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Ein gefördertes Siegel soll gute 24-Stunden-Betreuung garantieren – doch es gibt scharfe Kritik

Vermittlungsagenturen für 24-Stunden-Betreuung leiden unter einem schlechten Ruf. Dagegen haben Wirtschaftskammer und Agenturen etwas erfunden: das Qualitätszertifikat ÖQZ-24. Es soll für gute Betreuung älterer Menschen und faire Bezahlung für 24-Stunden-Betreuer:innen stehen - abgesegnet und gefördert vom Sozialministerium.

Doch selbst Agenturen, die das Zertifikat tragen, kritisieren mangelnde Kontrolle der Qualität und Interessenkonflikte bei Verantwortlichen von Wirtschaftskammer und ÖQZ-24. Ginge es nach denen, soll es staatliche Förderungen in der 24-Stunden-Betreuung in Zukunft vor allem für von ihnen zertifizierte Vermittlungsagenturen geben. Das liegt auf Eis. Derzeit prüft der Rechnungshof die Fördergeldflüsse an den zertifizierenden Verein.Die E-Mails mit den vielen Fragen sind schnell verschickt. Bald klingelt einmal das Telefon. „Sie haben da einen Tsunami losgetreten“, sagt eine von MOMENT.at angeschriebene Person. Sie arbeitet in einer Firma, die 24-Stunden-Betreuer:innen an hilfs- und pflegebedürftige ältere Menschen vermittelt.

Ihr Unternehmen trägt das “Österreichische Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung”. Für das gibt es dankenswerterweise eine Abkürzung: ÖQZ-24. Mit dem Label ausgezeichnete Firmen sollen besonders hohe Standards in der Personenbetreuung erfüllen. Es bürge für Qualität. Wer eine zertifizierte Vermittlungsagentur beauftragt, könne eigentlich nichts falsch machen. So sehen es die Macher:innen des ÖQZ-24.

Wer das ÖQZ-24 kritisiert, geht offenbar ins Risiko 

Die anrufende Person hat andere Erfahrungen gemacht. Deshalb sagt sie: „Das Zertifikat haben wir irgendwo in einem Kasten verräumt.” Sie schätzt die Qualität des Zertifikats offenbar als nicht sehr hoch ein. Offen zitiert werden möchte sie mit ihrer Aussage nicht. Sie bittet eindringlich, ihren Namen und den ihrer Agentur nicht zu nennen und keine Details zu schreiben, die Rückschlüsse zulassen, wer da redet.

Und damit ist sie nicht allein. Unser Telefon klingelt immer öfter. Eine Person schlägt ein vertrauliches Treffen auf einer Autobahn-Raststätte vor. Vorgefertigte Verschwiegenheitserklärungen landen auf dem Tisch und im E-Mail-Postfach. Die müssen erst einmal unterschrieben werden. Erst dann wird geredet. Und zwar anonym, das ist selbstverständlich. „Ich möchte mir hier keine Feinde schaffen“, sagt ein:e Agenturmitarbeiter:in gleich zweimal. Und eine andere Person fordert: „Zeichnen Sie das Gespräch ja nicht auf.“

Ich habe Angst vor Konsequenzen, wenn ich offen spreche.
Angestellte:r einer Vermittlungsagentur

MOMENT.at kontaktierte die Agenturen, die das ÖQZ-24-Label tragen. Derzeit sind es 37 Unternehmen. Dazu sprachen wir mit Vertreter:innen von Agenturen, die nicht zertifiziert sind, das ÖQZ-24 aber gut kennen. Wir hatten gehört, dass es mit der Qualität nicht so weit her ist. Und wir wollten wissen, was an dieser Kritik dran ist. Das löste den „Tsunami“ aus.

