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Ungleichheit

Working Poor in Österreich: Arm trotz Arbeit

Rund 300.000 ÖsterreicherInnen kommen trotz Arbeit nicht über die Runden. Sogar Vollzeitbeschäftigung schützt nicht immer vor Armut.
 
Denise (Name geändert) arbeitet dreißig Stunden in einer Buchhandlung. Sie hat drei Kinder und auch nach der Trennung von ihrem Ehemann kam sie gut über die Runden – bis er krank wurde und plötzlich die Alimente nicht mehr zahlen konnte. Mit diesem unerwarteten Ausfall begannen die Geldsorgen – finanziell gingen sich Miete, Strom, Lebensmittel und die sonstigen anfallenden Ausgaben für sie und ihre Kinder kaum mehr aus.

Damit ist Denise nicht alleine. Armut trotz Arbeit ist kein Nischenphänomen. Rund 300.000 Menschen in Österreich sind armutsgefährdet, obwohl sie einen Job haben. Diese Gruppe nennt man “Working Poor”.

Armutsgefährdet trotz Vollzeitjob

Wer glaubt, dass nur Menschen betroffen sind, die Teilzeit oder geringfügig arbeiten, irrt. Die Hälfte der Betroffenen haben Vollzeitberufe (PDF, S. 10). “Vollzeitbeschäftigte Armutsgefährdete versorgen oft andere Menschen in ihrem Haushalt mit. Das können Kinder sein, kranke Personen und andere, die keinen Job haben oder haben können”, sagt Gerlinde Titelbach vom Institut für Höhere Studien (IHS). Ursachen können außerdem Saisonarbeit und Teilzeitarbeit in Kombination mit niedrigem Stundenlohn in manchen Branchen sein.

Risikofaktor Kind

Fälle wie jener von Denise kennt Doris Anzengruber zu Hauf. Sie leitet die Sozialberatung der Caritas in Wien. “Bei Trennungen sind es eben oft die Frauen, die mit den Kindern in der ehemals gemeinsamen Wohnung bleiben. Sie müssen dann plötzlich die Kosten allein stemmen und im schlimmsten Fall müssen sie erst via Gericht die Alimente bei den Vätern eintreiben,” erzählt Anzengruber.

Gerade Alleinerziehende sind in Gefahr, trotz Arbeit arm zu werden. Laut IHS-Berichten liegt das unter anderem daran, dass es in weiten Teilen Österreichs nicht genug leistbare Kinderbetreuung gibt. Das Forschungsinstitut fordert, diese auszubauen, auch wenn es durchaus Fortschritte in den letzten Jahren sieht.

Ein weiterer Punkt ist die Pflege von Angehörigen, die in Österreich oft von der Familie übernommen wird. Die Probleme liegen auf der Hand: Wer sich um Kinder und Angehörige kümmert, hat weniger Zeit für Erwerbsarbeit – und damit weniger Geld.

Wer seine Kosten nur gerade so decken kann, kommt schnell ins Straucheln, falls eine unerwartete Zusatzausgabe wie eine Thermenwartung dazu kommt, oder die Schulprojektwoche der Kinder ansteht. “Viele sind schon mit dem Top-Jugendticket finanziell überfordert. Das kostet 70 Euro,” sagt Caritas-Expertin Anzengruber.

Anzengruber kennt viele dramatische Auswirkungen. Von der 14-jährigen, der von der Mutter geraten wurde, sich bei Buskontrollen hinten in der Schülergruppe einzureihen, weil das Geld für die Fahrkarte fehlt, bis hin zur Familie, die sich die Haushaltsversicherung nicht leisten konnte und bei einem Brand alles verloren hat.

Betroffen sind neben Alleinerziehenden und Familien mit Kindern vor allem Menschen, die nur die Pflichtschule abgeschlossen haben. Bildung wird in Österreich stark vererbt, Armut ebenso.

Das IHS schlägt im Bericht (PDF) einige Maßnahmen vor. Dazu gehört ein Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen ebenso wie eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeit. Denn während viele Angestellte Überstunden machen müssen, stecken andere wiederum in der Teilzeitfalle. Mehr Arbeitsplätze, höhere Mindestlöhne und Bildungschancen für alle sind ebenfall langfristige Maßnahmen, welche die Situation langfristig verbessern können. Für einzelne Betroffene braucht es Hilfe gegen Verschuldung und berufliche Weiterbildungen. “Das Thema ist sehr komplex und die Betroffenen unterscheiden sich stark. Es gibt nicht die eine Lösung”, sagt Titelbacher. Umso wichtiger ist es, sich damit auseinander zu setzen.

 

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