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Klimakrise

Mega-Projekt in Tirol: Wie eine Milliardeninvestition in Wasserkraft die grüne Energiewende blockiert

Fotografie von einem Stausee im Kaunertal
Wasserkraft-Milliardenprojekt: Der Speichersee am Gepatsch im Kaunertal soll ausgebaut werden Foto: Dr. Alessandra Sarti/www.photosarti.at/Tiwag Pressefoto
Mit dem Ausbau eines Wasserkraftwerks in Tirol soll die Energiewende vorangetrieben werden. Das sagen der Energiekonzern Tiwag und sein Besitzer, das Land Tirol. Anwohner:innen, Umweltschutzorganisationen und Wissenschaftler:innen sehen im Projekt hingegen eine ökologische Katastrophe, das sogar eine grüne Energiewende verhindere.

Wasserkraft-Projekt der Tiwag: Was bisher geschah

Die Tiwag ist der größte Energieversorger Tirols und zu 100 Prozent im Besitz des Landes. Sie will ein bestehendes Wasserkraftwerk im Tiroler Oberland ausbauen. In das neue Pumpspeicherkraftwerk sollen ca. 2 Milliarden Euro investiert werden. Rund 40 Umweltorganisationen sowie prominente Stimmen aus der Wissenschaft fordern den sofortigen Stopp des gigantischen Projektes. Anstatt die grüne Energiewende im Land voranzutreiben, würde das Projekt sie blockieren.

Für die Umsetzung soll ein Hochtal geflutet und ein 120 Meter hoher Staudamm errichtet werden. Das benötigte Wasser will man aus den Flüssen des Nachbartals ableiten. 2012 wurde das Mega-Projekt zum ersten Mal zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) eingereicht. Dort befindet es sich nun wieder. Erneut wartet man auf Nachbesserungen durch die Tiwag. 

Seitdem wird der Widerstand in der Gesellschaft immer breiter. Neben Opposition, Umweltorganisationen und Wissenschaftler:innen protestieren auch Bürger:innen. Das auf den ersten Blick vielleicht überraschendste Argument dabei: das Wasserkraft-Projekt stehe einer grünen Energiewende im Weg. 

Ökologische Argumente gegen Ausbau im Kaunertal

Das Speicherkraftwerk in Kaunertal ist schon heute eines der größten in Österreich. Um aus dem bestehenden ein größeres Pumpspeicherkraftwerk zu bauen, soll das sogenannte Platzertal geflutet werden. Das Hochtal beherbergt allerdings die bedeutendste hochalpine Moor-Landschaft Österreichs. Allein das belastet die Klimabilanz des Projekts. Moore sind mitunter die wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise. Sie sind besonders effiziente Kohlenstoffsenken. Außerdem leben in Mooren besonders viele Tier- und Pflanzenarten. 

Das Tal zu fluten, sei aber alternativlos. Das meint zumindest die Landesregierung. Die Pressestelle lässt MOMENT.at auf Anfrage wissen: “Es ist zwingend notwendig, ausreichend Speicherkapazitäten bereitzustellen. Dazu ist der Ausbau der im Tiroler Oberland vorgesehenen Pumpspeicherkraftwerke zwingend erforderlich.” 886 Gigawattstunden zusätzliche Energie pro Jahr sollen damit gewonnen werden. Das würde rund 300.000 Tonnen CO2 gegenüber fossilen Kraftwerken einsparen. Das verspricht zumindest die Projektwebseite.

Was tut ein Pumpspeicherkraftwerk?

Wie der Name verrät, spielen Pumpspeicherkraftwerke eine wichtige Rolle beim Speichern von Strom. Gibt es gerade zu viel Energie, pumpen sie damit Wasser hoch und ihre Wasserspeicher voll. Mangelt es an Energie, wird aus dem Wasser im Speicher neue Energie gewonnen. Das entlastet das Stromnetz und stellt die Versorgung zu Spitzenzeiten sicher. 

Gegner:innen des Projekts halten dem entgegen, dass Österreich bereits eine hohe Pumpspeicherleistungen hat und bereits fünf andere Projekte in Planung seien. Eine neue Analyse im Auftrag des WWF zeigt: Zumindest kurz- bis mittelfristig sei kein weiterer Ausbau erforderlich. Ein deutlich erhöhter Speicher-Bedarf wird erst klar nach 2030 erwartet, heißt es darin. Und dabei könne dann Wasserstoff eine große Rolle spielen.

