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Arbeitswelt

Warum ArbeiterInnen in der Corona-Krise als erste fliegen

Warum ArbeiterInnen in der Corona-Krise als erste fliegen
Neun von zehn Personen, die in der Corona-Krise ihren Job verloren haben, sind ArbeiterInnen – auch weil ihre Kündigungsfristen viel kürzer sind. Hätten ArbeiterInnen schon jetzt dieselben Rechte wie Angestellte, wäre die Arbeitslosigkeit nicht explodiert, sagen ExpertInnen. Erst im nächsten Jahr soll sich das ändern – aber leider nicht für alle ArbeiterInnen. Und: Um Fristen abzukürzen, machen Unternehmen Druck auf MitarbeiterInnen, die sogenannte einvernehmliche Lösung zu unterschreiben.
Die Corona-Krise trifft uns alle, aber nicht alle sind gleichermaßen hart getroffen. Einige leiden besonders stark. Als der Lockdown begann, explodierte in Österreich die Zahl der Arbeitslosen in einem nie zuvor gekannten Ausmaß. Fast 60 Prozent mehr Menschen als im Jahr zuvor standen am Höhepunkt der Krise plötzlich ohne Job da: insgesamt mehr als 570.000 Menschen. „In Österreich hat der Krisenimpuls im März unmittelbar auf die Arbeitslosigkeit durchgeschlagen“, sagt Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zu MOMENT.

Es hat uns selbst erstaunt, wie massiv dieser Unterschied ist.
Helmut Mahringer, Arbeitsmarktforscher WIFO

Unternehmen setzen vor allem eine Gruppe von Beschäftigten auf die Straße: 9 von 10 Personen, die ihren Job verloren haben, waren ArbeiterInnen, so eine Studie des WIFO. Nur jede zehnte Person gehörte zu den Angestellten. „Es hat uns selbst erstaunt, wie massiv dieser Unterschied ist“, sagt Mahringer. Jeder Mensch, der den Job verliert, ist einer zu viel. Aber warum sind Österreichs ArbeiterInnen in der Krise so unter die Räder gekommen?

„Das liegt vermutlich sowohl an den betroffenen Branchen als auch an den deutlich deutlich kürzeren Kündigungsfristen“, sagt Mahringer. Derzeit gibt es hier noch immer große Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten. Während bei denen mindestens sechs Wochen und bis zu fünf Monate zwischen Kündigung und Jobverlust liegen müssen, sind es bei den ArbeiterInnen im Regelfall nur zwei Wochen.

Gastgewerbe: 4 von 10 verloren den Job

Besonders getroffen wurden ArbeiterInnen im Gastgewerbe: Hier hatten im Negativ-Rekordmonat April vier von zehn ArbeiterInnen, die im gleichen Monats des Vorjahres noch einen Job hatten, plötzlich keinen mehr. Von den Angestellten in Hotels und Restaurants verloren 15 Prozent ihre Arbeit – deutlich weniger, obwohl sie genauso davon betroffen sind, dass Hotels und Restaurants komplett zusperren mussten. Ähnlich sieht es in der Kulturbranche aus. Auch hier explodierten die Arbeitslosenzahlen, und auch hier wurden vor allem ArbeiterInnen entlassen.

Für die Betriebe ist es mühsamer, sie für Kurzarbeit anzumelden, als sie einfach zu entlassen.
Silvia Hruska-Frank, Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer

Dabei sei die Kurzarbeitsregelung auch für akut von der Corona-Krise betroffene Betriebe „so günstig, dass sie ihre MitarbeiterInnen halten könnten, ohne große Probleme zu bekommen“, sagt Mahringer. Vorausgesetzt, sie können die Gehälter vorfinanzieren, bis sie nachträglich vom AMS bezuschusst werden. Während es Angestellten oft ermöglicht wurde, in Kurzarbeit zu gehen, bekamen ArbeiterInnen viel seltener diese Chance.

In Österreich beliebt: ArbeiterInnen feuern und wiedereinstellen

Das gibt es nicht erst seit der Corona-Krise: Ist ein Betrieb nur schwankend ausgelastet oder bricht eine plötzliche Krise aus, dann flattert bei ArbeiterInnen schnell die Kündigung auf den Tisch oder in den Spind. Es ist ein sich wiederholendes Spiel zu Lasten der ArbeiterInnen. “Beispielsweise werden in der schwachen Bausaison im Winter regelmäßig Beschäftigte freigesetzt – manchmal auch nur über die Weihnachtsfeiertage”, sagt Mahringer. „Das belastet die Arbeitslosenversicherung.“

Unternehmen wälzen damit Personalkosten auf die öffentliche Hand ab
WIFO-Studie

In Österreich sei es relativ stark ausgeprägt,  Beschäftigungsverhältnisse vorübergehend auszusetzen. Die Unternehmen “wälzen damit Personalkosten auf die öffentliche Hand ab”, heißt es in einer von Mahringer zum Thema mitverfassten WIFO-Studie von 2018. Das koste uns “zwischen 400 und 500 Millionen Euro pro Jahr”.

