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Demokratie

Österreich nach Sebastian Kurz: Die Medien können nicht so weitermachen

Sebastian Kurz nach dem Platzen des Skandals um das Österreich-Beinschab-Tools
Sebastian Kurz und die Medien in Österreich – Foto: Alexa Halada/AFP/picturedesk.com
Medien spielen eine zentrale Rolle in der Causa, die den Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler ausgelöst hat. Das tun sie aber schon die gesamte Amtszeit über. Ein reinigendes Gewitter in der Branche ist überfällig. Eine Analyse von Tom Schaffer.

Das Netzwerk rund um Sebastian Kurz hat es an die Spitze der ÖVP und Republik geschafft – auch weil es Meinungsumfragen und im weiteren Verlauf die Berichterstattung in Medien manipuliert haben soll. Willfährige Gehilfen und Profiteure fand er, den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft nach, im Boulevardblatt ÖSTERREICH, geführt von den Brüdern Wolfgang und Helmuth Fellner. Es gilt in strafrechtlichen Fragen für alle die Unschuldsvermutung.

Das nun aufgeflogene System Kurz geht weit über diese unterstellten Deals hinaus. Es erzählt uns auch etwas über die Medien der Republik. Es geht um Verhaberung, Macht, Einfluss, um Geld: all das abseits strafrechtlicher Vorwürfe und vor den Augen aller. 

Denn es gibt mindestens zwei Geschichten, die man sich dieser Tage über die österreichischen Medien erzählt. 

#1 Die Medien als Opfer der Politik

Die erste Version wird gern in der Branche erzählt. Sie geht so: Die Politik in Österreich kauft sich mit Unsummen an Geld nach und nach Einfluss in den Redaktionen. Die Medien sind ausgehungert – vom Technologiewandel und dem Abwandern der Werbegelder. Und sie werden durch zunehmende Abhängigkeit von der Politik gefügig gemacht. Der Journalismus ein Unschuldslamm, unter Druck und Knute der Politik. 

Wie jede gute Geschichte ist auch diese in Teilen wahr. Die spärliche Presseförderung sichert teils skurrile Konstruktionen in alten Medienhäusern: belohnt wird nach wie vor hauptsächlich die Reichweite der gedruckten Zeitung. Wer auf digitale Angebote setzt, geht leer aus. Gefördert hingegen werden Kabel-TV-Sender. Nicht zuletzt deshalb wachsen diese wie Schwammerl aus dem Boden: journalistische Qualität? Vielfalt? Egal. Was zählt, sind die gesendeten Minuten. Die immer größeren öffentlichen Ausgaben für Inserate in Österreich werden von der Politik aber auch den Medienverantwortlichen als eine Art indirekte Förderung missverstanden. 

2020 gab die öffentliche Hand offiziell 222 Millionen Euro für Inserate aus. Weitere 50 Millionen dürften einer aktuellen Studie zufolge durch Melde-Schlupflöcher gesickert sein. Bis zu 40% der Umsätze kommen bei den Gratis-Blättern von der öffentlichen Hand. Neben dem Bund sind da auch Länder, Städte und staatliche Betriebe dabei – besonders weit vorne auch die Stadt Wien mit ihrer Sonderstellung als Großstadt und Bundesland. Im nationalen Printmarkt ist natürlich besonders die Regierung ein bedeutender Werbe-Auftraggeber. Die Vergabe von Inseraten erfolgt de facto freihändig, jedes Ministerium entscheidet selbst über seine Ausgaben. Die Gefahr von Abhängigkeit und Einflussnahme ist offensichtlich.

Im Juni 2021 wurde sie noch offensichtlicher. Da schrie die Verlagsgruppe News auf. Das Finanzministerium habe nach einer kritischen Story über Sebastian Kurz in News einen Inseratenstopp verkündet. „Mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten werden Medienunternehmen belohnt, sediert oder bestraft“, sagte Verleger Horst Pirker. Unter Sebastian Kurz habe diese Strategie der Politik „eine neue Dimension erreicht“. Nach dem Rücktritt von Kurz schlägt Pirker noch einmal Alarm. Sollte Kurz noch einmal als Kanzler zurückkommen, werde er “die letzten Widerstandsnester ausräuchern, angefangen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft über ‘Falter’, ‘Der Standard’ bis zu den Redaktionen von ‘Ö1’ und der ‘ZIB 2’.”

