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Ungleichheit
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Gesundheit

Belastende Pflegearbeit: Warum es höchste Zeit für kürzere Arbeitszeiten ist

Eine Krankenschwester sitzt erschöpft und mit Tränen in den Augen am Boden eines Spitals.
Erschöpfte Krankenpflegerin in einem Spital. // Foto: Vladimir Fedoto von Unsplash

Wer pflegt, ist häufig erschöpft: Körperlich und psychisch fordert der Beruf extrem viel von ArbeitnehmerInnen. Studien zeigen: Sie würden von kürzeren Arbeitszeiten enorm profitieren - und damit auch die PatientInnen. Warum probieren wir das nicht?

Kürzer arbeiten in der Pflege? Geht nicht, zu teuer, lautet eine häufige Antwort. Studien und Versuche zeigen, dass Pflegende besonders belastet sind – und besonders von kürzeren Arbeitszeiten profitieren könnten. Das kommt PatientInnen und zu pflegenden Menschen zugute. Und es spart uns Geld: Denn wer kürzer arbeitet, wird seltener krank und geht später in Pension. Warum also nicht mal ausprobieren?
 

Elwira ist erschöpft. Sie arbeitet in der mobilen Hauskrankenpflege. „Unser Beruf ist hart: wir reden, wir mobilisieren, oft sind wir allein. Wir haben ständig mit schwer Kranken, mit Leid und Trauer zu tun“, sagte sie zu MOMENT. Ihre Rahmenarbeitszeit ist eigentlich: immer. „Ich fange oft um 6 Uhr an, häufig arbeite ich bis 9 am Abend.“ Dazwischen geht es sich zumindest aus, dass sie ein paar Stunden frei hat. „Dann schlafe ich aber nur, weil ich fix und fertig bin“, sagt Elwira.

Sie musste ihre Arbeitszeit auf 35 Stunden reduzieren, das gilt als Teilzeit. Mehr geht einfach nicht, und weil der Job so belastend ist, ist auch das wohl schon eher zu viel. Elwira ist damit nicht allein: „Meinen Kolleginnen und Kollegen geht es genauso, in meinem Team kann niemand Vollzeit arbeiten“, sagte sie in unserer Reihe „Was ich wirklich denke“. Sie schätzt, dass 80 Prozent der mobilen HauskrankenpflegerInnen in Teilzeit arbeiten.

Nationalratspräsident behauptet: PflegerInnen haben nichts von kürzerer Arbeit

Geradezu zynisch klingt es da, was Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu Forderungen nach kürzeren Arbeitszeiten im Pflegebereich, also zumindest zu einer 35-Stunden-Woche, im Frühjahr sagte. Die MitarbeiterInnen „haben von einer Reduzierung der Stunden gar nichts“, glaubt er. In Zeiten wirtschaftlicher Probleme sei es „mehr als kontraproduktiv“ in der Pflege weniger zu arbeiten, so der ÖVP-Politiker.

Personen, die tatsächlich Pflegearbeit leisten, ob in Spitälern, Altenheimen oder der mobilen Pflege und Betreuung, sehen das oft anders. Im Februar und März demonstrierten Tausende Menschen für kürzere Arbeitszeiten. Mehr als 300 Betriebe streikten. Geholfen hat es nicht viel: Der neue Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft sieht zwar vor, die Normalarbeitszeit auf 37 Stunden zu senken, das ist eine ganze Stunde weniger als jetzt. Allerdings gilt das nicht sofort, sondern erst in zwei Jahren.

Bei Notarztmitarbeitern, die sehr lange Schichten arbeiten müssen, hat das einen schlimmen negativen Effekt.
Jan Sauermann, Arbeitsmarktforscher

Dabei zeigen die Erfahrungen von MitarbeiterInnen im Pflege- und Sozialbereich, dass viele von ihnen heute am Limit sind. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass besonders im Gesundheitsbereich zu lange Arbeitszeiten fatale Folgen haben können. „Bei Notarztmitarbeitern, die sehr lange Schichten arbeiten müssen, hat das einen schlimmen negativen Effekt“, sagt der Arbeitsmarktforscher Jan Sauermann zu MOMENT. „Denn es wirkt sich auf die geborgenen Opfer aus.“ Auch die Hauskrankenpflegerin Elwira spürt das: „Wenn die Arbeit zu viel ist, macht sie einen fertig und wenn wir überlastet sind, leidet auch die Qualität“, sagt sie.

Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) kam in einer umfassenden Studie zum Schluss: Wer lange arbeitet hat ein erhöhtes Risiko selbst zu verunfallen. Infolgedessen komme es „zu zum Teil erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder sogar zu irreversiblen Schädigungen“, schreiben die AutorInnen.

Im Vergleich mit Arbeit in Teilzeit, also unter 35 Wochenstunden, beobachteten sie mit zunehmender Arbeitsdauer einen „deutlichen Anstieg des Grundrisikos für gesundheitliche Beeinträchtigungen zwischen 50% bis 100%“.

Meiste Personen mit zu kurzen Ruhezeiten im Gesundheitswesen

Länger zu arbeiten bedeutet umgekehrt kürzer frei zu haben. Und auch das hat gesundheitliche Folgen, vor allem für Gesundheits- und Pflegepersonal. In einer im vergangenen Jahr von der BAuA veröffentlichten Befragung unter 6.712 Beschäftigten, von denen jede Person mindestens 35 Stunden in der Woche arbeitet, kam heraus: Der Anteil der Personen, die häufig zu kurze Ruhezeiten haben, ist im Gesundheitswesen am höchsten.

Fast 40 Prozent der dort arbeitenden Menschen haben mindestens einmal im Monat zu wenig freie Zeit zwischen dem Feierabend und dem erneuten Dienstantritt. Beispiel: Die nur neun Stunden, die Krankenpflegerin Elwira Pause hat, wenn sie um 21 Uhr aufhört zu arbeiten und um 6 Uhr morgens wieder beginnt, sind deutlich zu kurz. Die Studie zeigte: Wer öfter kürzere Ruhezeiten hat, litt häufiger unter Rückenschmerzen, Schlafstörungen und emotionaler Erschöpfung.

Und je höher die gesamte wöchentliche Arbeitszeit, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ruhezeiten nicht eingehalten werden können, so die Studie. Ihr Schluss: Bereits wenn es nur selten vorkommt, beeinträchtigen kürzere Arbeitspausen die Gesundheit (Kurzfassung der Studie als pdf).

Drei Tage nötig, um sich von 12-Stunden-Schichten zu erholen

ForscherInnen des Institut für Public Health der Med Uni Wien untersuchten, wie belastend aufeinanderfolgende 12-Stunden-Schichten für Krankenpflegerinnen sind. Ergebnis: Die Pflegerinnen waren davon so geschlaucht, dass danach zumindest drei Tage Pause „für eine vollständige Genesung erforderlich sind“, schreiben die AutorInnen.

„In einem physisch und psychisch anstrengenden Beruf wie der Krankenpflege“, so ihr Fazit, „sollten die Gesundheit und das Wohlbefinden der MitarbeiterInnen nicht unnötig durch mangelnde Genesung und Schlafentzug beeinträchtigt werden“.

Arbeitgeber und Behörden sollten sich der Risiken von langen Arbeitszeiten bewusst sein.
Allard Dembe, Forscher Ohio State University

ForscherInnen der US-amerikanischen Ohio State University warnten: „Lange Arbeitszeiten von Frauen sind mit einem alarmierenden Anstieg von Krebs und Herzerkrankungen verbunden.“ In ihrer Studie befragten die ForscherInnen 7.500 Personen. Sie analysierten über einen Zeitraum von 32 Jahren, wie das Ausmaß der Arbeitszeit mit dem Auftreten von schweren Krankheiten zusammenhängt.

Dabei kam heraus: Viel arbeitende Frauen hatten viel größere gesundheitliche Probleme als Männer – vor allem, weil sie neben dem Job sich oft auch noch um das Familienleben kümmern. Bei Frauen, die über Jahrzehnte durchschnittlich 60 Stunden pro Woche arbeiten müssen – in Gesundheitsberufen keine Seltenheit – verdreifache sich das Risiko, an Diabetes, Krebs, Herzproblemen und Arthritis zu erkranken.

