptisch. „Ich kenne niemanden, der seriöse Abschätzungen gemacht hat, dass im Haushalt weniger weggeworfen wird, weil ich die Gurke eingeschweißt gekauft habe“, sagt er.

Mehr als 1.000 VerbraucherInnen wurden für die Studie penibelst dazu befragt, wie sie welche Lebensmittel wie lange, wo und bei welcher Temperatur in ihrem Haushalt lagern würden. Das ernüchternde Ergebnis: Die KonsumentInnen „nutzen die optimierten Verpackungen im eigenen Haushalt nur selten oder gar nicht“, heißt es dort. Eine in Plastik eingeschweißte Gurke bringe eben nichts, „wenn die Folie zuhause sofort aufgerissen werde“, erklärt BOKU-Forscher Mayerhofer. 

Verführerische Angebote der Supermärkte

Bei anderen Problemen, die zu Lebensmittelmüll führen, kann aber auch Plastik nicht weiterhelfen. So werde das Mindesthaltbarkeitsdatum häufig falsch verstanden. „Viele sehen das als Wegwerfdatum, obwohl das Produkt noch gut ist“, sagt Greenpeace-Expertin Panhuber.

Der Handel täte noch sein Übriges: Mit Mengenrabatten und Aktionen a là „1+1 gratis“ verführten die Supermärkte KundInnen dazu, mehr zu kaufen als sie brauchen. „Da ist die Angebotsseite mit Schuld“ sagt Panhuber.

Manchmal sind die Augen aber auch einfach größer als der Mund. „Besonders vor Feiertagen wird viel eingekauft“, sagt Mayerhofer. „Nach drei Tagen haben dann oftmals viele genug davon.“ Egal, ob sie vorher in Plastik verpackt waren oder nicht: Die fürs Fest gekauften und zubereiteten Speisen landen dann meist im Müll.

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