Zersiedelung: Die Probleme mit dem Haus auf der grünen Wiese
Schwierig ist aber, wie dieser Traum in Österreich politisch gestaltet wird. Einkaufszentren stehen auf der grünen Wiese. Viele Menschen leben in losen „Streusiedlungen“ am Rand kleiner Gemeinden oder auch in den weitläufigen „Speckgürteln“ von Städten. Hier ist pro Person die verbrauchte Bodenfläche höher und sind die Wege des Alltags länger. Immer mehr Zweit-, Wochenend- und Ferienhäuser verschärfen das Problem.
Andere Regionen lösen die Herausforderungen des Land- und Vorstadtlebens mit geschickterer Raumplanung besser. „Bayern zum Beispiel ist ähnlich strukturiert wie Österreich. Aber wenn man von dort nach Österreich fliegt, sieht man den Unterschied der Besiedelung aus der Luft“, erklärt Christian Gratzer vom auf Mobilität spezialisierten Think-Tank VCÖ.
Weite Teile Europas stehen aber in Wahrheit vor einer vergleichbaren Situation. Österreich ist in „Zersiedelungsrankings“ je nach Messart auch im Mittelfeld zu finden. Das heißt aber nicht, dass die Situation in Österreich besser als gedacht ist, sondern dass sie in vielen Teilen Europas schlecht ist.
Erst seit einigen Jahren wird das Phänomen wirklich als Problem erkannt.
Eine Übersicht über die Folgen der Zersiedelung:
#1 Infrastruktur ist teurer
Zersiedelte Gebiete sind teurer und verbrauchen mehr Steuergeld. „Streusiedlungen“ zu versorgen kostet ein Vielfaches davon, was es etwa bei Mehrfamilienhäuser im Ortskern kostet. Pro EinwohnerIn gibt es viel höhere Ausgaben für Kanalisation, Leitungen und Straßen.
Aber nicht nur die Erhaltung der gebauten Infrastruktur wird teurer. VCÖ-Sprecher Gratzer weist darauf hin, das als Folge auch andere Dienste mehr kosten: „Angebote wie ‚Essen auf Rädern‘ oder mobile Pflegekräfte müssen weiter und länger zu ihren KundInnen fahren.“
Das betrifft viele Lebensbereiche. Kleine Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sind schwieriger zu finanzieren und werden deshalb entweder nicht angeboten oder mit anderen Orten zusammengelegt – was wiederum die Wege weiter macht.
#2 Guter öffentlicher Verkehr ist kaum möglich
Die Alltagswege in zersiedelten Regionen sind weiter und können deswegen seltener mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Gleichzeitig ist es aber schwieriger und teurer, dünn besiedelte Gebiete mit öffentlichem Verkehr zu versorgen. Der Bus, die Bim oder die U-Bahn in der Stadt kann öfter und besser gefüllt fahren. Er kann deshalb billiger sein und viel besser als Alternative zum Auto funktionieren. Kleine Gemeinden haben hingegen einfach zu wenig Geld, um Öffis trotzdem so zu betreiben, dass sie attraktiv sind. Die Folge für die dünn besiedelten Orte: öffentlichen Verkehr gibt es entweder gar nicht oder nur sehr schlecht getaktet.
#3 Fortbewegung ist teurer und unsozial
Kinder, Jugendliche und alte Menschen, die ein motorisiertes Fortbewegungsmittel noch nicht oder nicht mehr bedienen können, werden in ihrer Bewegung eingeschränkt, wenn es keinen öffentlichen Verkehr gibt. Denn dann sind die Menschen eben auf das Auto angewiesen. Nachweisbar ist der Autoanteil in der Bevölkerung umso höher, je geringer die Siedlungsdichte ist.
Und er wächst. Je abgelegener Gegenden in Österreich sind, desto höher steigt der PKW-Anteil. Fast die Hälfte aller Haushalte dort hat außerdem zumindest zwei, manchmal sogar drei Autos. In Wien hat laut VCÖ nur jeder zehnte, in anderen heimischen Großstädten jeder fünfte Haushalt ein Zweitauto.
Autos sind nicht billig: Wenn Familien ein oder zwei Autos im Haushalt brauchen, geben sie einen großen Teil des Einkommens dafür aus. Das belastet bereits die Finanzen der Mittelschicht, ist für ärmere Menschen aber ein echtes Problem. Sie werden dadurch auch vom gemeinschaftlichen Leben ausgeschlossen.
#4 Natur und Klima leiden
Es scheint vielleicht am ersten Blick unlogisch, aber gerade jene Lebensweise, die näher an der Natur sein will, ist für Umwelt und Klima problematischer. In zersiedelten Gebieten ist der Verbrauch von Bodenfläche, von Energie und von Ressourcen deutlich höher als in der nur scheinbar unnatürlicheren Stadt. Laut Forschern steht die „steigende Zersiedelung im Widerspruch zu Nachhaltigkeit“.
Dass viel öfters Autos gebraucht werden, ist noch das offensichtlichste Problem. Der Verkehr ist immerhin einer der Hauptverursacher der menschengemachten Klimakrise. Trotzdem wird auch das oft noch unterschätzt. Wer sich ein Niedrigenergiehaus auf die grüne Wiese baut, aber dafür dann ein zweites Auto im Haushalt braucht, hat eine schlechtere Energiebilanz als jemand, der in einer alten Wohnung in einer Stadt oder in einem alten Haus im Ortskern wohnt und auf ein weiteres Auto verzichten kann.