Die PR-Branche blüht

Die Medienhäuser sind aus vielen Gründen finanziell unter Druck. Immer weniger Journalist:innen sollen heute eine Kontrollfunktion ausüben, die schon früher nicht gerade perfekt geleistet wurde. Was auf Seite der Medien an Ressourcen fehlt, wurde auf Seite der Politik in den letzten Jahren aufgestockt. Im Mai berichteten im Falter mehrere Journalist:innen anonym über ihre Erfahrungen mit dem Kanzler und seinem Team. Da ist von einer bisher nicht dagewesenen “Akribie” in der Medienbeobachtung die Rede. “Manchmal dauert es nur Sekunden vom Onlineschalten einer Geschichte bis zum Anruf aus dem Bundeskanzleramt”, sagt jemand. “Offenbar gibt es auch genügend Mitarbeiter:innen, die sich darum kümmern können”, jemand anderes.

Weltweit wachsen in Politik und Unternehmen die PR- und Medien-Abteilungen, während die Redaktionen schrumpfen, die sie beobachten und kontrollieren sollten. Das zeigte der britische Journalist Nick Davies 2008 in seinem Buch Flat Earth News. Und es ist auch in Österreich beobachtbar. Die gewachsenen Kabinette und Reihen der Pressesprecher:innen und PR-Leute sind ein bekanntes Problem. 59 Mitarbeiter:innen für PR gab es, wie eine parlamentarische Anfrage der Neos aufzeigt, Anfang 2020 allein im Bundeskanzleramt. Von jenen, die in anderen Ministerien, bei externen Agenturen oder direkt in der Partei arbeiten, ist da noch gar keine Rede. Auch deshalb konnte das System Kurz die “Message Control” auf ein neues Niveau heben. 

Vielleicht ist das ein Grund, warum mediale Kampagnen oft so auffallend gut mit politischen Interessen zusammen passen? Warum mitten in einer Diskussion über die Kürzung des Arbeitslosengeldes zum Beispiel plötzlich überall Unternehmer:innen auftreten dürfen, die Arbeitslose attackieren? Warum Kurz mit seinem „News Cycling“ lange so gut durchgekommen ist? Warum so oft Bilder verwendet wurden, die ihn super aussehen ließen? Sind die Medien in ihrer schlechten Verfassung einfach wehrlos gegen eine PR-Übermacht?

#2 Die Politik als Opfer der Medien

Es gibt eine zweite Version der Geschichte über die heimischen Medien. Die erzählen die Politiker:innen. Und die geht so: Einige Medien erpressen die Politik geradezu. Schon in einer Arte-Doku aus dem Jahr 2002 (“Kronen Zeitung – Tag für Tag ein Boulevardstück”), die die Kronen Zeitung noch unter dem Gründer Hans Dichand beleuchtete und die im ORF nicht ausgestrahlt werden durfte, kam das gut heraus. Sie zeigte, wie viel Macht die Krone im Land hat – und wie sie Parteien und Politiker:innen fördert, ausbremst oder schlicht auf Linie bringt, um diese Macht auszuüben.

„Sie ist ein Prisma, durch das sich der Erfolg des Populismus in diesem Land verstehen lässt“, heißt es in der gnadenlos offenen Doku. Die Krone bildet das Land seit Jahrzehnten nicht nur ab. Sie prägt es auch nach eigenen Interessen. “Wir wollen den Menschen eine halbe Nasenlänge voraus sein”, sagte der alte Dichand in der Doku.

Neuer als die Macht der österreichischen Boulevard-Medien an sich ist vielleicht, welche Rolle politische Inserate dabei spielen. Denn bei manchen gilt: Wer nicht genug inseriert, wird nicht gut behandelt. Oder schlimmer noch: wer nicht genug inseriert, wird öffentlich beschädigt. Die Inserate der öffentlichen Hand sind demnach eine Schutzgeldzahlung – vor allem gegenüber dem Boulevard. Dieser habe das mitunter zum Geschäftsmodell gemacht.

