Warum Technologie und Innovation alleine die Klimakrise nicht stoppen
Vor einigen Jahren haben 19 britische und US-amerikanische Wissenschaftler:innen ein ”Ökomodernes Manifest” veröffentlicht. Sie sehen im technologischen Fortschritt die Lösung der Klimakrise. Politische Regulierung lehnen sie ab. Man solle der Wirtschaft ihren Lauf lassen. Dadurch könne sich die Menschheit von der Natur und der Zerstörung an ihr entkoppeln, anstatt mit ihr im Einklang zu leben. Was wir bisher zerstört haben, könne uns nicht mehr schaden, so die Theorie.
Wie das gehen soll, bleibt allerdings unklar. Im Manifest werden keine Quellen und kaum Zahlen genannt. Es habe einen “erstaunlichen Mangel an Tiefe”, kritisiert etwa der britische Journalist George Monbiot im Guardian.
In Österreichs Politik kursieren diese Vorstellungen trotzdem weiter. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte vor zwei Jahren in einem Interview: “Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen.” Ähnlich argumentierte sein Nachfolger Karl Nehammer (ÖVP) in seiner Zukunftsrede im März. Er will der Klimakrise mit Innovation, Technologie und Fortschritt begegnen.
Nehammer bezog sich vor allem auf das Buch “Apocalypse Never” des aufgrund unredlicher Argumente und wissenschaftlicher Mängel umstrittenen US-Autoren Michael Shellenberger. Das ist einer der 19 Autor:innen des “Ökomodernen Manifests”. In den USA gründete er 2002 eine passende Denkfabrik. Dieser wird Lobbyismus und fehlende Transparenz vorgeworfen.
Die Ideen von Shellenberger, Nehammer und Co. klingen verlockend. Alles wird gut, macht euch keine Sorgen, ihr müsst nicht umdenken, wenig ändern. Sich darauf zu verlassen, ist allerdings gefährlich.
#1 Technologie und Innovation können Konsum und Emissionen steigern
Ein Beispiel: PKWs werden immer effizienter und verursachen weniger CO2-Emissionen pro Kilometer. Trotzdem sind Österreichs Emissionen im Verkehrsbereich seit 1990 stark angestiegen. Das lässt sich mit dem “Rebound-Effekt” erklären: Immer mehr Menschen können sich durch Effizienzgewinne (etwa weniger Spritverbrauch) immer größere Autos leisten und damit weitere Strecken fahren. Mehr PS und Kilometer für dasselbe Geld – aber eben auch mehr Emissionen.
Weltweit sind derzeit rund 1 Milliarde PKWs zugelassen. Bis 2050 könnte sich diese Zahl verdreifachen. Zumindest zwei von drei PKWs müssten E-Autos sein, um die Emissionen auf Netto-Null zu bringen, rechnet die Internationalen Energieagentur (IEA) vor. Für die Batterien gäbe es theoretisch genügend Lithium, allerdings zu einem hohen Preis: Lithiumabbau braucht Unmengen an Wasser und Energie, zerstört die Bodenstruktur und teils ganze Ökosysteme.
Sind also Verbrenner mit E-Fuels oder Biosprit die Lösung? Neben Bundeskanzler Nehammer glaubt kaum jemand wirklich daran. Die gesamte heimische Stromerzeugung würde nicht ausreichen, um alle PKWs mit E-Fuels zu betanken. Und auf den EU-Anbauflächen für Biokraftstoffe könnte stattdessen Essen für Millionen Menschen wachsen. Wir verbrennen Lebensmittel, während anderswo Menschen an Hunger leiden.
Auch wenn neue Technologien besser als aktuelle sind, können wir unsere heutigen Konsum- und Verhaltensweisen in vielen Fällen nicht einfach mit ihnen fortsetzen oder gar ausbauen. Selbst wenn wir alle fossilen Autos durch E-Autos ersetzen könnten (oder auf wundersame Weise doch genug E-Fuels für neue Verbrenner produzieren könnten), muss sich dennoch auch unsere Verkehrspolitik ändern. Wir brauchen Gesellschaften, die für ihren Wohlstand insgesamt weniger Ressourcen verschwenden – also zum Beispiel weniger Verkehr verursachen und weniger Autos brauchen.
