print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit
Gesundheit

Sebastian Kurz und das Balkan-Virus

NatsAnalyse Cover zeigt ein gezeichnetes Porträt von Natascha Strobl mit zwei Sprechblasen. In dieser Ausgabe geht es um "Dogwhistling".
In der NatsAnalyse kommentiert Natascha Strobl das politische Geschehen.

NatsAnalyse: Der Bundeskanzler versucht die Schuld an der zweiten Corona-Welle "den Ausländern" zuzuschreiben. Denn die Verantwortung dafür hat zweifellos er.

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat bei der Pressekonferenz zu den Lockerungen ab 7. Dezember folgende bemerkenswerte Aussage getroffen:

„Wir hatten im Sommer sehr, sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer und insbesondere Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen ins Land hineingeschleppt.“

Mit dieser Passage macht er rhetorisch vier Dinge: Schuldabwehr, Schuldzuweisung sowie Analogiebildung und Entmenschlichung

Je zwei dieser Strategien hängen miteinander zusammen. 

Schuldabwehr und Schuldzuweisung

Er arbeitet immer mit der Idee der „Schuld“ – und nie der „Verantwortung“. Die Schuld kann man anderen zuweisen. Die Verantwortung würde hingegen in jedem Fall bei der Regierung liegen, die im Sommer etwa auch die MNS-Pflicht in Innenräumen aufhob. 

Dabei hat der Virologe Christian Drosten schon im April genau vor diesem Effekt gewarnt: wenn die Entwicklung der Pandemie gut ist, darf man deshalb nicht leichtsinnig werden. Das sei schon bei der Spanischen Grippe 1918 passiert. Damals hätte der Rückgang über den Sommer ähnlich wie nun die Maßnahmen zur Distanzierung gewirkt. „Man hat die Krankheit gar nicht mehr bemerkt. Da hat sich diese Erkrankung aber unbemerkt viel besser gleichmäßig geografisch verteilt. Und als man bei der Spanischen Grippe dann in eine Winterwelle gekommen ist, sind Infektionsketten an allen Orten gleichzeitig losgegangen.“ 

Auch jetzt hat das Virus Österreich natürlich nie verlassen und sich im Land gut verteilt. Kurz als Regierungschef hatte die gesundheitliche Krise ja aber schon für beendet erklärt oder das berühmte „Licht am Ende des Tunnels“ gesehen. Das heißt, die Verantwortung liegt ganz klar bei der Regierung.

Von all diesen Fehleinschätzungen bzw. der Verantwortung, auf die falschen ExpertInnen gehört zu haben entledigt sich Kurz, wenn er die „Schuld“ jemand Anderem umhängt. Und diese Anderen sind mit groben Pinselstrichen „die Ausländer“. In diesem Fall vor allem jene vom Balkan und aus der Türkei. In dieser Zuschreibung werden alle Menschen, die Familie in diesen Ländern haben, zu AusländerInnen gemacht – ganz gleich, ob sie in Österreich geboren wurden oder nicht. Der Verweis auf die „Herkunftsländer“ unterstreicht das. 

Es suggeriert, die Loyalitäten lägen bei diesen „Herkunftsländern“ und „die“ hätten „uns“ das Virus wieder „eingeschleppt“, weil „die“ ja unbedingt in diese Länder fahren mussten. Kurz tut so, als sei das etwas Anstößiges, dabei geht es hier um Familienbesuche, wie sie zigtausende andere Menschen zu diesem Zeitpunkt gemacht haben. Aber, wenn die Oma in Sarajevo statt irgendwo in Österreich wohnt, dann wird auf diese Menschen Schuld geladen. 

Das ist insofern dreist, als dass Österreich ja eine der internationalen Drehscheiben der Virusverteilung war (Ischgl) und über den ganzen Sommer immer wieder Hotspots auftauchten (St. Wolfgang). Kurz ist wie der frisch ertappte Dieb, der „Haltet den Dieb!“ schreit.

Analogiebildung und Entmenschlichung

Bemerkenswert ist auch, dass die Wortwahl stark an die Sprache angelehnt ist, mit der über Flüchtlinge gesprochen wird. Das Virus wurde „eingeschleppt“. Der Begriff des „Schleppens“ weckt sofort negative Assoziationen mit Schleppern (die böse Dinge täten und Schuld an der Flüchtlingskrise hätten). Damit wird eine Analogie zwischen Flüchtlingen und dem Virus gebildet. So wie die Flüchtlinge eingeschleppt werden, so wird auch das Virus eingeschleppt. Beides ist schlecht, beides gehört unterbunden. 

Durch die Rückkoppelung der Flüchtlinge an das Virus erfolgt auch für die eine Entmenschlichung. Krankheitsmetaphern für Randgruppen gehören zum Standardreportoire faschistischer Sprache. Kurz macht das nicht auf diese brachiale Art und Weise, aber er bildet grenzwertige Analogien. (Weiterlesen: Wie Kurz jedes Thema mit der Migration in Zusammenhang bringt)

Der österreichische Bundeskanzler schreibt sich am Höhepunkt der Pandemie in Österreich in einen Diskurs der extremen Rechten ein. Das Virus kommt aus dem Ausland und bedroht uns. Bei Trump war es der „China-Virus“ (der hat das sogar ausdrücklich so gesagt), bei Sebastian Kurz wird es zum unterschwelligen Balkan-Virus.

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!