Der Markt für die 24-Stunden-Betreuung in Österreich ist groß. Der Rechnungshof schätzt, dass in die gesamte Branche jährlich 700 Millionen Euro fließen. Im September 2022 waren 917 Agenturen registriert, die Personenbetreuer:innen vermitteln. Die Konkurrenz ist groß und die Branche ein vermintes Gelände. Wer darin eintaucht und Fragen stellt, wer Kontakt zu Insidern sucht, merkt schnell: Die Vorsicht regiert und bisweilen geht sogar die Angst um. „Ich habe Angst vor Konsequenzen, wenn ich offen spreche“, sagt ein:e Angestellte:r einer Agentur.

Eng verbunden mit dem ÖQZ-24: die Wirtschaftskammer

Geprüft und zertifiziert werden Agenturen vom „Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen“. Für den gibt es leider keine griffige Abkürzung. Eng verbunden mit dem ÖQZ-24 und dem Verein ist die Wirtschaftskammer. Führende Funktionäre der Fachgruppe für Personenbetreuung aus Wien und Niederösterreich konzipierten das ÖQZ-24 mit. Sie betreiben auch selbst Vermittlungsagenturen. Dabei mögen vielleicht auch Eigeninteressen der beteiligten Unternehmen mitbedacht worden sein.

MOMENT.at konnte mit sechs Vermittlungsagenturen sprechen, die das Qualitätszertifikat deutlich kritisieren, obwohl sie es selbst tragen. Deren große Sorge vor negativen Folgen macht es schwierig, Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Denn die Vertreter:innen des Vereins und die Funktionäre der Wirtschaftskammer mit allzu konkreten Sachverhalten zu konfrontieren, ist nicht möglich, weil die Gesprächspartner aus Angst vor Nachteilen nicht genannt werden wollen.

Und was dann? „Bitte denken Sie daran, dass wir ein Betrieb mit zahlreichen Mitarbeiter:innen sind. Ich will deren Existenz nicht gefährden”, sagt eine Person. MOMENT.at bezeichnet die sechs Personen deshalb im Folgenden als Agenturbeschäftigte:r und kürzt ihre Namen jeweils mit einem Buchstaben ab. Und nicht nur sie kritisieren das ÖQZ-24. Sondern auch die 24-Stunden-Betreuer:innen, die im Auftrag der Vermittlungsagenturen die eigentliche Arbeit leisten. Sie kümmern sich um ältere Menschen, die ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können – sehr oft rund um die Uhr. Rund 60.000 selbständige Personenbetreuer:innen sind in Österreich registriert.

ÖQZ-24? Für Betreuer:innen „keine gute Idee“

Beim ÖQZ-24 würden „nur die Perspektiven der Agenturen einfließen“, sagt Simona Durisova von der “Interessengemeinschaft der 24h-Betreuer_innen” (IG24) zu MOMENT.at. „Die Betreuer:innen werden nicht berücksichtigt. Ihre Probleme werden nicht angesprochen. Wir halten das ÖQZ-24 deshalb für keine gute Idee“, sagt sie. Sie berichtet von Dumpinghonoraren, Verträgen, die gegen die guten Sitten verstoßen und Agenturen, die am Rande der Illegalität arbeiten würden.

MOMENT.at recherchierte, wie eng verbandelt Beteiligte des zertifizierenden Vereins, der Wirtschaftskammer sowie großen Vermittlungsagenturen sind – und ob das ein Problem ist. Ist etwas dran an dem Vorwurf, Spitäler würden unter Druck gesetzt, bestimmten großen Agenturen Klient:innen zu vermitteln? Wir versuchten herauszufinden, weshalb der Agenturbeschäftigte F. sagt, der Verein prüfe und zertifiziere “absolut unprofessionell”. Und wir zeigen, welche Probleme Beschäftigte von Vermittlungsagenturen bekamen, die Kritik äußerten. In drei Schwerpunktartikeln legt MOMENT.at dar, was beim ÖQZ-24 schief läuft.

