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Klimakrise

“Stadt Land Klima”: Warum Ökonom Gernot Wagner die Stadt als Umweltschützerin feiert

Supermarkt, Post und Apotheke zu Fuß abklappern, den Arbeitsweg auf dem Fahrrad oder in den Öffis zurücklegen, abends spontan ins Theater oder Kino gehen: In Städten lebt es sich sozial und ressourcenschonend, sagt der Ökonom Gernot Wagner. In seinem neuen Buch "Stadt Land Klima" beschreibt er die Vororte als das genaue Gegenteil davon. Was ist so schlimm am "Speckgürtel"? Wir haben nachgefragt.

“Mein Buch ist eine Liebeserklärung an die Stadt. Und an das Land”, sagt Gernot Wagner. Immerhin mache die Stadt das Land erst möglich. Und zwar jenes Land, das Natur und Tieren (und vielleicht ein paar LandwirtInnen und kleinen Gemeinden) gehört und nicht von einer “Du-kannst-alles-haben”-Gesellschaft verbaut, bewohnt und befahren wird.

Weil weniger Fliegen nicht reicht 

Die eine verwendet keine Plastiksackerl mehr, der andere will für das Klima weniger fliegen – das sind gute Vorsätze, sie reichen aber nicht. Auch unsere Pendel- und Wohnverhältnisse entscheiden darüber, wie wir unsere Umwelt (negativ) beeinflussen. In Österreich werden täglich 13 Hektar Boden verbaut. Das ist fünfmal so viel Fläche, wie eigentlich vertretbar wäre. Massives Artensterben durch Lebensraumzerstörung ist die Folge. Jeden Tag wachsen Straßen, Skilifte, Shoppingcenter oder Einfamilienhäuser aus dem Boden, und das nicht selten mitten in der Pampa. Autos machen die Zersiedelung möglich. Die Folge: Immer mehr Zersiedelung. Und noch mehr Autos.

Immerhin ist es außerhalb der Stadt schön ruhig, der Wald nicht weit entfernt. Die urbane Aufregung darf dann aber auch nicht fehlen und der Arbeitsplatz befindet sich eben in der Stadt. Der vermeintliche Kompromiss? Das Leben im Vorort. Den sieht Wagner kritisch. 

 
Gernot Wagner ist Ökonom und Autor des Buchs "Stadt Land Klima".

Das Tullnerfeld als Negativbeispiel 

“Das Leben im Vorort ist die Illusion, dass man im Prinzip alles haben kann”, sagt Wagner. Da ist das große Haus mit Garten und Swimmingpool, der Platz für die beiden Autos. Vierzig Autominuten zur Arbeit pendeln? Kein Problem. Also ohne Feierabendverkehr, versteht sich.

Im niederösterreichischen Amstetten geboren und aufgewachsen, lebt Wagner seit seinem Studium in New York. Ohne Führerschein, ohne Auto, in einer 70-Quadratmeter-Wohnung mitten in der Stadt – gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern. Und das aus freier Entscheidung. In seinem Buch kritsiert er vor allem die „Suburbs“ in den USA. Vororte, die größer sind als die Stadt selbst. Die städtische Infrastruktur ist dort aber kaum bis nicht vorhanden.

Auch in Österreich gibt es die Entwicklung hin zu Vororten: Als Negativbeispiel nennt Wagner das Tullnerfeld. Außerhalb Tullns gibt es einen großen Bahnhof mit Schnellverbindung nach Wien. Eine tolle Entwicklung, keine Frage. Aber der Bahnhof steht mitten im Nirgendwo. Das Ergebnis: PendlerInnen müssen mit dem Auto zum Zug fahren. Außerdem deutet der Standort des Bahnhofs auf die Entstehung neuer Siedlungen „auf dem Land“ – oder zumindest außerhalb der Stadt Tulln – hin.

Wohnbauförderung und Pendlerpauschale sind der falsche Weg 

Wagner kritisiert Institutionen wie die Pendlerpauschale oder den Bausparvertrag. Sie geben Anreize zur Verbauung von ländlichen Gegenden, zu längeren Arbeitswegen, zu immer größeren Häusern. Im Schnitt verursacht eine ÖsterreicherIn 8 Tonnen CO2 pro Jahr. In Vororten sind die Emissionen doppelt so hoch wie in der Stadt oder am tatsächlichen Land.