Eine lange Reihe an Opfern

Es gibt einige Hinweise darauf, dass auch diese Geschichte nicht falsch ist. Die Reihe der vermeintlichen Opfer ist lange. Man erinnert sich jedenfalls gerade heute an die Berichterstattung über Christian Kern (SPÖ) vor der Wahl 2017. Kern wollte als Kanzler die Werbeausgaben senken. Danach fühlte er sich von “Österreich” nach mehreren ziemlich persönlichen Berichten so schlecht behandelt, dass er die Partei-Inserate im Wahlkampf einstellte und dem Medium kein Interview mehr gab. Aus heutiger Sicht steht der beobachtbare Umschwung in der Berichterstattung mit den enthüllten Verbindungen in die Kurz-ÖVP noch einmal in einem zusätzlich dubiosen Licht. 

“Einzelne Zeitungen waren Teil des Kurz-Camps und haben sich auch so verhalten”, sagt Kern heute und wirft das auch “Krone”, “Presse”, “später dem Kurier” und “Teilen des ORF” vor. Wobei er teilweise auch Eigeninteressen und politische gleiche Gesinnung als Motiv vermutet – nicht immer Gegengeschäfte.

Kern war als Opfer solcher Kampagnen jedenfalls nicht allein. Schon davor war sein Koalitionspartner und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner das Ziel der medialen Angriffe, die auffallend mit der Agenda des Inserate-freudigen Außenministers Sebastian Kurz zusammenfielen. Und wer etwa Jahre später an den Rücktritt des Gesundheitsministers Rudolf Anschober (Grüne) denkt, könnte einige Muster auch dort wieder erkennen. Der populäre Gesundheitsminister drohte dem Bundeskanzler Kurz in den ersten Monaten seiner Amtszeit und Corona-Krise den Rang als beliebtester Politiker im Land abzulaufen. Plötzlich nahmen die Attacken zu und wurden die Bild-Collagen fieser. 

Sollte die Schaltung von Inseraten im Boulevard als Schutzgeld gewertet werden, dann hat Anschober es jedenfalls nicht bezahlt. Laut einer Analyse des Medienhaus Wien kam in seinem Ressort “die Kronen Zeitung bei Werbeschaltungen gar nicht vor. Österreich und Heute nur mit Bagatellbeträgen”. Anschober dankte Sebastian Kurz bei seinem Abtritt nicht für die Zusammenarbeit.

Das offene Geheimnis

Eine der wichtigsten Kronzeug:innen für die Täter-These über die Medien ist Karin Kneissl. Sie hatte 2017 als parteifreie Politikerin auf Nominierung der FPÖ hin das Außenministerium ausgerechnet nach Kurz übernommen. Das Inseratebudget erschien ihr üppig und zweckfremd. Sie kürzte es radikal – entgegen der Warnungen von Vertrauten. Das sagte sie 2019 in einem Interview mit “Dossier” und vor dem Ibiza-U-Ausschuss (bekanntermaßen unter Wahrheitspflicht). Eine Reaktion auf die Kürzung sei “aus fast allen Redaktionen” gekommen. Aber natürlich in unterschiedlichem Ausmaß. 

“Österreich” ist, wenn die zahreichen Vorwürfe und Munkeleien auch nur ansatzweise stimmen, ein besonders widerliches Beispiel medialer Unehrenhaftigkeit. Auch Kneissl warf der Fellner-Gruppe vor, dass die Höhe des Werbebudgets mehr oder weniger offen mit der Art der Berichterstattung in Zusammenhang stand.

Es ist nicht nur ÖSTERREICH

Aber “Österreich” allein ist nicht das Problem. Den Boulevard insgesamt begleiten ähnliche Vorwürfe schon lange. “Wenn der Nationalrat die Inseratenaffäre wirklich ‘schonungslos’ aufklären will, dann sollte er endlich auch jene in den U-Ausschuss vorladen und hart befragen, die in dieser Affäre wirklich bestechlich waren: die amtierenden und ehemaligen Eigentümer der großen Boulevardblätter und ihre Erfüllungsgehilfen in den Chefredaktionen”, schrieb Falter-Chefredakteur Florian Klenk schon 2012 zur Causa Faymann (siehe unten). Die öffentlichen Inserate müssen seither gemeldet werden. Sonst ist nicht viel passiert. Und die Branche hat sich auch nie selbst gereinigt.

