24-Stunden-Betreuerin: "Agenturen verkaufen uns so billig wie möglich"
Das menschliche Gehirn ist wunderbar darin, unangenehme Erinnerungen auszulöschen. Als ich in Österreich begonnen habe, war die 24-Stunden-Betreuung noch Schwarzarbeit. Aber wir haben relativ gut verdient. Es gab noch nicht so viele Agenturen und sie waren auch korrekt. Aber ja gut, es war Schwarzgeld. Und ich war naiv. Wir arbeiten in Sozialberufen. Wir sind keine großen Geschäftsfrauen. Ich werde keine Personenbetreuerin, wenn ich mehr Ahnung vom Geschäft habe oder einfach schlauer wäre. Wir sind nicht schlau genug, das muss man sagen. Darum sind wir in diesem Bereich tätig. Wir haben andere Prioritäten als das Geschäft. Uns ist das Geld nicht alles.
In jedem Vermittlungsvertrag einer Agentur steht heute, dass ich trotz Selbständigkeit nicht mit Klient:innen über mein Einkommen verhandeln darf. Ich bin frustriert zu sehen, dass die Agenturen uns so billig wie möglich verkaufen möchten. Viele von uns Betreuer:innen kommen in die Situation, dass sie nicht einmal von ihren Klient:innen weg nachhause fahren können. Denn das Geld für den Turnus bekommen sie erst viel später von den Vermittlungsagenturen. Das sind Spekulanten, die immer wen anlügen möchten.
Die größte Agentur der Branche macht Verträge, die ich nicht einmal vor 20 Jahren akzeptiert hätte.
Mit meiner jetzigen Vermittlungsagentur ist es nicht perfekt. Aber es ist eine weniger schlechte von den schlechten. Bevor es losging, hat die Chefin von mir eine Kaution verlangt. Das waren 150 Euro. Wenn ich Schäden verursachen würde bei Klient:innen oder wenn ich gegen den Vertrag verstoße, kriege ich die nicht zurück. Dafür sollten mir für jedes Jahr, das problemlos gelaufen ist, 10 Euro gutgeschrieben werden.
Nach vier Jahren habe ich dann die Zusammenarbeit beendet. Ich habe die Agentur aufgefordert, mir die Kaution auszuzahlen. Aber die Chefin hat das einfach ignoriert. Und was soll ich jetzt machen? Ich könnte mich mit dem Vertrag ans Gericht wenden. Aber wegen 200 Euro wird niemand eine Anzeige schreiben und vor Gericht ziehen. Also schuldet sie mir bis heute dieses Geld. So viel über die Korrektheit dieser Agentur. Aber sie ist noch nicht einmal eine der schlechtesten.
Agenturen suchen naive Arbeitskräfte, die keine Ahnung haben.
Die größte private Agentur der Branche macht Verträge, die ich nicht einmal vor 20 Jahren akzeptiert hätte. Mit einer Inkassovollmacht, bei der Betreuer:innen erst einen Monat später ihr Geld bekommen. Sie suchen immer naive Arbeitskräfte, die keine Ahnung haben. Betreuer:innen, die wenig Deutsch können und die noch nicht lange in der Branche gearbeitet haben. Die sind dann zufrieden. Ich war am Anfang auch zufrieden, weil ich keinen Vergleich hatte. Kleine Vermittlungsagenturen arbeiten oft besser.
Wir könnten auch direkt mit den Klient:innen zusammenarbeiten. Aber diese möchten die Betreuungskräfte lieber über eine Agentur vermittelt bekommen. Denn die Klient:innen und ihre Familien denken: Falls mal etwas mit mir ist, ich nicht kommen kann oder falls ich meinen Dienst nicht antrete, möchten sie Sicherheit haben. Denn wir sind natürlich alle nicht vertrauenswürdig. Das ist wahrscheinlich nicht ganz unbegründet. Es gibt solche Fälle. Klient:innen zahlen der Agentur gerne viel Geld. Die kassiert viel davon. Dann bleibt wenig Geld übrig, um die Betreuungskräfte zu zahlen.
Für mich hat es aber auch Vorteile, bei einer Agentur zu sein. Wenn ich privat arbeite, habe ich zwar keine Vermittlungskosten. Ich muss dann aber meine Klient:innen selber suchen. Das kostet auch Geld und Zeit. Dann zahle ich doch besser der Agentur etwas dafür und verliere damit keine Zeit. Mit der jetzigen Agentur bin ich zufrieden, was die Kosten angeht. Sie rechnen korrekt und transparent ab. Ich zahle nur Gebühren an sie, wenn ich tatsächlich arbeite. Bin ich krank oder braucht meine Klientin keine Betreuung, etwa weil sie selbst im Krankenhaus ist, dann muss ich der Agentur auch keine Gebühren zahlen. Und es ist auch nur eine minimale Summe.