#2 Schon 6 von 9 planetaren Grenzen sind überschritten
Weil wir politische und wirtschaftliche Veränderungen seit Jahrzehnten scheuen, wird unser Spielraum immer kleiner. Wir können uns heute weniger Fehler erlauben, können weniger lange auf neue Technologien warten und haben für ihre Umsetzung weniger Ressourcen übrig. Das betrifft nicht nur das Klima: Würden etwa alle Länder der Welt so wirtschaften wie Österreich, wäre schon heute jede planetare Grenze gesprengt. Doch auch so sind bereits 6 dieser Grenzen überschritten: die Süßwassernutzung, der Bodenverbrauch, Chemikalien und neuartige Stoffe (z.B. Mikroplastik), die Stickstoff- und Phosphorkreisläufe, die Integrität der Ökosysteme und der Klimawandel.
Was besagen diese planetaren Grenzen? Innerhalb der Grenzen ist ein sicheres Zusammenleben möglich. Außerhalb – wenn wir zu viel von etwas emittieren oder zerstören – wird es gefährlich. Oft werden gleich mehrere Grenzen belastet: PKWs stoßen CO2 und Feinstaub aus; die Straßen, auf denen sie fahren, verbrauchen wertvollen Boden; und Reifenabrieb ist eine der Hauptursachen für Mikroplastik.
Neue Technologien könnten die Grenzen entlasten, sind aber oft teuer, energieintensiv und nur begrenzt verfügbar. Die weltgrößte Anlage für CO2-Abscheidung (CCS) saugt jährlich gerade einmal so viel CO2 aus der Luft, wie 500 Österreicher:innen verursachen. Diese Technologie ist bei weitem nicht so fortgeschritten, dass wir uns deshalb den Abbau von CO2-Emissionen ersparen können – und sie würde nur eines von vielen ökologischen Problemen angehen
#3 Innovationen können notwendige Veränderungen erleichtern
Auch der Weltklimarat IPCC warnt in seinem neuesten Bericht, dass die wichtigen Grenzen, die im Pariser Abkommen festgelegt wurden, mit technologischem Fortschritt alleine nicht eingehalten werden können. Ein Weiter-so wird auch mit innovativeren Technologien nicht ewig möglich sein, sagt IPCC-Leitautor Klaus Hubacek in einem Interview mit MOMENT.at. Denn Innovationen verfolgen wir Menschen ja die ganze Zeit. Aber trotz aller Innovationen sind wir beim jetzigen Problem gelandet. Deshalb braucht es gesellschaftliche und politische Veränderungen. Die Politik dürfe diese nicht scheuen.
Für diese heute machbaren Veränderungen hätten wir bereits die meisten benötigten Technologien. “Windkraft ist in den letzten 10 Jahren um 55 Prozent und Sonnenenergie sogar um 85 Prozent günstiger geworden”, erklärt Hubacek. Schwieriger sei es bei der Speicherung, um Schwankungen zu überbrücken. Hier könnten effizientere Technologien die Energiewende beschleunigen und für einen erwünschten “Rebound-Effekt” sorgen: Je günstiger und zuverlässiger erneuerbare Energien werden, desto stärker werden sie ausgebaut, anstatt weiter klimaschädliche Kohle, Erdöl und Erdgas zu verbrennen.
Das ist die gute Nachricht: Innovation und Fortschritt haben uns bereits gegeben, was wir für den Kampf gegen die Klimakrise brauchen. Wir dürfen jetzt nicht auf weitere Wundertechnologien warten und setzen, die nicht rechtzeitig oder nie im nötigen Ausmaß kommen.
In unserer Reihe “Die Klima-Verkleber” entkräftet Lukas Bayer die beliebtesten Ausreden, mit denen Klimaschutz verzögert wird.