“Das ganze politische System hat diese Methoden immer mitgetragen. Ich bin nicht sicher, ob das jetzt zu Ende ist”, sagt Helmut Brandstätter gegenüber MOMENT auch jetzt noch über die Inseratenkorruption, die er schon seit vielen Jahren anprangert. 

Vom Chefredakteur zum Kurz-Kritiker

Brandstätter war von 2010 bis 2018 Chefredakteur und bis 2019 Herausgeber des Kurier. (Anmerkung des Autors im Sinne der Transparenz: Ich habe von Anfang 2017 bis Mitte 2019 im Kurier in der Online-Redaktion gearbeitet. Brandstätter war damit dort auch mein Chef.) Er ist einer jener Journalist:innen, die sich auch als Politiker:innen versuchen wollen. Denn heute sitzt er für die Neos im Nationalrat und ist ein lautstarker Kritiker des Systems Kurz. 

“Der hasst mich”, sagt Kurz über Brandstätter in einem Chat mit Schmid, als der ihn um eine Intervention wegen eines unangenehmen Kurier-Artikels bittet. “Da frage ich mich, auf was hin?”, wundert sich Brandstätter im Gespräch mit MOMENT. Im Ibiza-U-Ausschuss kam es zu einem emotionalen Moment zwischen Kurz und Brandstätter, der ihr Verhältnis zum Ausdruck bringt. Kurz behauptet, er habe nie Einfluss auf die Personalien bei Medien genommen. Brandstätter nennt das eine Unwahrheit. Er hält seine eigene Ablöse für eine Folge von personeller Einflussnahme durch Kurz.

Umbau beim Kurier

Der Hintergrund ist für Brandstätter dieser: Im Wahlkampf 2017 habe Kurz zu ihm im Juni gesagt, er erwarte, dass der “Kurier” ihn im Wahlkampf unterstütze. Und: “Du kannst nur mein Freund oder mein Feind sein.” Als Brandstätter da nicht mitmachen wollte, habe Kurz ihn offenbar zum Feind erklärt. Und dann habe Kurz merkbar auf seine Absetzung hingewirkt. “Dass von ihm da Druck ausgeübt wurde, das wissen alle Beteiligten”, sagt Brandstätter.

Brandstätter wurde als Chefredakteur jedenfalls durch Martina Salomon abgelöst (die Kurier-Redaktion darf laut Statut neue Chefredakteur:innen ablehnen, stimmte ihrer Ernennung aber mit 55% zu). Es folgte dort danach ein redaktioneller Umbruch, in dem praktisch alle Ressortleitungen (darunter die für Innenpolitik, Wirtschaft und die für die Lokalpolitik zuständige Chronik) und viele Führungspositionen ausgetauscht wurden (unter anderem wurde Richard Grasl Teil der Chefredaktion, der 2016 als ÖVP-Favorit daran scheiterte, ORF-Generaldirektor zu werden).

Kritik wird nicht geduldet

Die harte Auseinandersetzung mit Brandstätter zeigt vielleicht auch, wie unversöhnlich, kompromisslos und empfindlich das System Kurz auf Kritik reagiert. Denn der Kurier galt in der Branche auch unter dem Sohn eines Landwirtschaftskammer-Funktionärs, der sich selbst als “christlichsozial” bezeichnet, nicht wirklich als ÖVP-feindlich. Wieso auch? Die ÖVP-nahe Raiffeisen (die Zentralbank hält 50,56% des Kurier) war schon immer ein wichtiger Eigentümer. Danach (2018) stieg nun auch noch die Signa Holding ein (durchgerechnet hält sie 24,2%). Sie gehört dem Kurz-Vertrauten René Benko. 

Gerade in der SPÖ hat man auch den Kurier im Wahlkampf 2017 durchaus als ÖVP-freundlich empfunden. Am Wahlabend berichtete ich für die Online-Ausgabe von deren Wahl-Veranstaltung und bat Leute um Stellungnahmen zum Wahlabend. “Dürft ihr jetzt wieder frei schreiben?“, fragte mich ein hochrangiger Funktionär, als ich mich vorstellte (wohlgemerkt: auch keine professionelle Art, mit einem Journalisten zu reden). “Manche Artikel oder Kommentare hätte ich anders geschrieben”, sagt Brandstätter im Rückblick über den Wahlkampf 2017. Aber das sei auch Teil der “bürgerlichen aber nicht parteipolitisch ausgerichteten Bandbreite” gewesen, die den Charme des Kuriers ausmache.