Dass MOMENT.at bei zahlreichen Vermittlungsagenturen anfragt, wie ihre Erfahrungen mit dem ÖQZ-24 sind, bekommt der Verein schnell mit. Noch am gleichen Tag greift der ÖQZ-24-Geschäftsführer Johannes Wallner zum Telefon und ruft in der Redaktion an. Was wir mit unserer Recherche vorhaben, fragt er und fügt an: „Ich gehe davon aus, dass Sie nur Positives berichten wollen.“ Er schlägt ein persönliches Gespräch vor. Zu diesem lädt er noch drei weitere Personen ein: Vertreter:innen seines Vereins sowie von der Wirtschaftskammer und Vermittlungsagenturen, um seinen Standpunkt mit Nachdruck vortragen zu können.

Wir handeln nicht mit Kühlschränken. Sondern es geht um Menschen und Menschenwürde.
Beschäftigte einer Vermittlungsagentur

Die Standesvertreter:innen der Wirtschaftskammer betreiben selbst Vermittlungsagenturen für 24-Stunden-Betreuer:innen. Diese seien die „Platzhirsche“ am Markt, die allen anderen nur jene Fälle übrig lassen, die für sie nicht interessant seien, so ein gegenüber MOMENT.at erhobener Vorwurf einer Mitbewerberin.  Diese „Fälle“ seien hilfsbedürftige ältere Personen, deren Betreuung sehr aufwändig sei oder die schwierig im Umgang wären. „Aber wir handeln hier ja nicht mit Kühlschränken, sondern es geht um Menschen und Menschenwürde“, sagt sie.

Letzteres würde Mario Tasotti wohl auch so unterschreiben. Er ist stellvertretender Obmann der Fachgruppe Personenberatung und -betreuung in der Wiener Wirtschaftskammer. Und er ist Geschäftsführer der Vermittlungsagentur LebensWerte Seniorenbetreuung. Tasotti trommelt öffentlich für das Zertifikat. Er war auch beteiligt, die Richtlinien für das ÖQZ-24 zu erarbeiten.

„Ich glaube nicht, dass ich jemals Anlass gegeben hätte, dass ich mir irgendwelche Vorteile aus meiner Funktion in der Standesvertretung geschlagen hätte“, sagt er zu MOMENT.at. „Im Gegenteil. Es ist insbesondere in der letzten Zeit extrem zeitintensiv gewesen.“ Er habe schlicht „eine große Affinität zum ÖQZ-24“, sagt er. Hintergedanken dabei? Nein, sagt Tasotti entschieden. Tasotti ist dabei in dem Vierergespräch, das ÖQZ-24-Geschäftsführer Johannes Wallner auf die Beine gestellt hat.

Dritte im Bunde ist Karin Hamminger, Funktionärin in der Wiener Wirtschaftskammer – und geschäftsführende Obfrau der Agentur Pflegegruppe. (Ergänzung am 1. Februar: Gegenüber MOMENT.at sagt Hamminger, dass „ich keine WK-Funktionärin bin und nicht beabsichtige jemals eine zu werden“. Fakt ist: Es gibt auf der Website der Wiener Wirtschaftskammer eine Funktionärskontaktseite von Hamminger.)

Dazu gesellt sich der Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen, Jakob Kabas. Die Frage nach Interessenkonflikten zwischen Wirtschaftskammer-Funktionär:innen, Agenturbetreiber:innen und Vereinspersonen beantwortet er mit einer Gegenfrage: „Welche Interessen verfolgen eigentlich Leute, die solche Fragen stellen?“

Kein Problem: Ein Prüfer, der beim Geprüften arbeitet

Beispiele für personelle und geschäftliche Verknüpfungen, die der Nachfrage wert sind, gibt es. Die Abteilung für 24-Stunden-Betreuung des Pflegeriesen SeneCura erhielt als eine der ersten das ÖQZ-24 verliehen. Im Management von SeneCura sitzt Johannes Wallner – der Geschäftsführer von ÖQZ-24 und des Vereins, der sein Unternehmen zertifiziert hat. Er sieht darin kein Problem.