Es ist die Mentalität von „hire & fire“: Schnell eingestellt und schnell wieder entlassen. Wobei das mit dem Einstellen so eine Sache ist. Häufigstes Argument dafür, das mit dem Kündigungsschutz besser sein zu lassen: Wer MitarbeiterInnen leichter los wird, sei auch eher bereit, jemanden einzustellen. “Viele Kündigungen führen in der Folge zu vielen Einstellungen”, konstatiert Mahringer.

Den ArbeiterInnen selber tut „hire & fire“ aber ganz und gar nicht gut: Solche “diskontinuierlichen Erwerbsverläufe stellen ein Risiko für Arbeitskräfte dar“, sagt Mahringer. Analysen weisen für betroffene Beschäftigte, “auch langfristig eine ungünstigere Erwerbsintegration aus”. Heißt: Je häufiger jemand entlassen und dann – vielleicht – wieder eingestellt wird, desto schwieriger wird es, langfristig im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Mahringer hält es „nicht für zeitgemäß“ bei den Bedingungen der Beschäftigung zwischen ArbeiterInnen und Angestellten zu unterscheiden.

Wer sind eigentlich ArbeiterInnen?

Doch was unterscheidet ArbeiterInnen und Angestellte eigentlich voneinander? Ist doch ganz einfach, oder? Personen, die körperlich tätig sind, sind ArbeiterInnen. Das klingt erstmal logisch, wenn wir bei körperlicher Arbeit an den Kumpel im Bergwerk, den Stahlkocher bei der VOEST oder SpargelstecherInnen am Feld denken.

Doch wie sieht es mit KellnerInnen aus? Den ganzen Tag im Lokal hin- und herlaufen, Biergläser und volle Essensteller an die Tische tragen: Das ist körperlich herausfordernd und anstrengend. Aber eine Bestellung aufnehmen, die Rechnung schreiben, das Ganze am Computer abrechnen und abkassieren: Ist das nicht eher geistige Arbeit, die für Angestellte typisch ist? KellnerInnen sind hierzulande jedenfalls im Regelfall ArbeiterInnen. Aber: RezeptionistInnen gelten als Angestellte. Ist das logisch?

Auch wer sich von der anderen Seite her den ArbeiterInnen annähert, stößt schnell an Grenzen: Das Angestelltengesetz definiert Angestellte zuallererst als Personen, “die im Geschäftsbetrieb eines Kaufmannes vorwiegend zur Leistung kaufmännischer (Handlungsgehilfen) oder höherer, nicht kaufmännischer Dienste oder zu Kanzleiarbeiten angestellt sind”. Das klingt altbacken, und ist es auch: Seit der ersten Fassung des Gesetz aus dem Jahre 1921 bis heute wird in diesen Worten umrissen, wer aller Angestellte sind.

ArbeiterInnen sind dagegen: alle anderen. Aber wer ist “vorwiegend” kaufmännisch tätig und wer vielleicht gerade knapp nicht? “Am Ende müssen das im Grunde Gerichte entscheiden”, sagt ÖGB-Arbeitsrechtsexperte Martin Müller zu MOMENT und nennt ein Beispiel: “In Österreich sind Eishockeyspieler Angestellte, aber Fußballspieler sind Arbeiter.”

„Mit der Angleichung von ArbeiterInnen und Angestellten sind wir so gut wie durch.“
Martin Müller, Arbeitsrechtsexperte ÖGB

Zwischen beiden Gruppen zu unterscheiden, ist für Müller allerdings immer weniger wichtig. Denn: Mit der Angleichung von ArbeiterInnen und Angestellten “sind wir so gut wie durch”, sagt Müller. ArbeiterInnen sollen in Zukunft die gleichen Kündigungsfristen haben wie Angestellte. Beschlossen wurde das bereits im Oktober 2017.

Im freien Spiel der Kräfte kurz vor der Nationalratswahl, in deren Folge Sebastian Kurz zum Kanzler einer schwarz-blauen Regierung wurde, stimmten SPÖ, FPÖ und Grüne im Nationalrat dafür. Dass ArbeiterInnen nun auch mindestens sechs Wochen Kündigungsfrist eingeräumt werden sollte, nannte die Wirtschaftskammer einen „Schlag ins Gesicht der Betriebe“. GewerkschafterInnen jubelten über den „Meilenstein für die Arbeitswelt“.