Einfluss in die Redaktionen

Apropos empfindlich. Es gibt viele Beispiele, dass die “Message Control” der ÖVP weit in Redaktionen hinein reichte. Sie deponierte Beschwerden über Kritik. Und sie wollte von unvorteilhaften Fotos bis zu Headlines für Änderungen sorgen – und schaffte es manchmal auch. 

Brandstätter selbst berichtete in seinem Buch (“Kurz & Kickl”), dass der Medienbeauftragte Gerald Fleischmann im Kurier einen Redakteur angerufen und das Gespräch begonnen hätte mit: “Spricht da die sozialistische Tageszeitung Kurier?” Es gab etwa auch Berichte über Interventionen im ORF, weil die Fragen bei einem TV-Duell 2017 von Kurz und Ulrike Lunacek (Grüne) dem ÖVP-Kandidaten “zu grün” gewesen seien. Auch der Ex-Kanzler selbst rief gerne in Redaktionen an – etwa nach Berichten zu einem umstrittenen Auftritt des Kanzlers im Kleinswalsertal. Das zeitweise durchaus bedenkliche Verhalten wollten freilich nicht alle Chefredakteur:innen immer als Intervention verstehen.

Bei einer Entgleisung von Kurz in einem Interview mit PULS 4, wäre es aber glasklar eine gewesen: Er diskutierte vor laufender Kamera eine kritische Frage von Redakteurin Alexandra Wachter und wurde dann persönlich: “Sie haben ja ein eigenes Hirn.” Ausgerechnet diese aus journalistischer Sicht eigentlich interessante Stelle wurde aus der gesendeten Version herausgeschnitten. Mehreren Medien – darunter auch MOMENT – wurde damals von Puls-Mitarbeiter:innen berichtet, dass das auf Intervention der ÖVP passierte. Der Sender und das Bundeskanzleramt haben das bestritten. Fix ist: Erst nach öffentlichen Berichten und internen Protesten wurde die Vollversion später online gestellt. (Ab Minute 3:40 zu hören.)

 

 

Die ÖVP hat es nicht allein erfunden

Dass die Partie von Kurz das Geld-, Macht- und Intrigenspiel mit den Medien ganz allein erfunden hätte, wäre zu viel der zweifelhaften Ehre. (Harmloser wird es dadurch natürlich nicht.) “Interventionen haben alle versucht”, sagt Brandstätter. “Die Frage ist immer, wo es unanständig wird.”

Das betrifft auch die fragwürdigen Inserate: Schon bis 2013 beschäftigte die Republik eine Inseraten-Causa von Werner Faymann (SPÖ) aus seiner Zeit im Infrastruktur-Ministerium (2007/8). Faymann gilt als derjenige, der die Regierungsinserate erstmals so richtig eskalieren ließ. 2013 wurden die Verfahren nach mehreren Jahren schließlich eingestellt – den involvierten Staatsbetrieben ÖBB und Asfinag sei bei den Anzeigen, die den Staatsanwält:innen damals untersuchungswürdig schienen, schließlich kein Schaden entstanden.

Vor der Einstellung des Verfahrens schrieb der damals frischgebackene Falter-Chefredakteur Florian Klenk darüber. Faymann habe “jenes Wiener Medienwesen bedient, von dem Politiker und Boulevard in Österreich so gut leben”. Er habe staatsnahe Werbegelder “in die Betriebe der Familien Dichand und Fellner” umleiten lassen, “um in deren Zeitungen als ‘Volkskanzler’ und ‘Austro-Obama’ hochgejubelt zu werden.” Kommt einem bekannt vor? Es erhärtet sich der Eindruck: Der Boulevard lebt geradezu von solchen Gegengeschäften. 

Aber Abhängigkeiten und fragwürdige Vorgänge gibt es auch anderswo. “Am mühsamsten” sei neben den Fellners die “Presse” gewesen, sagte die einstige Außenministerin Kneissl über die Reaktionen auf die Kürzung der Werbemittel. Von der ‘Presse’ wurde mir ausgerichtet, dass der Chefredakteur mir mitteilen lasse, ich solle wahrnehmen, dass ich Arbeitsplätze gefährde”, sagte Kneissl. 