„Bei SeneCura hat es nie irgendwelche Überschneidungen mit dem ÖQZ gegeben. Mir wurde nie vorgeworfen, ich hätte da einen Interessenkonflikt.“ Zumindest auffällig: In einem Blogbeitrag auf ihrer Website meldete SeneCura im Oktober 2019, dass die Agentur von nun das ÖQZ-24 trage. „Sozialministerium zertifiziert SeneCura“, heißt es in der Überschrift. Das ist aber falsch. Denn nicht das Ministerium zertifizierte das Unternehmen, in dem Wallner arbeitet, sondern der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen – dessen Geschäftsführer Johannes Wallner ist. Sein Verein wird in der Jubelmeldung nicht einmal erwähnt.

Wem es bei dem Namen SeneCura in den Ohren klingelt: Das Unternehmen ist in Österreich bekannt als einer der größten Betreiber von Pflegeheimen. Zuletzt deckte die Volksanwaltschaft in einem Salzburger SeneCura -Heim unhaltbare Zustände auf, die einen Skandal auslösten. MOMENT.at berichtete über das Thema. Beschäftigte in Pflegeheimen erzählten von katastrophalen Arbeitsbedingungen und wie Bewohner:innen darunter leiden. Nicht nur im SeneCura-Heim in Salzburg, sondern quer durch ganz Österreich. “Das System hat eine Aufbewahrungsstätte bis zum Tod daraus gemacht”, sagte eine Altenheim-Pflegerin zu MOMENT.at.

Branchenriese geführt vom Wirtschaftskammer-Obmann

SeneCura ist inzwischen nicht mehr in der 24-Stunden-Betreuung tätig. Ein anderer Branchenriese hat die Abteilung im September 2022 übernommen: die cura domo 24-Stunden Betreuung aus Schwechat in Niederösterreich. Cura domo setzt auf Expansion. Die Versicherungsgruppe Uniqa stieg als Investor ein. Allerdings nicht direkt: Sondern verschachtelt über ihre 100-Prozent-Tochter Mavie Holding GmbH, die wiederum 100 Prozent an der Sanus X GmbH hält. Sie hat sich 39 Prozent der Anteile an cura domo gesichert. In den vergangenen Monaten kaufte das Unternehmen zahlreiche andere Vermittlungsagenturen für 24-Stunden-Betreuer:innen auf.

Der Geschäftsführer von cura domo heißt Robert Pozdena. Pozdena ist gleichzeitig Vorsitzender der Fachabteilung für Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Niederösterreich. Diese ist gemeinsam mit der Wiener Wirtschaftskammer und dessen Funktionär Mario Tasotti treibende Kraft dabei gewesen, das ÖQZ-24 auf die Beine zu stellen. Beide Agenturen waren vorne dabei, als es darum ging, die ersten Zertifikate zu erhalten. LebensWerte erhielt das Zertifikat im Oktober 2019 in der ersten Runde, in der es vergeben wurde. Cura Domo trägt das ÖQZ-24 seit Februar 2020.

Wer das Label ausgestellt bekommt – so lautet zumindest das Versprechen – profitiert: Gut sichtbar auf der Website einer Vermittlungsagentur platziert, soll es Klient:innen und deren Angehörige überzeugen, ihre Dienste zu buchen. Fünf der rund 40 von MOMENT.at kontaktierten Agenturen geben zu Protokoll, das funktioniere bei ihnen gut. „Wir haben davon profitiert, auch betriebsintern“, sagt Anette Glössl, Geschäftsführerin der Vermittlungsagentur a’nette 24h Pflege aus Röthelstein im Bezirk Graz-Umgebung. Sie hat kein Problem damit, offen zu sprechen und auch kein Problem mit dem ÖQZ-24. „Mitabeiter:innen werden motiviert, sich hineinzudenken in die Prozesse“, sagt sie zu MOMENT.at. Und: „Das spricht sich herum. Wir haben mehr Kund:innen.“

Wie gut ist das ÖQZ-24? Kommt darauf an, wen man fragt

Zanda Eisenberger, Geschäftsführerin einer nach ihr benannten Vermittlungsagentur aus Weiz in der Steiermark, sagt: “Uns haben unzählige Interessenten angerufen, die unsere Kontakte der Liste der zertifizierten Agenturen entnommen haben.” Die Aussicht darauf, zertifiziert zu werden, “hat uns sofort einen Ansporn zu positiven Veränderungen gegeben”, sagt sie zu MOMENT.at.

