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Gesundheit
Kapitalismus

Patente für Impfstoffe und Medikamente: Warum es sie gibt und warum sie ein Problem sind

Der Markt forscht nicht genug, um Krankheiten und Epidemien zu bekämpfen. Patente für Impfstoffe und Medikamente sollen eigentlich sicherstellen, dass Unternehmen mehr forschen, weil sie davon profitieren. Aber dann verkaufen sie die Impfstoffe und Medikamente zu teuer und in zu geringen Mengen. Gibt es bessere Lösungen? 
 
Cover zur Rubrik "Erklärs mir doch ganz einfach" mit Max Kasy zeigt ein Foto von Max Kasy auf grünem Hintergrund

Der österreichische Top-Wirtschaftsprofessor Max Kasy erklärt normalerweise StudentInnen in Oxford und Harvard die Wirtschaft. MOMENT fordert ihn in der neuen Serie „Erklärs mir doch ganz einfach“ heraus, komplizierte Konzepte und Begriffe in verständliche Sprache zu übersetzen.

In Europa und Nordamerika kommt die Corona-Pandemie langsam unter Kontrolle. Immer mehr Menschen haben Zugang zu Impfungen, die sie vor einer COVID-Erkrankung schützen. Hoffentlich können wir im Laufe dieses Jahres wieder so etwas wie ein normales Leben beginnen.

Im Rest der Welt sieht es leider ganz anders aus. In Indien, aber auch in Südamerika, explodieren derzeit die Ansteckungen und Todesfälle, und kaum jemand hat Zugang zu Impfungen. Das ist einerseits unglaublich ungerecht. Das ist andererseits aber auch gefährlich für die Menschen in reichen Ländern, weil sich die Krankheit weiter verbreitet und weiterentwickelt. 

Leute aus Ländern wie Indien kritisieren dementsprechend (zurecht) die weltweite Verteilung von Impfstoffen und anderen Medikamenten. Sie fordern, dass “Patente” für Impfstoffe aufgehoben werden sollen; die Vertreter reicher Länder wehren sich aber dagegen. Aber was sind eigentlich “Patentrechte”? Warum gibt es die, und sollten wir die aufheben? Gibt es andere Möglichkeiten?

Was für ein Problem für die Impfstoff-Entwicklung sollen Patente lösen?

Bei der Entwicklung von Impfstoffen und anderen Erfindungen gibt es zwei entgegengesetzte Probleme. Es ist sozusagen die Wahl zwischen zwei Übeln.

Das erste Problem bei Erfindungen ist, dass der gesellschaftliche Nutzen von Erfindungen oft viel größer ist, als der private Nutzen für die ErfinderInnen. Deswegen investiert der Markt zu wenig in Forschung. (Das ist genau umgekehrt wie bei der Umweltverschmutzung, wo die sozialen Kosten größer sind als die privaten Kosten, und der Markt zuviel verschmutzt – das habe ich in meinem Artikel zu CO2 Steuern erklärt.)

Das ist das häufigste Argument für Patente: Sie verhindern, dass man Erfindungen ohne Zustimmung der ErfinderInnen verwenden darf. Wenn niemand anderer die Erfindung verwenden darf, dann wird der private Nutzen für die Erfindung größer, und der Markt investiert mehr in Forschung.

Das führt aber dann zu einem zweiten Problem. Wenn nur eine, zum Beispiel eine Pharmafirma, die Erfindung verwenden darf, dann kann sie viel höhere Preise verlangen. Sie hat dann ein “Monopol”. Deswegen werden zum Beispiel weniger Impfstoffe verkauft als sozial nützlich wäre, weil die Pharmafirma einen höheren Preis verlangt als es sie kostet, den Impfstoff zu produzieren.

Was ist geistiges Eigentumsrecht und was haben Patente damit zu tun?

Die Idee am Patentrecht ist es, zumindest theoretisch, einen Kompromiss zwischen diesen beiden Problemen zu finden. Firmen bekommen “Patente”, die ihnen für eine gewisse Zeit Eigentumsrechte an ihren Erfindungen geben, damit sie in Forschung investieren. Danach gehören die Erfindungen der Allgemeinheit, damit alle von den Erfindungen profitieren können.

Die Geschichte ist aber noch komplizierter. Im Nachhinein, wenn ein Medikament erfunden ist, ist es immer besser, Patentrechte aufzulockern, damit mehr Medikamente billiger verfügbar sind. Aber im Vorhinein macht es vielleicht manchmal Sinn, das zu verhindern, damit neue Medikamente entwickelt werden.

Wer will Patente und wer nicht?

Und nicht alle wollen dasselbe. Pharmaunternehmen wollen eine möglichst strikte Auslegung des Patentrechts, damit sie möglichst große Profite machen.

Öffentliche Krankenversicherungen wollen oft das Gegenteil, damit sie weniger für Medikamente zahlen müssen.

Reiche Länder verteidigen Patente, weil dort die Pharmaunternehmen sitzen.

Arme Länder wollen Patentrechte auflockern, damit sie Medikamente für ihre Menschen produzieren können.

Aber arme Länder haben auch das entgegengesetzte Problem: Für viele Krankheiten, die vor allem arme Leute betreffen, entwickelt der Markt keine Medikamente, weil es sich nicht lohnt. Selbst mit striktem Patentrecht ist es zum Beispiel bisher nicht profitabel genug, Malaria-Medikamente für die Marktnachfrage zu entwickeln.

Gibt es eine Alternativen zum Patent?

Das ist alles nicht so erfreulich: Der Markt entwickelt nicht genug Medikamente für Leute, die nicht reich genug sind. Und die Medikamente, die es gibt, werden dank Patentenzu teuer verkauft, so dass arme Länder sie sich nicht leisten können.

Aber es gibt Alternativen zum Patentrecht. 

Einerseits ist da die öffentlich finanzierte Forschung. Ein Großteil der Grundlagen für Covid-Impfstoffe wurde mit Steuergeld entwickelt – zum Beispiel an Universitäten oder anderen Instituten. Es würde Sinn ergeben, wenn diese Entwicklungen dann auch der (weltweiten) Allgemeinheit gehören. Für öffentliche Forschung braucht es keine Patente. Und wir sollten noch mehr öffentliche Forschung betreiben für die Krankheiten, die arme Länder betreffen.

Ein anderer vielversprechender Zugang sind vorher versprochene Abnahmen (auf Englisch nennt man das: “advance market commitments”). Die Idee ist so etwas wie ein Preisgeld. Der Staat oder internationale Organisationen versprechen, ein Preisgeld auszuzahlen für die erste Firma die einen Impfstoff entwickelt, der bestimmten Kriterien entspricht, und die entsprechende Kapazität zur Herstellung aufbaut. Im Gegenzug verpflichtet sich die Firma, den Impfstoff zu Produktionskosten zu verkaufen.

Weltweiter Zusammenhalt jetzt!

Das sind aber alles längerfristige Lösungen. In der Zwischenzeit verursacht die Covid Pandemie weiter unglaubliches Leid in vielen armen Ländern. 

Die Aussetzung der Patente für Covid Impfstoffe sollte in Betracht gezogen werden. Leider würde es selbst bei so einer Aussetzung länger dauern, weitere Produktionskapazitäten aufzubauen.

In jedem Fall muss der nationale Egoismus aufhören. Wir dürfen nicht weiter Impfstoffe und andere medizinische Mittel in reichen Ländern horten. Die Pandemie wird auch bei uns nicht unter Kontrolle kommen, bis die Versorgung überall sichergestellt ist. Niemand ist frei bis alle frei sind.

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