Schlecht für das Klima ist aber auch der höhere Verbrauch von Bodenflächen. Die sogenannte „Bodenversiegelung“ hat langfristige Auswirkungen. Bebaute Gebiete verlieren wichtige Funktionen für die Umwelt und Gesellschaft: beim Hochwasserschutz, beim Speichern von Hitze und Binden von CO2 und natürlich auch als verlorenes Ackergebiet. Und wurde einmal gebaut, kehren diese Funktionen auch nicht so schnell wieder. Die Rückgewinnung von versiegeltem Boden ist schwierig, zeitaufwändig und teuer.
#5 Arbeitsplatzmangel zwingt zum Pendeln
Zersiedelte Gebiete haben relativ wenige Arbeitsplätze und sind öffentlich schwer zu erreichen. Also fahren Menschen zum Arbeiten in die nächste Stadt. Das kostet sie ziemlich viel Geld und Zeit. Durchschnittlich 27 Minuten pro Richtung sind die ÖsterreicherInnen im Schnitt dem Arbeitsweg beschäftigt. Am schnellsten geht der Weg natürlich meist mit dem problematischen Auto.
Dadurch wird auch die Allgemeinheit zur Kasse gebeten. 1,3 Milliarden Euro wurden 2016 allein als Pendlerpauschale in Anspruch genommen. Für manche Menschen ist das eine notwendige Unterstützung – aber wie sozial treffsicher sie insgesamt ist, ist zweifelhaft. Zum größeren Teil beziehen die Pendlerpauschale Menschen, die in der oberen Einkommenshälfte liegen.
Das Pendeln selbst verursacht außerdem massive Verkehrsprobleme in vielen Städten. Stadtmenschen, die selbst recht wenig Auto fahren, müssen dann Lärm und Abgase von Menschen ertragen, die selbst im Grünen leben.
#6 Was tun?
Wissenschaftliche Studien und ExpertInnen haben eine breite Palette an Antworten auf die Zersiedelung. Wenige davon sind aber einfach und schnell umzusetzen. Es braucht ein gemeinsames Umdenken und mehr politische Weitsicht beim Planen von Orten.
„Die Autoabhängigkeit zu verringern ist einer der wesentlichsten Punkte“, sagt VCÖ-Sprecher Gratzer. Da denkt man schnell daran, den Pendelverkehr auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu verlegen oder den Schienen- und Busverkehr auszubauen. Und da führt natürlich kein Weg herum. Aber das kostet auch dauerhaft Geld und dafür muss der Staat unpopuläre Maßnahmen setzen, wie Steuern einzuheben. Am nachhaltigsten und am günstigsten ist es immer noch, Verkehr ganz unnötig zu machen. Bestehende Ortskerne und Siedlungsflächen müssten verdichtet werden, statt immer neuen Boden zu verbrauchen. Dort wo Gebäude und Flächen wieder frei werden, weil Ortschaften schrumpfen, müssen Freiflächen zurückgewonnen werden. Und jene Flächen, die derzeit noch nicht besiedelt sind, brauchen darüber hinaus gesetzlichen Schutz, um eine weitere Ausbreitung der Zersiedelung zu verhindern.
All das sind Aufgaben der Raumplanung. Zuständigkeiten dabei sollten von den Gemeinden auf die Länder übertragen werden. Dadurch könnte mehr Wert auf eine gemeinsame Standortplanung gelegt werden. Derzeit gibt es einen Wettbewerb untereinander um Betriebsansiedelungen und deren Arbeitsplätze und Steuern, sowie um neue EinwohnerInnen. Das trägt stark zur Zersiedelung bei. Viele Sünden der Raumpolitik „entstehen nicht nur durch Großprojekte, sondern auch durch verfehlte Planung, Nachlässigkeit und eine Vielzahl an Gefälligkeiten zugunsten einflussreicher Bauwerber“, sagt Verwaltungsrechtler Gerhard Strejcek.
Aber natürlich hängt ein Teil der Lösung auch an jedem einzelnen von uns und wo wir unseren Wohnort wählen. Und da braucht es bessere Informationen. Viele lassen sich vom Traum vom eigenen Häuschen auf die grüne Wiese locken. Aber Umfragen zeigen auch, dass das oft gar kein Herzenswunsch wäre, sondern viele „ZersiedlerInnen“ auch Ortskerne und Städte in Betracht ziehen würden. Für viele ist es oft eine Preisfrage: Billige Baugründe lassen es sogar vernünftig erscheinen, sich irgendwo ein Haus hinzustellen.
Viele unterschätzen dabei aber die Kosten. Der Baugrund mag billig sein. Langfristig gesehen kostet ein zusätzliches Auto aber oft mehr, als man sich dadurch spart. Wohn- und Mobilitätskostenrechner bieten Hilfe bei der Einschätzung der Folgekosten. Solche Angebote sind oft nicht gut bekannt, ausbaufähig und leider auch nicht überall verfügbar. (Es besteht aber für Oberösterreich, Salzburg und Tirol)
„Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, um Ortskerne attraktiv zu machen und Freistände zu nutzen“, sagt VCÖ-Sprecher Gratzer. Wenn man im Umgang mit Energie, Ressourcen und Mobilität geschickter würde, dann sei auch ein nachhaltiges Landleben möglich.