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Klimakrise

Dieser Vertrag behindert die Energiewende: Was ist die Energiecharta?

Der Energiecharta-Vertrag gilt heute als "gefährlichster Investitionsschutz-Vertrag" der Welt. Er behindert Maßnahmen gegen die Klimakrise. Österreich ist seit 30 Jahren einer von 53 Mitgliedsstaaten. Einige Länder treten nun aber aus. Was ist die Energiecharta und was hat es mit der Kritik daran auf sich?

Was ist die Energiecharta? Was ist der Energiecharta-Vertrag?

Der Energiecharta-Vertrag ist ein internationales Abkommen mit derzeit 53 Mitgliedern. Es soll die Zusammenführung globaler Energiemärkte erleichtern. Dazu gibt es auch privaten Energie-Konzernen weitreichende Rechte, die sie vor internationalen Schiedsgerichten einklagen können.

Die „Energiecharta“ wurde als politische Absichtserklärung 1991 unterzeichnet. Seit 1994 ist es ein rechtsverbindlicher Vertrag, der 1998 in Kraft trat: der „Energiecharta-Vertrag“. Die Verhandlungen fanden damals weitgehend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung statt. Auf Englisch heißt er „Energy Charter Treaty“ und wird deshalb für gewöhnlich mit „ECT“ abgekürzt.

Wer heute von der Energiecharta spricht, meint damit für gewöhnlich den gültigen Vertrag.

Was war die Idee hinter dem Energiecharta-Vertrag?

Die Energiecharta war eine Reaktion auf das Ende des Kalten Krieges. Es sollte vor allem das Zusammenwachsen der ost- und westeuropäischen Energiemärkte begleiten und fördern. Dabei war eine große Motivation, die Interessen von Investor:innen zu schützen – das betraf vordergründig vor allem westliche Investor:innen in den ehemaligen Sowjet-Staaten.

Was steht im Energiecharta-Vertrag?

Der Energiecharta-Vertrag schützt die Investitionen von ausländischen Investor:innen gegen „nicht-kommerzielle“ Risiken und regelt ihre Streitigkeiten mit den Staaten wie Energie-Konflikte zwischen den Staaten. Dazu gibt es auch internationale Schiedsgerichte, die Investitionsschiedsverfahren klären. Das sind auch die umstrittensten Teile.

Der Vertrag soll zudem gewährleisten, dass Energie verlässlich über Grenzen hinweg geliefert wird und enthält auch Vorgaben, die Energieeffizienz sicherstellen sollen.

Die im österreichischen Bundesrecht verankerte Version findest du hier.

In welchen Ländern gilt die Energiecharta?

Derzeit hat der Energiecharta-Vertrag 53 Unterzeichnende: 51 Staaten vor allem aus Europa, der ehemaligen Sojwetunion und Australien, die Organisation EURATOM und die Europäische Union. Australien, Belarus, Island, Norwegen und Russland haben ihn aber bisher nicht offiziell in nationales Recht umgesetzt („ratifiziert“). 20 weitere Staaten und 10 internationale Organisationen haben Beobachterstatus.

Das durch den ECT eingerichtete Sekretariat bemüht sich darum, mehr Staaten einzubinden und lobbyiert dafür in Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten.

Unterdessen verliert die Energiecharta aber Mitglieder. Italien trat 2016 aus dem Energiecharta-Vertrag aus. Die Niederlande, Spanien, Frankreich, Deutschland und Polen haben ihren Austritt 2022 entweder schon eingeleitet oder angekündigt

Was ist das Problem und die Kritik an der Energiecharta?

Die Energiecharta behindert notwendige Klimapolitik und gilt als Hindernis für das Einhalten des Pariser Klimaabkommens von 2015. Diese Kritik wird von einer breiten Allianz getragen, die Expert:innen aus der Wirtschaftswissenschaft, Klimawissenschaft bis hin zu globalisierungskritischen Organisationen trägt.

Der Zusammenhang ist einfach zu verstehen: Um die Klimakrise zu meistern, müssen wir unsere Energieversorgung radikal ändern. Diese basiert derzeit vor allem auf fossilen Energieträgern (Öl, Gas, Kohle, …). Konzernen verdienen daran sehr gut. Die politischen Veränderungen sind inhaltlich richtig und notwendig, doch sie gefährden die Gewinne solcher Konzerne. Sie werden als „nicht-kommerzielles“ Risiko von Investor:innen gesehen – und diese werden vom Energie-Charta-Vertrag geschützt. Es gibt hunderte Klagen von Investor:innen gegen Staaten auf Basis der Energiecharta.