 
Christian Rainer (Profil), Sebastian Kurz (ÖVP) und Rainer Nowak (Die Presse) 2019 bei einer Veranstaltung

Christian Rainer (Profil), Sebastian Kurz (ÖVP) und Rainer Nowak (Die Presse) 2019 bei einer Veranstaltung – Foto APA/picturedesk/Barbara Gindl

 

Die Rolle der „Presse“

Dass die Presse in diesem Zusammenhang auftaucht, mag für viele überraschend sein. Die Zeitung gilt als verlässlich konservativ, aber auch als Qualitätsblatt mit solidem Journalismus. 

Ihr Chefredakteur Rainer Nowak betont gegenüber MOMENT: “Die Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung ist Teil unserer DNA. Allein aus dieser Tatsache heraus, ist es undenkbar, dass die Presse Teil irgendeiner Kampagne ist oder sein kann.” Und gegen Interventionen oder Interventionsversuche sieht er sich selbst als die Firewall, die die Redaktion schütze: “Bei uns enden mögliche oder tatsächliche Interventionsversuche wirkungslos in der Chefredaktion.”

Chefredakteur Nowak in den Chats

Nowak selbst kommt in den vielen verschiedenen Chat-Leaks von Thomas Schmid & Co erstaunlich oft vor. Als jemand, dem man Umfragen geben könne. Als jemand der “kooperativ” sei. Als jemand, der dafür sorge, dass ungewollte Geschichten nicht zum Seitenaufmacher würden. Als jemand, der “vorne dabei” sein würde, wenn man mit der ÖBAG “bald fertig” sei. Als jemand, der andere Parteien als “Wichtigtuer” bezeichnet und der Kurz-Clique gleichzeitig Dinge mitteilt, die er als Journalist von seinen Quellen erfahren hat.

Rückblickend ist es eigentlich unglaublich. Nowak schrieb schon 2017 in seinem Newsletter und laut den Ermittlungsakten Tage später noch einmal in der Zeitung eine Geschichte, die bekannt klingt. Er hatte sie von der SPÖ gehört. Es geht um verdächtige Umfragen, die die ÖVP gut dastehen lassen. Das Finanzministerium könnte sie bezahlt haben und erschienen seien sie in “Österreich”. Die Auflistung hat erstaunliche Parallelen zu den Umfragen, die die WKStA nun für verdächtig hält. Nur: Nowak sieht in seinem Text den Skandal offensichtlich nicht. Er macht sich über die Geschichte sogar lustig: “Subtil, oder?”

Der Austausch mit Schmid

Bei einer komplizierten Causa in die Irre geleitet zu werden, das kann allen passieren. Und hinterher kann das manchmal übel aussehen. Das leicht Spöttische im entsprechenden Text etwa, das wirkt in diesem Fall nicht vorteilhaft für Nowak. Aber es gehört zu seinen Stilmitteln.

Noch bevor Nowak die Geschichte erstmals veröffentlichte, hat er mit Thomas Schmid darüber gesprochen. “Ruf mich kurz an”, schreibt Nowak am Abend davor an Schmid. Der damalige Generalsekretär des Finanzministeriums tut das auch. Aber im Text steht nicht, dass das Ministerium etwas dazu gesagt hätte. 

Schmid chattet gleich am Morgen danach mit dem heutigen Kurz-Pressesprecher Johannes Frischmann über den Newsletter. Er schreibt: “Habe mit Nowak schon darüber gesprochen”. Sogar seine Quelle scheint Nowak ihm verraten zu haben: “Kern redet mit allen Journis.” Die gute Nachricht für die ÖVP damals: Die Story sei “zu kompliziert” und “fliegt nicht”. So fasst Schmid das zusammen, was Nowak ihm dem Anschein nach erzählt hat.

Unangenehme Causa

Am Nachmittag tauschen sich Nowak und Schmid noch einmal per Chat darüber aus. Nowak erzählt Schmid, dass die Neos (“Wichtigtuer”) angeblich eine parlamentarische Anfrage an den Finanzminister Hans Jörg Schelling zu der “Umfrage Geschichte BMF” machen. “Hast du aber bitte bitte bitte nicht von mir. Spoe Neos Allianz offenbar”, berichtet Nowak. 