Bei der Frage danach, ob das ÖQZ-24 wirklich die Qualität in der 24-Stunden-Betreuung erhöht und das auch von Klient:innen bemerkt und belohnt würde, scheint es nur schwarz und weiß zu geben. Denn andere behaupten das Gegenteil: “Immer wieder kommen Leute zu mir und sagen: Hoffentlich sind sie nicht zertifiziert. Es gibt keine Qualität”, sagt etwa Agenturmitarbeiter:in R. Wer hat nun recht?

Für die Qualität des Qualitätszertifikats sollte das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) stehen. Dessen Logo ist prominent platziert auf der ÖQZ-24-Website. Das Ministerium fördert das ÖQZ-24 mit Geld und verleiht es in offiziellen Zeremonien. Agentur-Betreiber:innen dürfen sich für ein Foto mit dem Zertifikat in den Händen neben die oder den jeweils amtierende:n Minister:in stellen. Jährlich überweist das Ministerium 80.000 Euro Steuergeld an den Verein für das ÖQZ-24. Das ist beinahe dessen gesamtes Budget.

Sozialministerium: Förderung des ÖQZ-24 ja, Kontrolle eher nicht

Doch das Ministerium hält sich bis auf die geldwerte Förderung ziemlich aus der Arbeit des ÖQZ-24 heraus. Der Verein prüfe das alles „eigenverantwortlich“, heißt es aus dem Ministerium von Sozialminister Johannes Rauch zu MOMENT.at. Jährlich erhalte das Ministerium einen Tätigkeitsbericht und einen neuen Förderantrag vom Verein, der bisher immer abgesegnet wurde. Mehr passiert offenbar nicht. Das Ministerium vertraut darauf, dass der Verein so zertifiziert, wie es die Richtlinien verlangen – und dass er danach kontrolliert, ob die Agenturen die Standards auch einhalten.

Und: Das Sozialministerium vermeidet es auch tunlichst, das ÖQZ-24 ein „staatliches Qualitätszertifikat“ zu nennen. So bezeichnet es aber etwa die Sozialorganisation Hilfswerk auf ihrer Website. Das Hilfswerk bietet 24-Stunden-Betreuung an und führt das ÖQZ-24. Dieses als “staatlich” zu adeln, ist dem Ministerium eindeutig zu hoch gegriffen. Es „unterstützt mit dem ÖQZ-24 ein Qualitätssicherungsprojekt von überregionaler Bedeutung“, heißt es stattdessen und recht umständlich.

Sozialminister Rauch ist seit März 2022 im Amt. Er tut sich offenbar schwer mit dem ÖQZ-24. Die Förderung des Vereins hängt in der Schwebe, Ende März läuft sie aus. Immer weniger Vermittlungsagenturen wollten zuletzt das ÖQZ-24 haben. Dazu kommt: Wie MOMENT.at erfuhr, prüft der Rechnungshof derzeit die Fördergeldflüsse im Zusammenhang mit dem ÖQZ-24. Vertreter:innen des Vereins und der Wirtschaftskammer sind in diesen Tagen zu Gesprächen mit dem Rechnungshof geladen.

Das ÖQZ-24 steht sogar im Regierungsprogramm

Dabei erwähnt die Regierung aus ÖVP und Grünen das Qualitätszertifikat sogar in ihrem Regierungsprogramm. Die Macher:innen des ÖQZ-24 haben Großes damit vor. Der Verein, die Wirtschaftskammer und große Agenturen wollen mehr vom Sozialministerium. Es geht um viel Fördergeld, das zusätzlich ausgeschüttet werden soll. Und zwar nur dann, wenn Familien ihrer Oma oder Mama, dem Papa oder Opa von einer 24-Stunden-Betreuer:in im Alltag helfen lassen wollen – und dafür eine vom Verein zertifizierte Vermittlungsagentur beauftragen.

