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Kapitalismus

Eine Million Berliner:innen wollen Immobilienfirmen enteignen. Wie soll das gehen?

Große Immobilienunternehmen enteignen. Geht es nach den Berliner:innen soll die Stadt fast 250.000 Mietwohnungen vergesellschaften. Mehr als 56 Prozent stimmten für die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" - die Politik ist nicht begeistert. Muss sie das Begehren jetzt umsetzen? Und bringt es überhaupt etwas, Immobilienfirmen zu enteignen, um explodierende Mieten zu bekämpfen?

Am Sonntag war in Berlin einiges los: Wahl zum Bundestag, Wahl zum Berliner Landesparlament, Wahlen in den Stadtbezirken und ein Volksentscheid darüber, ob Wohnungen im Besitz großer Immobilienkonzerne vergesellschaftet werden sollen oder nicht.

Das Ergebnis dieser Abstimmung: Eine Mehrheit von 56,4 Prozent der Berliner:innen will profitorientierte Immobilienunternehmen enteignen. 39 Prozent stimmten gegen den Plan.

Das musste selbst die Macher:innen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ überraschen: Die letzte Umfrage vor dem Volksentscheid ließ ein knapperes Ergebnis erwarten. 50 Prozent für und 43 Prozent dagegen hieß es noch vor einer Woche. „Gemeinsam haben wir die Stadt bewegt und die Politik aufgerüttelt – das feiern wir heute“, sagte Johanna Kusiak, Sprecherin der Initiative.

Eine Million für Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“

Diese fordert die künftige Berliner Regierung auf, ein Gesetz auf den Weg zu bringen: Es soll erlauben, die Wohnungen „aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen in Berlin“ zu vergesellschaften, wie es im Antragstext heißt. Die der Initiative ihren Titel gebende „Deutsche Wohnen“ ist das größte gewinnorientierte Immobilienunternehmen am Berliner Markt. Ihm gehören über 110.000 Wohungen.

Mehr als eine Million Menschen stimmten für das Begehren. „Die Forderung zur Vergesellschaftung vereint weit mehr Stimmen hinter sich als jede Partei“, sagte Kusiak. Bei der gleichzeitig abgehaltenen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erhielt die SPD als stimmenstärkste Partei knapp 390.000 der Zweitstimmen.

Also alles klar jetzt? Der Vorschlag betrifft 243.000 Mietwohnungen und rund ein Dutzend Unternehmen in Berlin. Werden die nun enteignet und vergesellschaftet? So einfach wird es wohl nicht. Der Volksentscheid ist nicht bindend. Zwar muss sich die Berliner Landespolitik jetzt damit auseinandersetzen. Aber damit auseinandersetzen kann im Ergebnis auch heißen: dagegen zu stimmen.

Die Berliner Parteien sind mehrheitlich dagegen

Denn während die Berliner:innen mehrheitlich für die Vergesellschaftung stimmten, sieht es bei den Parteien ganz anders aus. Die SPD lehnte das Vorhaben im Wahlkampf ebenso ab wie CDU und FDP. Die Grünen sehen die Vergesellschaftung als letztes Mittel an, sollten die explodierenden Mietpreise in Berlin anders nicht in den Griff zu bekommen sein. Nur die Linke ist für den Plan.

Bezahlbares Wohnen: Es war eines der prägenden Themen der Wahl in Graz, bei der KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr triumphierte. Es ist ständiges Thema in Wien, wo ebenfalls die Mieten seit Jahren nach oben gehen. Das Momentum Institut zeigte, dass die Preise für Mieten seit 2015 österreichweit um 23 Prozent gestiegen sind.

Und: Wer mietet und wenig verdient, für den wird das Leben viel schneller viel teurer – weil die Wohnkosten immer mehr vom Budget auffressen. Die deutsche Hauptstadt toppt das noch: Hier explodieren die Mieten – vor allem in Stadtteilen, in denen gering verdienende Menschen leben.

Mieten in Berlin explodieren seit Jahren

Im Berliner Stadtteil Neukölln stiegen die Mieten in zehn Jahren um fast 150 Prozent, so das Ergebnis einer Studie aus dem Frühjahr dieses Jahres. Immobilien sind hier vor allem Spekulationsobjekte: Die Kaufpreise für Wohnungen stiegen in der gleichen Zeit sogar um mehr als 300 Prozent. Es ist kein Wunder, dass in Berlin die Debatte darüber seit Jahren so heiß geführt wird, wem der Wohnraum gehört und wer bestimmen darf, wie teuer er ist.