Gegenüber MOMENT antwortet er nicht noch einmal direkt auf Fragen zu dieser Causa. In der ORF-Runde der Chefredakteure am Tag nach dem Kurz-Rücktritt ist ihm die Sache “durchaus unangenehm”, als sie kurz angesprochen wird. Er habe die Geschichte damals “nicht auf den Boden gebracht”, gestand er. Unangenehm, tatsächlich. Denn das kann man ihm jetzt höchstens glauben oder weiter an ihm zweifeln. 

Nowak: “Kontakte notwendig um gute Zeitung zu machen”

Hat Nowak deshalb von der Causa rund um die Kurz-Clique gewusst oder dort mitgewirkt? Das ist damit natürlich nicht gesagt. Er ist wohlgemerkt kein Beschuldigter in den Ermittlungen und in den bekannten Chats nur eine Randfigur. “Rainer hält nie, das regt mich so auf”, schreibt Thomas Schmid immerhin auch einmal. 

Nowak selbst will “grundsätzlich” all die Chats nicht kommentieren, in denen “ich genannt werde, aber nicht Teil der Kommunikation bin. Das macht überhaupt keinen Sinn. Aber dort wo ich persönlich zitiert werde und nicht den richtigen Ton getroffen habe, dort entschuldige ich mich dafür. So wie ich es im Zusammenhang mit den Neos bei Frau Meinl-Reisinger gemacht habe”.

Als Chefredakteur habe er Kontakt “mit den unterschiedlichsten politischen Entscheidungsträgern, und deren Büros”. Als Informationsquellen seien diese “essentiell” um den politischen Diskurs einschätzen zu können. “Kontakte auch zu den (politisch) Mächtigen oder jenen, die es sein wollen, zu halten, ist bei aller kritischen Distanz notwendig, wenn man eine gute Zeitung machen will.” Dass das (“meist verstümmelt”) in Chatprotokollen zu sehen sei, hält er für “wenig verwunderlich”. Das musste Nowak auch vergangene Woche seiner Redaktion in einem Forum erklären. Eine interne Untersuchung soll zumindest gezeigt haben, dass die in den Chats angesprochenen Interventionsversuche keine Früchte trugen.

Nowak hat sich bei den Leser:innen der Presse mit ein wenig Verspätung öffentlich für den entstandenen Eindruck entschuldig. Ob sie mit dem Verhalten des Chefredakteurs in den Chats zufrieden ist und wie sie die Eindrücke von Karin Kneissl (die Presse-Redaktion habe sie auf Inseratekürzungen angesprochen) und Christian Kern (die Presse habe 2017 wie ein Teil des Team Kurz agiert) findet, sollte auch der Kirchen- und damit traditionell auch eher ÖVP-nahe Styria Verlag erklären, dem die Presse gehört. Auf eine MOMENT-Anfrage am Freitag ging bis Redaktionsschluss keine Antwort ein.

 
Roland Weissmann: Der neue ORF-Generaldirektor?

Roland Weissmann: Der neue ORF-Generaldirektor? – Foto: ORF/Thomas Ramsdorfer

Vom Boulevard geprägte Politik, von Politik geprägter ORF

Das Verhältnis von Politik und Medien und die Distanz zwischen diesen Welten ist in Österreich schon immer schwierig gewesen. Das ist nicht neu. “Der Platz des Journalisten ist im Vorhof der Macht”, sagte Krone-Gründer Hans Dichand in der Arte-Doku 2002. Die Krone nahm Arte nach der Aussendung für einige Zeit aus dem TV-Programm der Zeitung. Der ORF strahlte die Sendung übrigens nie aus.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf natürlich nicht fehlen, wenn es um Medien in Österreich geht. Im TV, Radio und auch im Internet (obwohl er gesetzlich auf Druck der Zeitungsherausgeber dort massiv in seiner Arbeit eingeschränkt wird) stellt er die wichtigsten Anlaufstellen in Österreich. Im ORF arbeiten einige der besten Journalist:innen des Landes, die sich auch gegen politische Einflussnahme zu wehren versuchen. Aber bei all der journalistischen Qualität, die sich in seinen gebührenfinanzierten Räumlichkeiten sammelt, ist er aufgrund seiner Organisationsform gegenüber den politischen Machtverhältnissen hochanfällig. Öffentlich-rechtliche Sender in anderen Ländern sind da widerstandsfähiger organisiert.

