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Gesundheit

Ein Vater mit Depressionen erzählt: "Mein Sohn merkt vor mir, dass es mir schlecht geht"

Ein Vater mit Depressionen erzählt, wie sich das anfühlt. Man sieht die Silhouetten einer erwachsenen Person, die ein Kind an einer Hand hält. Sie stehen vor einem Sonnenuntergang.
Ein Vater mit Depressionen erzählt, wie sich das anfühlt. Foto: Harika G/Unsplash
Simon (39) ist Vater und hat Depressionen, die ihn regelmäßig aus der Bahn werfen. Das macht es für ihn schwierig, seiner Vaterrolle gerecht zu werden, sagt er in unserer Serie "Was ich wirklich denke".

Ich habe schwere Depressionen und bin seit fünf Jahren Vater. Diese beiden Seiten meines Lebens miteinander zu vereinen, ist oft schwierig für mich.

Sehr oft fühle ich einfach gar nichts. Keine Freude, keine Trauer und manchmal falle ich in ein Loch. Ich nenne diese Löcher Schlaglöcher. Ich habe auch euphorische Phasen, aber in den Löchern bleibe ich viel länger. Manche davon sind sehr tief. Dann ist es schwierig für mich, mich wieder hinaus zu kämpfen. Wenn ich in so einem ganz tiefen Schlagloch bin, ist die Welt viel farbloser, ein Gemisch aus Grautönen. Ich fühle dann wenig oder nur Schmerz.

Wut macht mich klein

Manchmal werde ich auch sehr wütend. Diese Wut richtet sich vor allem gegen mich selbst. Diese Wut schreit mich an, sie macht mich klein, macht mich hilflos und schmeißt mich komplett zurück in eine Opferrolle, in der ich glaube, keine Kontrolle über die Situation zu haben. An schlechten Tagen schaffe ich es gerade einmal aus dem Bett hinaus in die Küche, wo ich etwas esse. Dann liege ich oft stundenlang auf dem Sofa und betäube mit Fernsehen und Social Media meine Gedanken.

An guten Tagen bin ich so energieerfüllt, dass ich alles nachholen möchte, was ich in den Wochen zuvor nicht geschafft habe. Ich schrubbe die ganze Wohnung, lese ein Buch nach dem anderen und versuche so viel wie möglich aus meinem Kraftschub herauszuholen. Dann bin ich am Tag darauf erschöpft, weil ich mich so verausgabt habe.

Depressionen sind ein Tabu – als Elternteil noch mehr

Ich habe mich auch schon selbst verletzt und war mehrmals in psychiatrischen Kliniken untergebracht. Dort habe ich gelernt, offen über meine Erkrankung zu reden. Über Depressionen zu sprechen ist ein Tabu. Aber ein noch größeres Tabu ist es, als Elternteil über Depressionen zu sprechen, über ihre Auswirkungen und die Ängste, die man dabei hat. Zum Beispiel: Wie kann meinem Kind meine mentale Ungesundheit schaden?

Ich empfinde meinem Sohn gegenüber oft Scham, weil ich nicht so stabil bin, wie ich gerne wäre. Das hindert mich oft daran, bei ihm zu sein. Auch wenn ich körperlich anwesend bin, bin ich emotional oft nicht ganz da. Ich fühle mich hilflos, enttäuscht und traurig und kann meine eigenen Erwartungen nicht erfüllen – und die meines Sohnes auch nicht. Früher dachte ich immer, ich würde einmal der Papa sein, der am Boden Lego baut und in die Fantasiewelt abdriftet, weil ich selbst immer eine sehr bunte Fantasiewelt hatte. Aber jetzt merke ich, dass ich das nicht bin.

Es gibt bessere und schlechtere Tage

Als er noch sehr klein war, konnte ich besser mit ihm umgehen. Seit er mitteilungsbedürftiger geworden ist, fällt es mir schwerer, eine positive Bindung aufzustellen. Wenn es mir schlecht geht, bin ich schnell von ihm genervt und statt an mir selbst zu arbeiten, möchte ich ihn verändern. Obwohl eigentlich ich als Vater die Verantwortung trage. 

In seiner Verzweiflung wird mein Sohn dann manchmal aggressiv. Dann beißt und tritt und kratzt er. Ich schaffe es dann nur selten, ruhig zu bleiben und ihm die Sicherheit zu geben, die er eigentlich braucht. Einmal bin ich einfach dagesessen, habe geheult, war wütend und sauer und konnte ihn in seiner Emotion nicht begleiten.

An anderen Tagen schaffe ich es, mit seiner Aggressivität spielerisch umzugehen. Dann gehen wir aufs Sofa und balgen uns. Da kann er treten und schlagen und springen. Dabei baut sich seine Wut total schnell ab. 

Ich bereite mich gut vor, wenn mein Kind kommt

An meinen Depressionen ist auch die Beziehung zur Mutter meines Sohnes zerbrochen. Wir verstehen uns nach wie vor sehr gut, leben aber getrennt. Meistens ist mein Sohn bei ihr. Aber er kann immer zu mir kommen, wenn er möchte und an den Wochenenden ist er auch viel hier.

Wenn ich weiß, dass er zu mir kommt, bereite ich mich immer gut vor. Dann ruhe ich mich am Vortag aus und mache Programm, durch das ich mich besser fühlen kann. Ich gehe gerne fotografieren oder pflege meinen Bart. Manchmal lackiere ich auch meine Nägel. Glitzernde Farben machen die Welt bunter und mir persönlich bessere Laune. Wenn mein Sohn dann bei mir ist, freue ich mich sowieso sehr.

Mein Sohn ist das tollste Kind, das ich mir wünschen könnte. Er ist willensstark und unglaublich kreativ. Er ist der krasseste, empathischste Sensor, den ich in meinem Umfeld habe. Er merkt schon, bevor es in meinem Kopf anfängt, dass es mir schlecht geht und versucht, mich rauszuholen. Das ist für ihn bestimmt nicht einfach. Vor allem dann, wenn  seine Mühen umsonst sind. Manchmal kann ich meine Stimmungen einfach nicht ändern. Ich glaube, da muss er sehr viel aushalten. 

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