Angleichung kommt – über 3 Jahre nach Beschluss

Doch inzwischen fast 1.000 Tage später ist dieser Meilenstein noch immer nicht erreicht, allenfalls in Sicht. Erst am 1. Jänner 2021, mehr als drei Jahre nach Beschluss, sollen ArbeiterInnen und Angestellte beim Kündigungsschutz auf einer Stufe stehen.

Silvia Hruska-Frank, stellvertretende Leiterin der Abteilung Sozialpolitik bei der Arbeiterkammer, sieht das als  „eine extrem lange Übergangsfrist. Bis dahin ist es noch verdammt weit”. Der ursprüngliche Gesetzesantrag dazu „sah ein sofortiges Inkrafttreten vor, wurde dann aber im parlamentarischen Prozess verschoben“.

Und: Für Branchen, deren Betriebe “überwiegend” in Saisonarbeit tätig sind, werden Ausnahmen gemacht. Das ist vor allem der Tourismus und die Baubranche, also dort, wo besonders viele ArbeiterInnen tätig sind und viele jetzt ihren Job verloren haben. Dass ein Skilift im Sommer steht, scheint klar. “Aber ist ein Hotel in Wien ein Saisonbetrieb?” fragt ÖGB-Experte Müller.

Warum ArbeiterInnen in Bau und Tourismus auch noch immer keine längeren Kündigungsfristen haben? Müller erklärt es mit der “Dynamik von Verhandlungen: Sie bekommen etwas, wenn sie etwas anbieten.” Will heißen: Würde man auf längeren Kündigungsfristen bestehen, würde das Plus bei den Lohnerhöhungen geringer ausfallen. “Damit hätten die Beschäftigten in der Baubranche dann auch ein Problem”, so Müller.

Durch besseren Kündigungsschutz hätten mehr Firmen Kurzarbeit genutzt.
Österriechischer Gewerkschaftsbund

Hätte die Corona-Krise so viele ArbeiterInnen in Österreich arbeitslos gemacht, wenn schon jetzt längere Kündigungsfristen für sie gelten würden? „Das ist spekulativ“, sagt Hruska-Frank. „Aber es könnte sein, dass dann Unternehmen länger darüber nachgedacht hätten, ob sie jemanden kündigen.“

Für viele Unternehmen war es schlicht einfach, ihre ArbeiterInnen zu entlassen, anstatt mit Hilfe von Kurzarbeit über die akute Zeit der Krise zu kommen. Auch die Wirtschaftsabteilung des ÖGB schätzt das so ein: “Durch einen besseren Kündigungsschutz hätten noch mehr Firmen, insbesondere am Beginn der Krise, das Instrument der Kurzarbeit genutzt.”

Kurzarbeit? Nicht für ArbeiterInnen

Während des Lockdowns, so WIFO-Forscher Mahringer, „war die Kündigungsfrist sicher ein Faktor bei der Entscheidung zwischen Personalabbau und Inanspruchnahme von Kurzarbeit.“ Denn: “Längere Kündigungsfristen machen Kurzarbeit vergleichsweise attraktiver.“

Leider hatten Österreichs ArbeiterInnen viel seltener Zugang dazu. Diesen Eindruck hat auch Hruska-Frank gewonnen. „Viele SteuerberaterInnen haben den Betrieben gesagt: Das leichteste ist, wir hauen den Mitarbeiter raus, rechnen ab und wenn wir wieder jemanden brauchen, suchen wir neu“.

ArbeitnehmerInnen unter Druck gesetzt, einvernehmliche Lösungen zu unterschreiben.
Silvia Hruska-Frank, Arbeiterkammer

Aber ob vom Jobverlust bedrohte Menschen nun ArbeiterInnen sind oder nicht, ob für sie in Zukunft längere Kündigungsfristen gelten oder nicht: Viele Unternehmen kürzen das einfach ab. „Am Beginn der Corona-Krise hatten wir sehr, sehr viele Anfragen von ArbeitnehmerInnen, die unter Druck gesetzt wurden, einvernehmliche Lösungen zu unterschreiben“, sagt Hruska-Frank.

Trotz kurzer Kündigungsfristen von mitunter nur zwei Wochen, hätten Unternehmen auf diese Art MitarbeiterInnen sofort loswerden können, berichtet auch Martin Müller vom ÖGB. “Da wird dann gesagt: Das unterschreibst du jetzt, dann kannst du später vielleicht wiederkommen. Wenn du es nicht tust, dann wird’s eher schwierig.”

 

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