Doch auch „nur“ 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, steigere ihr Risiko später schwer chronisch zu erkranken. „Arbeitgeber und staatliche Regulierungsbehörden sollten sich der Risiken von langen Arbeitszeiten bewusst sein“, so Allard Dembe, Hauptautor der Studie. Insbesondere für Frauen, die regelmäßig über eine 40-Stunden-Woche hinaus arbeiten müssen, sagte er. „Unternehmen profitieren von der Qualität der Arbeit und den medizinischen Kosten, wenn ihre Mitarbeiter gesünder sind“, sagte er.

Kürzere Arbeitszeit könnte Geld sparen: Unternehmen und uns allen

Wer Arbeitszeiten verkürzt, hat auf den ersten Blick höhere Kosten. Da MitarbeiterInnen aber seltener krank und produktiver arbeiten, könnten sie aber auch profitieren. In einer britischen Studie wurden 2.000 ArbeitnehmerInnen befragt, die kürzer arbeiteten. 70 Prozent fühlten sich glücklicher und weniger gestresst, 62 Prozent gaben an, seltener krank zu sein.

Die StudienautorInnen rechneten vor: Diese Vorteile in Rechnung gestellt, hätten die 500 in der Studie befragten Unternehmen schon jetzt insgesamt 92 Milliarden britische Pfund mehr in den Kassen, umgerechnet 107 Milliarden Euro.

Durch die kürzeren Arbeitszeiten ist die Qualität der Pflege deutlich gestiegen.
Daniel Bernmar, ehemaliger Vizebürgermeister von Göteborg

Dazu kommt: Auch das Gesundheitssystem und die Sozialkassen würden entlastet. „Weniger Krankenstände führten beispielsweise zu weniger Ausgaben bei den Krankenversicherungen“, sagt Daniel Bernmar. Im schwedischen Göteborg startete der damalige Vizebürgermeister einen Versuch: In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen die 30-Stunden-Woche eingeführt.

Er beobachtete, dass durch die kürzeren Arbeitszeiten „die Qualität der Pflege deutlich gestiegen“ sei, sagte er im Interview mit MOMENT. „Während des Versuchs hatten alle Angestellten mehr Energie, wir waren glücklich damit“, sagte Assistenzschwester Emilie Telander der BBC.

Kürzer arbeiten entlastet Sozialsysteme

Weil die Arbeitszeiten verkürzt wurden, stellte die Einrichtungen 32 neue MitarbeiterInnen ein. Diese neu eingestellten Personen benötigten keine Arbeitslosenhilfe. „Im System der Sozialversicherung wurden die Kosten halbiert“, so Bernmar. Und wer kürzer arbeitet, arbeitet möglicherweise auch länger, geht also später in Pension.

Denn: „Wenn wir ein besseres Arbeitsumfeld schaffen, schafft man es, dass die Leute später in Pension gehen wollen. Und das hat starke Auswirkungen auf die tatsächlichen Kosten der Arbeitszeitreduzierung“, so Bernmar.

Aber: Kostenneutral, so der deutsche Arbeitsmarktforscher Jan Sauermann, werde das nicht werden. MitarbeiterInnen in der Pflege kürzere Arbeitszeiten und dennoch gute Löhne zu bieten, kostet auch unterm Strich mehr. Für Sauermann sei das „eine Frage, die wir gesellschaftlich beantworten müssen: Was sind wir bereit, für Leistungen in der Pflege zu zahlen?“

Weniger zu arbeiten kann ich mir nicht leisten, weil ich sonst von meiner Pension nicht leben kann.
Elwira, mobile Hauskrankenpflegerin

Lautet die Antwort „mehr als jetzt“, dann „sollte man mehr Leute einstellen und dafür sorgen, dass mehr Menschen diesen Job machen wollen“, sagt Sauermann, „Etwa indem wir Gehälter erhöhen oder eben Arbeitszeiten verkürzen.“ Pflegerin Elwira wäre sehr froh, wenn sie weniger Stunden in der Woche arbeiten könnte.

Nur: Das kann sie sich gar nicht leisten, „weil ich sonst von meiner Pension nicht leben kann.“ Dass ihre 35 Stunden Arbeit pro Woche als Teilzeit gelten, wird Elwira, sie ist jetzt Mitte 50, später zu spüren bekommen. „Das ist der direkte Weg zur Altersarmut.“

 

 
 

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