Als entscheidende Faktoren für den CO2-Ausstoß nennt Wagner Reichtum und Dichte: Reichtum erhöht die Emissionen, dichtes Bauen verringert sie. Vororte profitieren meist von relativ hohem Reichtum und relativ geringer Dichte. Mehr Platz für mehr Autos und weniger Menschen – das lässt die Emissionen in die Höhe schießen.

Abgeschottet im Traumhaus

„Das Sozialleben in der Stadt ist eine Frage der Einstellung“, sagt Wagner. „Ich habe die Wahl: Will ich meine NachbarInnen kennen oder nicht? Will ich jeden Abend kegeln gehen oder nicht?“ Anonymität ist in der Stadt möglich, ein umfangreiches Netzwerk aber auch.

In Vororten erkennt Wagner einen anderen Trend: „Die Kinder spielen nicht gemeinsam am öffentlichen Spielplatz, alle haben ihr eigenes Klettergerüst im Garten. Oder sie baden im privaten Pool statt im Freibad.“ Und der hohe Lebensstandard im Vorort kostet Geld. Die Folge: Mehr arbeiten, lange Pendelwege zur Arbeit und zum Einkaufen, weniger Zeit zuhause, für Hobbies, für die Familie.

 
Gernot Wagner ist Ökonom und Autor des Buchs "Stadt Land Klima".

Wie Städte lebenswerter werden 

Natürlich soll es noch (menschliches) Leben am Land geben. Kleine Gemeinden, Wanderwege, Erholungsgebiete im Grünen. “Die Menschen sollen sich nicht in ihren kleinen Stadtwohnungen einsperren”, sagt Wagner. Aber wer in einer Stadt lebt, trägt dazu bei, dass außerhalb der Stadt die Natur erhalten bleibt und zur Erholung genutzt werden kann. Wie also muss eine Stadt aussehen, damit Menschen auch wirklich darin wohnen wollen?

#1 Mobilität 

„Gegen zu viel Verkehr einfach noch mehr Straßen bauen? Das ist der falsche Weg”, sagt Wagner. “Der Autoverkehr in der Stadt muss radikal verringert werden.“ Lärm, Gestank, Lebensgefahr: Die negativen Folgen des Autoverkehrs betreffen StadtbewohnerInnen tagtäglich. Dabei hat zum Beispiel nicht mal ein Drittel der WienerInnen ein eigenes Auto. Damit auch PendlerInnen vermehrt auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, müssen die ausgebaut werden. Auch außerhalb der Stadt. Und es darf keine kostengünstigen oder gar kostenlosen Parkplätze in der Stadt geben. Zusammengefasst: Autofahren muss schlichtweg so unattraktiv werden, dass es die Menschen nur noch notfalls tun.

Die bestehenden Straßen können zu Fahrrad- und Gehwegen, zu Grünflächen, Alleen, Begegnungs- und Spielzonen umgewidmet werden. Ohne Autoverkehr ist man schneller und sicherer unterwegs. Die Radfahrt zur Arbeit ist dann kein lebensgefährlicher Hindernisparcours mehr. Wo mehr Angebot, da auch mehr Nachfrage: Das erkennt man am Bau von Autostraßen, aber eben auch bei Radwegen und Begegnungszonen. 

#2 Gebäudesanierung

Solaranlage am Dach, Wärmepumpe für das Warmwasser, Toilette mit Recyclingsystem: Der Traum der nachhaltigen HausbesitzerInnen heißt CO2-neutrales Passivhaus. Statt aber wieder neu zu bauen, plädiert Wagner für die Sanierung alter Häuser. Ein Stadthaus mit sieben Wohnungen verbraucht laut Wagner etwa so viel Energie wie zwei Einfamilienhäuser im Vorort. Von Heizenergie und Gebäudedämmung profitieren hier alle NachbarInnen. Darum braucht es die effiziente CO2-neutrale Sanierung von Altbauten und finanzielle Förderungen für VermieterInnen, die ihre Wohnungen nachhaltig umbauen und einrichten. 

#3 Grünflächen

Begrünte Dächer, Hauswände und Straßen machen die Luft besser, schauen schön aus und heben die Stimmung. Außerdem machen Bäume die Stadt kühler, sie regulieren also das Mikroklima. Und Erholungsorte wie Parks, Sport- und Spielplätze heben die Lebensqualität in der Stadt, fördern eine umfangreiche Freizeitgestaltung und das Sozialleben.  

Städte bieten Potenzial für ein ressourcenschonendes, umweltfreundliches und soziales Leben. Dafür braucht es aber Visionen, Kreativität, Innovation, eine globale Denkweise und vor allem: radikale Schritte in Richtung klima- und lebenspositiver Zukunft.

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