Was auch passiert: Wir werden nicht richtig aufgeklärt über die geltenden Gesetze und unsere Ansprüche. Das gilt auch für die Wirtschaftskammer, bei der wir ja Mitglied sind. Es gab etwa eine Entschädigung, wenn man wegen des Coronavirus ausfällt. Da hieß es lange, für Selbständige gibt es nichts. Die Bezirkshauptmannschaft hat gesagt, die gibt es nur, wenn man in Österreich seinen Wohnsitz hat. Das war falsch. Es war an die Sozialversicherung gebunden und die hatte ich. Erst über die Interessengemeinschaft der 24-Stunden-Betreuer_innen IG24 habe ich erfahren, dass ich Anspruch habe. Da war meine Erkrankung aber schon dreieinhalb Monate her. Die Frist, einen Antrag zu stellen, waren drei Monate.
Österreich weiß genau, dass es nicht in Ordnung ist, wie die 24-Stunden-Betreuung läuft.
Was mich noch immer sehr stört: Die 24-Stunden-Betreuung ist eine private Dienstleistung. Sie ist nicht komplett vom Staat finanziert, aber mitfinanziert. Und man nimmt es hin, dass leider Gottes viele Pensionist:innen und Mindestpensionist:innen das nicht bezahlen können. Ja, es ist eine private Dienstleistung, das muss sich auch nicht jeder leisten können. Und ich weiß, der Staat gibt mehr Geld für die Pflegeheime aus. Ein Betreuungsplatz kostet den Staat aber viel mehr als wir.
Trotzdem finanziert der Staat das nicht gut. Denn der Staat schämt sich. Österreich weiß genau, dass es nicht in Ordnung ist, wie die 24-Stunden-Betreuung läuft. Diese Scheinselbständigkeit für uns ist nicht in Ordnung. Das sollte nicht mehr in dieser Form gefördert werden. Die 24-Stunden-Betreuung kann aber als Dienstleistung auch nicht ganz gestrichen werden, weil es sich zu sehr etabliert hat. Aber ich glaube, es spart viel Steuergeld. Denn alles andere wäre teurer, die Betreuer:innen anzustellen etwa.
Ich habe in den Jahren hier nicht viel gelernt, aber eines schon: Die Gelassenheit der Politik von Österreich. Bis die 24-Stunden-Betreuung überhaupt legalisiert wurde, sind 15 oder 20 Jahre vergangen. Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich das etabliert. Es musste erst etwas Großes passieren, damit sich was bewegt: Die Geschichte mit dem einstigen Kanzler Wolfgang Schüssel, der illegal eine Pflegerin für seine Mutter beschäftigte. Jetzt sind weitere 15 Jahre vergangen, seitdem die 24-Stunden-Betreuung legal ist. Und jetzt wurde erstmals die Förderung dafür um lächerliche 90 Euro erhöht. Ich nehme an, es dauert jetzt noch einmal 15 bis 20 Jahre, dass sich etwas ändert.
Was die Wirtschaftskammer sagt, hat Gewicht. Und nichts davon ist gut.
Die 24-Stunden-Betreuung in der heutigen Form ist einfach nicht in Ordnung. Das muss dem Gesundheitsministerium auch bewusst sein. Nur ich kann den Gesundheitsminister ja schlecht anrufen. Ich habe ihm schon einige Mails geschrieben. Ich habe auch immer Antworten bekommen. Aber es bringt nichts, wenn ich als kleine Ameise in der Masse etwas sage. Mein Wort hat kein Gewicht. Was die Wirtschaftskammer sagt, hat Gewicht. Und nichts davon ist gut. Ich weiß nicht, wen sie vertitt, aber mich ganz bestimmt nicht.
Das alles tut auch den österreichischen Senior:innen nicht gut. Sie werden oft von, ich muss es leider sagen, ahnungslosen Arbeitskräften versorgt. Das sollte der österreichischen Regierung schon nicht so ganz gleich sein. Die beste Betreuungskraft kann oft nicht einmal Hilfe rufen, wenn sie selbst nicht mehr helfen kann. Und das ist traurig.
*Name geändert
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