Im Zweifel für das Klima? Was Klimaklagen bringen
Smilla ist 15 Jahre alt, geht zur Schule, backt gerne und „um ehrlich zu sein, liege ich auch einfach gerne in meinem Bett und schaue Netflix oder so“. Levi ist 17 Jahre alt, geht ebenfalls noch zur Schule, spielt mehrere Instrumente und engagiert sich in der Jugendarbeit. Recht gewöhnlich für Jugendliche. Nicht gewöhnlich: Sie haben die Republik Österreich verklagt. Gemeinsam mit zehn anderen Kindern und Jugendlichen.
Die zwölf Kläger:innen berufen sich auf ihre Kinderrechte, die in Österreich im Verfassungsrang stehen. Das nahezu unwirksame Klimaschutzgesetz von 2011 verletze diese Rechte. Denn es führt nicht zum Rückgang der Treibhausgasemissionen und schützt die Kinder damit nicht vor den lebensbedrohlichen Folgen der Klimakrise. Damit ist das Klimaschutzgesetz verfassungswidrig, argumentieren die jungen Kläger:innen und Anwältin Michaela Krömer. Sie vertritt die Kinder und Jugendlichen vor dem Verfassungsgerichtshof.
Was ist eine Klimaklage?
Klimaklagen sind ein relativ neues Instrument. Seit etwa sieben Jahren gewinnen sie weltweit an Popularität, inzwischen gab es bereits rund 2.500 Verfahren, sagt Johann Wesemann von AllRise. Der gemeinnützige Verein hat bereits eine Klage gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro eingebracht und will nun die Republik Österreich wegen des hohen Bodenverbrauchs verklagen. “Wir haben ein Rechtssystem mit Gesetzen, die teilweise vor Jahrzehnten, Jahrhunderten entwickelt wurden und die Klimakrise nicht berücksichtigen”, erklärt er. Heute müsse die Erderhitzung immer mitgedacht werden und die Klimaklagen sind eine Möglichkeit, das einzufordern.
Wie hoch sind die Erfolgschancen der Klimaklagen?
Häufig klagen Bürger:innen, Umweltorganisationen oder Kommunen gegen den Staat. Das Ziel: Entscheidungsträger:innen zu mehr Klimaschutz zu verpflichten. So wie es die Staaten in UN-Abkommen eigentlich bereits unterzeichnet haben. Teilweise werden auch Unternehmen direkt geklagt, ihre Emissionen zu verringern oder für Schäden zu bezahlen, die sie durch ihr Wirtschaften verursachen.
Chancen auszurechnen sei schwierig und letztlich „Kaffeesudlesen“, sagt Krömer. Aber es gibt bereits erfolgreiche Klimaklagen. Das gibt den Kläger:innen Hoffnung.
Ich kann nicht heute alles aufessen, wenn ich weiß, dass morgen nichts mehr übrigbleibt.
Erfolgreiche Klimaklagen
Jugendliche und junge Erwachsene klagten in Deutschland mit dem Argument, dass das deutsche Klimaschutzgesetz für die Einhaltung der Pariser Klimaziele nicht ausreicht. Die Argumentation ähnelt der österreichischen. „Es geht auch rechtlich um die Frage, wie ich den Treibhausbudgetkuchen aufteile. Gleichheitsrechtlich kann ich nicht heute alles aufessen, wenn ich weiß, dass nichts mehr übrigbleibt“, beschreibt es die Anwältin.
Für den Erfolg der Klage war in Deutschland der Artikel 20a des Grundgesetzes ausschlaggebend, den es in Österreich so nicht gibt. Er verweist auf die Verantwortung, eine Lebensgrundlage für zukünftige Generationen bereitzustellen. Diese Verantwortung werde missachtet und damit zukünftige Generationen in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Auch in den Niederlanden argumentierte 2013 die Umweltstiftung Urgenda, dass der niederländische Staat zu viele Emissionen verursacht und seiner Verpflichtung zur Eindämmung der Klimakrise nicht nachkommt. Sechs Jahre später bekam die Stiftung Recht und das Höchstgericht in Den Haag verpflichtete den Staat, seine Emissionen zu verringern. Sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden wurden daraufhin neue Gesetze erlassen.
Mangelnder Rechtsschutz in Österreich
Österreichs erste Klimaklage 2019 scheiterte. 8.000 Österreicher:innen reichten sie zusammen mit Greenpeace ein. Die steuerlichen Vorteile des Flugverkehrs gegenüber dem Schienenverkehr seien gesetzeswidrig, meinten sie. Die klimaschädlichen Flüge werden in der EU nämlich niedriger besteuert als die klimaschonenden Züge. Vor Gericht war diese jedoch erfolglos.
Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen den Rechtssystemen in Deutschland und Österreich. In Deutschland kann man klagen, wenn man von einem Gesetz betroffen ist. In Österreich muss man davon direkt angesprochen werden.
Der Verfassungsgerichtshof urteilte, dass das hier nicht der Fall wäre. Es fehle hierzulande an einer wirksamen Beschwerdemöglichkeit, erklärt Krömer. Und das sei ein Mangel an Rechtsschutz für die Bevölkerung.
Das macht der Fall von Mex M. deutlich. Er war einer der 8.000 Kläger:innen hat Multiple Sklerose und das Uthoff-Syndrom. Ist es warm, leidet er unter Lähmungserscheinungen. Ab 25 Grad muss er im Rollstuhl sitzen. Die steigenden Temperaturen durch die Erderhitzung schränken ihn in seiner Lebensqualität massiv ein. Dass die Regierung zu wenig tut, um Treibhausgasemissionen und damit die Erderhitzung einzudämmen, verletzt nachvollziehbarerweise sein Recht auf Leben und Gesundheit. In Österreich war das rechtlich aber nicht relevant. Deswegen zog Michaela Krömer mit Mex M. vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ein Urteil steht noch aus.
Spiekermann sagt mit Blick auf die Klage der Jugendlichen: „Wir glauben, dass es zwingend notwendig ist, dass man die Rechte, die im Verfassungsrang verankert sind, auch umsetzen kann. Wenn das nicht zusammenpasst, müssen wir das zusammenbringen.“
„Man kann Klagen auch außerhalb des Gerichts gewinnen“
Ob das bereits zusammenpasst oder durch die Klage zusammengebracht wird, wird die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zeigen. Doch selbst wenn die Klage vor Gericht erfolglos ist, kann sie Bedeutung haben.
„Man kann Klagen auch außerhalb des Gerichts gewinnen”, sagt Krömer. Auch Wesemann schlägt in diese Kerbe. Die Klimakrise wird dadurch wieder zum Thema, das Bewusstsein der Bevölkerung steigt und kann Druck auf die Politik ausüben. Das zeigt die bereits beschriebene Klimaklage von 2019. Sie scheiterte zwar vor Gericht, doch der Druck wurde groß und die Politik reagierte auf das Umsatzsteuerprivileg des Flugverkehrs. 2020 wurde grüner Ökostrom für die Bahn steuerfrei und sonstiger Strom steuerlich entlastet.
Solche Veränderungen wären einfacher durchzusetzen, gäbe es ein wirksames Klimaschutzgesetz. Dafür setzen sich die Kinder und Jugendlichen mit Österreichs jüngster Klimaklage ein. „Wir hoffen natürlich, dass der Verfassungsgerichtshof uns Recht gibt. Dass wir ein Recht auf die bestmögliche Zukunft haben. Und ein wirksames Klimaschutzgesetz veranlasst wird. Mit Maßnahmen, die greifen und Konsequenzen“, sagt die 15-Jährige Smilla.