Von einer Entpolitisierung des ORF wird gerne gesprochen. So richtig gelingen will sie im Zweifel dann aber doch irgendwie nicht. Mit Sebastian Kurz hat es wieder einmal ein Kanzler geschafft, die Programmdirektion nach Wunsch zu besetzen. Das passiert über die entsprechenden Gremien ziemlich unverhohlen aus politischen Gründen – und nicht aufgrund von medialer oder journalistischer Qualifikation.

Einfluss durch Anbiederung

Roland Weißmann, der kommende Generaldirektor, ist im ÖVP-geprägten, niederösterreichischen Landesstudio groß geworden. Er kommt laut dem gut informierten STANDARD-Medienjournalisten Harald Fidler aus dem Windschatten von Richard Grasl, dem vorherigen ÖVP-Kandidaten für den ORF und heutigen Mitglied der Kurier-Chefredaktion. Wie Weißmann den ORF führen wird, bleibt nur zu sehen. In den 2000er-Jahren begleiteten ständige Vorwürfe politischer Einflussnahme die damaligen ÖVP-Koalitionen. Redakteur:innen befürchten nun ähnliches.

Mit den jüngst aufgetauchten Fragen rund um den ORF hatte Weißmann noch gar nichts zu tun. Warum hat der Sender etwa keine Sondersendung am Tag der Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt von Sebastian Kurz zustande gebracht? Warum gab es andererseits in den letzten Jahren Belangsendungen im Sinne des Bundeskanzlers – auch unter dem Banner der Nachrichtensendungen? Expert:innen werten das als Beispiele dafür, dass der ORF politisch gefallen müsse, damit die Verantwortlichen in seinen Chefetagen auch nach der nächsten Direktionswahl noch einen Job haben.

Es sind nicht alle Medien und Journalist:innen

Viele Dinge, die man über Österreichs Medienwesen zusammentragen kann (und die Auflistung hier ist lang, aber weit weg von vollständig), ergeben kein gutes Bild. Und das ist gefährlich. Denn aus der miesen Mischung aus Verhaberung und Komplizenschaft, aus Machtgeilheit und skrupelloser Profitgier, aus Abhängigkeit und manchmal vielleicht auch nur aus scheinbarer Verbandelung, ergibt sich ein Generalverdacht, der viele ehrliche Menschen und um Seriosität bemühte Medien mit runterzieht. 

Das ist nicht nur schlecht für diese Menschen und Medien. Es ist auch schlecht für eine Demokratie. In einer solchen spielen unabhängige Medien eine wichtige Rolle. Gerade in einem Zeitalter, in dem Vertrauen und Wahrheit ständig von Kräften untergraben werden, die davon politisch, finanziell und persönlich profitieren.

Denn es sind nicht alle gleich. Verdächtig gemacht haben sich vielleicht viele Medien, offiziell beschuldigt ist aber erst einmal nur eines. Und manche Medien, Redaktionen und Ressorts haben dem Druck – ob dem von Inseraten oder Interventionen – offensichtlich standgehalten. Sie haben auch Werbekürzungen und Anfeindungen hingenommen und trotzdem kritisch weiter berichtet. Viele Journalist:innen – auch in den in Misskredit stehenden Medienhäusern – hatten persönlich mit solchen Vorgängen nie etwas zu tun. 

Dringender Handlungsbedarf im Medienwesen

Aber auch wenn all diese Relativierung stimmt: Die Presselandschaft schrammte gesamt betrachtet in den vergangenen Jahren auch nicht allzu weit an einem Systemversagen vorbei. Sie darf sich nicht darauf ausruhen und zum Alltag übergehen. Die Branche kann nicht darauf warten, bis die zu vielen faulen Äpfel endlich die rechtlichen Grenzen nachweisbar überschreiten. Sie braucht nicht nur eine bessere Medien- und Förderpolitik – obwohl sie die dringend bräuchte. Sie muss auch selbst einen ordentlichen Neustart schaffen. Und diesmal wirklich. 

Denn für eine neue Transparenz, neue Organisationsformen, eine schonungslosere Selbstkontrolle mit besseren Regeln und neues Personal muss man auf die Politik nicht warten. 

Nur: Wo bleiben die ersten Konsequenzen?

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