“Allenfalls benötigte Pump-Speicher-Kraftwerke sollen dort errichtet werden, wo die Speicherseen bereits bestehen, anstatt neue Naturflächen zu fluten”, sagt WWF-Expertin Bettina Urbanek. Die Studie schlägt etwa jene in Limberg oder Tauernmoos vor, wo es bereits zwei Becken gibt. “Niemand muss mehr ein Hochtal fluten. Solche Projekte sind ein Symbol verfehlter Energiepolitik”. Auch die Landesumweltanwaltschaft rät davon ab, weitere Großprojekte zu bauen. Stattdessen sollen bestehende Anlagen modernisiert werden.

 

Landkarte vom Kaunertal in Tirol.

Das ausgebaute Kraftwerk im Kaunertal soll unter anderem einen Speichersee im Platzertal erhalten und dazu Wasser aus anderen Tälern wie dem Ötztal zuführen. Foto: (C) Tiwag

 

Wie soll der neue Stausee im Platzertal überhaupt befüllt werden? 

Wird das Projekt genehmigt, erhält die Tiwag die Wasserrechte dafür für die nächsten 90 Jahre. Aus mehreren Flüssen des Ötztals soll zum Betrieb Wasser für den Speicher abgeleitet werden. Dabei ist das Ötztal schon jetzt eines der trockensten Täler Tirols.

Urbanek erklärt: “Die Sommer im Ötztal werden durch die Klimakrise immer heißer und trockener. Viele Felder müssen deshalb mittlerweile bewässert werden. Durch das Megaprojekt sollen zusätzlich enorme Wassermengen aus Ötztaler Flüssen gezogen werden.”  Und zwar etwa siebenmal so viel Wasser, wie die Stadt Innsbruck jährlich verbraucht. 

Das wirkt sich auch auf die Landwirtschaft und auf die Grundwasserneubildung aus. Es ist ökologisch problematisch, Wasser aus diesen Flüssen zu nehmen, besagen Studien der Gegner:innen.

Bröckelnde Hänge als Sicherheitsgefahr 

Temperaturanstiege und Extremwetter sind Folgen der Klimakrise. Diese werden sich in den kommenden Jahren häufen. Dadurch sind auch Berghänge immer stärker von Naturkatastrophen bedroht. Wasserspiegelschwankungen von Stauseen verstärken das Phänomen. Das bestätigen neue geologische Gutachten. Hangrutschungen und Felsstürze nehmen zu. In Stauseen stürzende Felsen können gefährliche Flutwellen auslösen.

Diese Gefahren werden zwar im aktuellen UVP geprüft. “Dabei kann man sich aber nicht mehr einfach auf Messreihen aus den letzten Jahren verlassen. Denn durch die Klimakrise passieren manche Prozesse schneller,” so Urbanek.

Energiewende in Tirol: Wie geht es weiter? 

Wie lange die Umweltverträglichkeitsprüfung noch läuft, ist unklar. Die UVP-Behörde kann dafür Planänderungen und Ausgleichsmaßnahmen vorschreiben. Trotz des immer breiter werdenden Widerstandes aus der Bevölkerung steht die Landesregierung rund um die Tiroler ÖVP klar hinter dem Ausbau des Kaunertal-Kraftwerks. Während Kritiker:innen wie Urbanek eine „rein profitorientierte“ Vorgehensweise sehen, in denen die Ökologie zu weit unten auf der Prioritätenliste stehe, sagt die Landesregierung: Der Ausbau der Wasserkraft sei „entscheidend für den gemeinsamen Kampf gegen den globalen Klimawandel und zum Schutz unserer heimischen Natur und Umwelt.” Die Frage, ob und wie sich Natur- und Umweltschutz mit der geplanten Hochmoor-Flutung vereinbaren lässt, blieb unbeantwortet. 

Weiters heißt es bei der Landesregierung: “Die Tiroler Landesregierung bekennt sich im Regierungsprogramm zu einem massiven Ausbau erneuerbarer Energieträger mit Wasserkraft und Photovoltaik.“ Ein Satz, wie aus einer politischen Sonntagsrede, der gut klingt. Denn natürlich ist der Ausbau der Erneuerbaren Energie und des passenden Stromnetzes dazu wichtig.

Wie man diesen betreibt, ist aber ebenso wichtig, wie dass man ihn vorantreibt. Windkraft spielt in Tirol bisher noch gar keine Rolle, man wagt im Land gerade erst erste Schritte, darüber nachzudenken. Der Ausbau würde jedenfalls noch dauern. Die im Statement der Landesregierung angesprochene Photovoltaik wäre auch eine interessante Alternative. Sonnenkraft-Anlagen vor allem auf bereits versiegelten Flächen dürften weniger problematisch und kontrovers sein als neu geflutete Täler und Moore. Aber: Während in das umstrittene Kaunertal-Projekt 2 Milliarden Euro fließen, plant das Land nur etwa ein Zehntel für Photovoltaik-Projekte auszugeben.

 

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