“Das halte ich nicht für eine gute Idee, denn das wäre eine Zwangsmaßnahme”, sagt Marcus Duschek, Geschäftsführer der Vermittlungsagentur Curavita in Wien. “Alle Agenturen müssten sich dann von einem Privatverein zertifizieren lassen, wenn sie ihre Kund:innen behalten wollen”, sagt er zu MOMENT.at. Zusatz: “Selbst dann, wenn diese Agenturen seit vielen Jahren über einen untadeligen Ruf verfügen und schon lange vor dem Zertifikat gut gearbeitet haben.” Sein Unternehmen trägt das ÖQZ-24 nicht. Duschek hat es nicht beantragt.

Auch im Sozialministerium scheint Skepsis zu herrschen, ob das von der Wirtschaftskammer geförderte Label derart aufgewertet werden soll. Man stehe “mit den Vertreter:innen des ÖQZ-24 in einem regelmäßigen Austausch“. Doch im Moment herrscht Funkstille. Seit Juli vergangenen Jahres habe es „keine konkreten weiteren Gespräche zur Förderung gegeben“, sagt Johannes Wallner. „Wir warten nach wie vor.“ Was sich das ÖQZ-24 für die Zukunft wünscht und wem das besonders nützen würde, darüber wird im Laufe der Recherche noch zu sprechen sein.

ÖQZ-24 schickt Mail an alle kontaktierten Agenturen

An anderer Stelle wartete Wallner nicht lange. Nur Stunden nachdem MOMENT.at den Katalog mit Fragen an zertifizierte Vermittlungsagenturen abgeschickt hatte, versendete Wallners Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen ein E-Mail an alle. Das Schreiben liegt MOMENT.at vor. Darin heißt es unter anderem: Der Verein habe mit dem Redakteur „einen Termin avisiert, wo wir ihn aus der Sicht der Zertifizierungseinrichtung über das Zertifizierungsverfahren informieren werden“. Und: „Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, Ihre Erfahrungen mit der Zertifizierung und dem ÖQZ-24 darzulegen.“

Die Verquickung von Funktionär:innen der Wirtschaftskammer mit dem ÖQZ ist problematisch.
Agenturbeschäftigte:r P.

Später meldet sich Agenturbeschäftigte:r P. bei MOMENT.at und sagt trotzdem: „Die Mail, die nach Ihrer Anfrage vom ÖQZ-24 ausgesendet wurde, habe ich als Maulkorb von denen gesehen.“ Doch P. beschloss, sich nicht daran zu halten. “Die Qualität in der 24-Stunden-Betreuung wird immer schlechter. Da ist Handlungsbedarf”, sagt er. Doch das ÖQZ-24 mit seinem dahinterstehenden Verein, sieht P. nicht als unabhängig an. „Die Verquickung von Funktionär:innen der Wirtschaftskammer, die selbst Agenturen führen, mit dem ÖQZ ist problematisch“, sagt er.

Agenturbeschäftigte:r A. beschreibt es so: „Agenturchefs und Vertreter der Wirtschaftskammer treffen sich und essen Häppchen, bezahlt von der Kammerumlage der Betreuer:innen und Vermittlungsfirmen.“ Die großen Unternehmen der Branche würden den Markt und dessen Bedingungen im Übermaß dominieren. “Es ist ein scheußliches Spiel”, sagt Agenturbeschäftigte:r R.

Ist es das wirklich? Oder ist es vielmehr so, wie es Agenturchefin Karin Hamminger zu MOMENT.at sagt? “Ich glaube, dass es in unserer Branche genauso einen gewissen Brotneid gibt, wie es ihn in allen Branchen gibt.” Hamminger prüft und zertifiziert auch andere Vermittlungsagenturen für das ÖQZ-24. Sie hat eine Doppelrolle, die Agenturbeschäftigte:r F. als “im höchsten Maße bedenklich” bezeichnet. Zu was das führen könnte, woran es in der 24-Stunden-Betreuung in Österreich hakt und was das ÖQZ-24 dafür gebracht hat, rollen wir im nächsten Artikel auf.

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