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Klimakrise

Eine Klimaaktivistin erzählt: "Auf mich wurde ein Brandanschlag verübt"

Klimaschützer:innen wollen den Bau des Lobau-Tunnels und der Stadtautobahn zu stoppen. Auf sie wurde ein Brandanschlag verübt und ein Teil der Besetzung von der Polizei im Auftrag der Stadt geräumt. Diese Aktivistin hat alles hautnah miterlebt und überlebt.

 

Seit Monaten besetzen Klimaschützer:innen in Wien Baustellen, um den Bau des Lobau-Tunnels und der Stadtautobahn zu stoppen. Ende letzten Jahres wurde ein Brandanschlag auf sie verübt. Und im Februar wurde ein Teil der Besetzung von der Polizei im Auftrag der Stadt geräumt. Aktivistin Mini (Name geändert) hat alles direkt miterlebt und erzählt, was sie über die Ereignisse wirklich denkt.

Seit 2019 bin ich bei Fridays for Future aktiv. Über die Fridays bin ich auch zur “Lobau bleibt”-Bewegung gekommen. Im August 2021 war eine Demo, die der Auftakt für das Protestcamp war. Das Camp war damals nur für eine Woche geplant, ging schließlich aber doch viel länger. Im September haben über 100 Aktivist:innen die Zufahrtstraße in der Hirschstettner Straße blockiert. Da war ich von Anfang an mit dabei. 

Ich engagiere mich gegen die Lobau-Autobahn, weil das Bauprojekt nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar ist. Wir sind in Österreich ohnehin schon viel zu spät dran sind, was Klimaneutralität angeht. Der Lobau-Tunnel wurde zwar von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler abgesagt, aber nicht die vierspurige Stadtstraße, die gebaut werden soll. Die Stadtstraße sorgt für Bodenversiegelung. Und sie soll neben Kindergärten, Schulen und Wohnbauten gebaut werden. Viele Anwohner:innen wären von Umweltverschmutzung und Lärmbelästigung betroffen. Die Stadtstraße führt auch zu keiner Verkehrsentlastung. Viele Studien zeigen, dass mehr Straßen mehr Verkehr bedeuten. Dazu kommt, dass die Stadtautobahn und der Lobau-Tunnel meiner Meinung nach überhaupt nicht notwendig sind. Es gibt bessere Alternativen als eine Autobahn, um in der Donaustadt eine bessere Infrastruktur und mehr Lebensmöglichkeiten zu schaffen.  

Ich war immer vor Ort, wenn ich konnte.

In der Zeit vor dem Brandanschlag in der Hirschstettner Straße war ich immer vor Ort, wenn ich konnte. Natürlich habe ich auch Pausen gemacht. Das ist im Sinne von nachhaltigem Aktivismus. Wir haben alle noch ein Leben neben dem Aktivismus und Lohnarbeit oder ein Studium. In der Besetzung gab es Ups und Downs, das war tagesabhängig. Mit dem Herbst und dem Winter wurde es kalt draußen. Man hat schon gespürt, dass es eine ganz andere Dynamik war als im Sommer und, dass die Energie knapp wurde. Das Pflichtbewusstsein und die Menschen, die einem noch Hoffnung gegeben haben, haben einen dort gehalten. 

Die Reaktionen von Außenstehenden auf die Besetzung waren unterschiedlich. Ich bin schon lange Klimaaktivistin und es deshalb gewohnt, viel Kritik zu erleben, gerade bei den großen Klimastreiks. Hier haben wir aber viel Zuspruch und Dankbarkeit bekommen. Es war schön, wie berührt viele Anrainer:innen davon waren, dass der Konflikt endlich in den Medien präsent war. Das hat auch uns Hoffnung und Energie gegeben. Wir wussten, dass wir nicht alleine sind und Unterstützer:innen haben.

Eine Person hat geschrien: „Alle raus!“

Dann kam die Nacht auf den 31. Dezember 2021 – die Nacht vor Silvester. Den ganzen Abend waren Böller zu hören. Wir waren acht Aktivist:innen auf der Baustelle in diesem „Tiny House“, das im Laufe der Monate dort gebaut wurde. Nach den Weihnachtsfeiertagen haben wir uns abends länger unterhalten als sonst und waren lange wach und haben uns in der unteren Etage aufgehalten. Zum Glück. Die Schlafgelegenheiten wären nämlich in der oberen Etage gewesen. 

Es ging alles recht schnell und war surreal. Plötzlich hat jemand geschrien: „Alle raus!“ Zuerst dachte ich noch: „Wie nervig, noch so ein Feuerwerksböller“. Aber dann haben wir gecheckt: „Oh, da leuchtet es um uns herum. Da ist es überall orange und hell.“ Und dann sind alle rausgestürmt und haben zugesehen, wie fünf Monate Protest niederfackeln. 

Das war ein Schock für die ganze Bewegung. Es hing für viele Aktivist:innen sehr viel emotionaler Wert an der Besetzung. Für einige war sie wie ein zweites Zuhause. Die Stimmung war erstmal sehr niedergeschlagen. Aber als das vorbei war, waren wir umso kraftvoller. Ich habe in der Bewegung sogar einen Aufschwung gespürt. Diese Tat hat uns nicht Angst gemacht, sondern Mut gegeben. Wir haben uns gesagt: „Jetzt erst recht, wir lassen uns nicht unterkriegen von einem Brand.“ Wir Betroffenen haben psychologische Unterstützung, wir sind da sehr gut ausgestattet. Ich glaube, das verarbeiten wir recht gut. 

Der Anschlag hat uns schließlich motiviert

Die Reaktionen auf den Anschlag empfand ich als unterstützend. Es gab Solidaritäts-Kundgebungen. Man hat gemerkt, wie viele Menschen hinter der Sache stehen. Es war schön zu beobachten, wie viel Kraft die Bewegung daraus tankte. Selbst Kritiker:innen haben sich nicht darüber gefreut, dass da fast acht Aktivist:innen gestorben sind. 

Im öffentlichen Raum habe ich wenig Hass gespürt. Online gab es aber viele Menschen, die diesen Brandanschlag gutgeheißen und verharmlost haben. Und Bürgermeister Michael Ludwig behauptete, dass wir uns in einem rechtsfreien Raum befunden hätten. Das finde ich komplett lächerlich. Wir leben hier in Österreich und unsere Leben sollten hier gut geschützt werden. Weltweit werden jährlich viele Klimaaktivist:innen ermordet. Es ist surreal, dass das in Österreich fast auch passiert wäre. 

Der Widerstand geht weiter

Dann kam dann auch noch die Räumung der Hausfeldstraße dazu. Viele von uns waren gerade in der Prüfungsphase oder arbeiteten. Wir wurden komplett aus der Realität gerissen. Die Polizei hat es uns unglaublich schwer gemacht, wieder zur Besetzung in der Hausfeldstraße zu kommen. Alle öffentlichen Verkehrsmittel wurden blockiert. Bei der Räumung gab es auch Polizeigewalt. 

Ich habe es immer noch nicht realisiert, dass wir da nicht mehr sind. Wie es weitergeht, wird sich die Tage entscheiden. Wir werden schauen, was die beste Art des Widerstands ist. Jetzt müssen wir erstmal wieder auf dem Boden der Realität ankommen. Eins ist klar: Wir werden auf keinen Fall aufgeben und wir werden uns nicht kleinkriegen oder mundtot machen lassen. Der Widerstand und der Protest gehen für uns weiter, bis diese Stadtstraße nicht mehr gebaut wird. Diese fünf Monate waren garantiert erst der Anfang.
 

 

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