Der Energiecharta-Vertrag beschränkt den Spielraum der Politik. Staaten, die empfindliche Strafen fürchten müssen, könnten notwendige Reformen aufschieben. Die Investitionsschiedsverfahren sollen theoretisch sicherstellen, dass die manchmal vielleicht nicht ganz unabhängige Justiz in einem Staat über die Klagen ausländischer Investor:innen gegen diesen Staat entscheidet. Gleichzeitig entziehen diese Verfahren den Staaten aber eben auch demokratische Kontrolle. Normale Bürger:innen oder auch inländische Unternehmen haben kein Recht, auf dieser Ebene mitzureden.

In drei Viertel der Fälle gewinnen die Investor:innen vor dem Schiedsgericht. Und das bringt ihnen gutes Geld aus Steuertöpfen der Staaten, denn sie bekommen im Schnitt dabei 600 Millionen Dollar zugesprochen. Die tatsächlichen Zahlen sind wohl höher. Doch mehr als die Hälfte aller abgeschlossenen Verfahren bleibt unter Verschluss.

Ein Beispiel für all das: Deutschland beschloss 2011 nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft. Das war ein normaler, demokratischer Vorgang. Doch dafür wurde es 2012 durch den schwedischen Energiekonzern Vattenfall auf 4,6 Millionen Euro geklagt (über Zinsen wuchs die Summe auf über 6 Milliarden Euro). Vattenfall betrieb auch in Deutschland Atomkraftwerke. Vier Jahre lang wusste die Öffentlichkeit von der Klage nicht einmal – bis heute blieben viele Dokumente unter Verschluss. Allein, das Verfahren zu führen, kostete Deutschland 10 bis 20 Millionen Euro. Es endete schließlich in einem Vergleich – Deutschland zahlte Vattenfall 1,4 Milliarden Euro.

Wie kommt man aus dem Energiecharta-Vertrag?

Staaten können aus dem Energiecharta-Vertrag einfach austreten. Der erklärte Austritt wird nach einem Jahr wirksam. Danach gelten die Regeln des Vertrags für alle Investitionen, die vor dem Austritt getätigt wurden, aber noch 20 Jahre. Das wird oft als Argument gebracht, den Vertrag besser zu reformieren, statt auszutreten. Änderungen brauchen aber die einstimmige Zustimmung aller Mitglieder. Sie sind deshalb unwahrscheinlich. 

Die EU-Kommission versuchte in den vergangenen Jahren, künftige Investitionen in fossile Energiequellen aus dem Vertrag zu verhandeln. Damit sollte er mit einer ausreichenden Klimapolitik kompatibel werden. Die jüngsten Reformbemühungen, über die im November abgestimmt wird, brachten Kritiker:innen zufolge aber nur kosmetische Änderungen. Mit den angekündigten Austritten der Niederlande, Polens, Spaniens und zuletzt auch Frankreichs gingen Spekulationen einher, die EU könnte nun als ganzes aus dem ECT austreten. Bisher mangelte es dafür am Willen aller Mitgliedsstaaten – mit der gescheiterten Reform des Vertrages kommt aber viel in Bewegung.

Ausgetretene Staaten könnten die 20-jährige Klagemöglichkeit zumindest teilweise umgehen. Sie könnten die Regeln in einem neuen Abkommen untereinander unwirksam machen. Zwei Drittel aller gegen EU-Mitgliedsstaaten anhängigen Klagen werden von Konzernen aus dem EU-Raum vorgenommen.

Ist Österreich bei der Energiecharta?

Österreich ist Teil der Energiecharta. Es gab bisher keine erkennbaren Initiativen, das zu ändern. Auf frühere Anfragen dazu reagierte die Politik nicht. Verantwortlich dafür ist vor allem das Wirtschaftsministerium mit seiner Zuständigkeit für den Investitionsschutz. Soweit bekannt, ist Österreich bisher nicht auf Basis der Energiecharta verklagt worden. Österreichische Unternehmen haben allerdings andere Staaten sehr wohl verklagt. 

 

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