Um viel Geld geht es auch jetzt: Was wird es Berlin eigentlich kosten, Hunderttausende Wohnungen zu übernehmen? Die Initiatoren des Volksentscheids gehen davon aus, dass zwischen 7,3 und 13,7 Milliarden Euro als Entschädigungen an die Immobilienunternehmen fließen müssen. Eine Summe, die aus den laufenden Mieteinnahmen gestemmt werden könne. Die Mieten könnten laut des „Faire-Mieten-Modells“ dabei sogar gesenkt werden.

Stadt Berlin glaubt: Enteignen wird teuer

Die Stadt Berlin schätzt dagegen, dass es zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro kosten wird, die Unternehmen zu entschädigen. Dazu kämen weitere bis zu 2 Milliarden, etwa dafür, die Immobilien zu erfassen und Werte zu schätzen. Berlin müsste dafür Kredite aufnehmen, die nicht aus den Mieten der vergesellschafteten Wohnungen bedient werden könnten. So wären 100 bis 340 Millionen Euro jährlich zu erbringen, immerhin „bei aktuell sehr günstigen Finanzierungsbedingungen“, schreibt die Stadt.

Eine Arbeitsgruppe um den früheren Staatssekretär für Stadtentwicklung Andrej Holm errechnete zuletzt vier Modelle, die zwischen diesen Polen liegen. Im teuersten Fall wären es maximal 22,8 Milliarden Euro, die die Enteignungen kosten würden. Die Kostenfrage ist entscheidend. Denn werden die Enteignungen so teuer, dass Berlin es sich nicht mehr leisten kann, dringend benötigte neue Wohnungen zu bauen, wäre wenig gewonnen.

Um den Mietmarkt in Berlin entscheidend beeinflussen zu können, müssten laut deutschem  Mieterbund 30 Prozent der Wohnungen von der Stadt verwaltet werden. Davon ist Berlin weit entfernt. Laut Berliner Mietatlas besaßen die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften im Jahr 2017 nur 16,2 Prozent der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen der Stadt. In Neukölln, wo die Mieten besonders stark stiegen, sind es weniger als 10 Prozent.

Immobilien enteignen: Entspricht das dem Grundgesetz?

Ziemlich unterkühlt klingt, was die Berliner SPD-Spitzenkandidatin und Wahlsiegerin Franziska Giffey zum Ergebnis der Abstimmung sagte: „Dieser Volksentscheid ist zu respektieren und die notwendigen Schritte sind einzuleiten“, sagte sie. Sie zweifelt, ob es überhaupt umsetzbar sei, im großen Stile Wohnungen zu vergesellschaftlichen. „Wenn das nicht verfassungskonform ist, können wir es nicht machen.“

Ob das deutsche Grundgesetz es überhaupt erlaubt, Immobilienunternehmen – natürlich gegen entsprechende Entschädigung – zu enteignen, darüber wird seit Jahren gestritten. Es gibt zahlreiche Rechtsgutachten darüber. Im Kern geht es dabei um die Artikel 14 und 15 der deutschen Verfassung.

Ersterer schützt privates Eigentum, zweiterer erlaubt es dem Staat sehr wohl, privaten Besitz per Gesetz, „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen.

Letzter Stopp im politischen Marathon: Verfassungsgericht

Auf den Artikel 15 berufen sich die Initiatoren von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Er wurde bisher noch nie angewandt. Sofern das Berliner Abgeordnetenhaus ein Gesetz beschließt, ist es sehr wahrscheinlich, dass das deutsche Verfassungsgericht darüber urteilen müsste. Dieses kippte im Frühjahr dieses Jahres erst den Berliner Mietendeckel.

Der fror die Höhe von Bestandsmieten auf dem Stand von Mitte 2019 ein, wurde aber aus formalen Gründen abgeschmettert. Die Folge: Mieter:innen mussten rückwirkend Mieten nachzahlen.

Am Sonntag war in Berlin nicht nur an den Wahlurnen einiges los, sondern rannten auch Zehntausende beim Berlin-Marathon durch die Stadt. Die Initiative dafür, große Immobilienunternehmen zu enteignen, läuft bereits seit 2018. Es ist ein politischer Marathon. Auch mit dem positiv ausgegangenen Entscheid vom Sonntag steht fest: Das Ziel ist noch längst nicht in Sicht.

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