Erderwärmung: Warum fossile Konzerne den Weltuntergang lieben
Ende Juli sorgte ein Interview mit Jim Skea, dem neuen Chef des UN-Weltklimarats IPCC, für Aufregung. Gegenüber dem Spiegel sagte Skea: “Bei 1,5 Grad Erwärmung geht die Welt nicht unter”. Viele Medien berichteten darüber – doch meist ging unter, was Skea im nächsten Satz sagte: “Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein. Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird soziale Spannungen geben.”
Vor allem in konservativen Medien wie der Presse, Kronen Zeitung, WELT und BILD wurde aus dem vermeintlich abgesagten Weltuntergang eine Schlagzeile gemacht. Die ÖVP sah des Kanzlers Zukunftsrede vom März bestätigt. Karl Nehammer hatte darin die Klimakrise verharmlost und warnte in einer Presseaussendung erneut vor Untergangsszenarien.
Diese haben aber weniger mit Klimaaktivist:innen zu tun. Sondern vor allem mit denen, die beim Klimaschutz auf die Bremse treten. Warum das so ist und warum die Untergangsszenarien so gefährlich sind, erklären wir in drei Punkten.
#1 Untergangsszenarien werden von Klimaschutzbremser:innen verbreitet
Der US-Ölkonzern ExxonMobil weiß seit über 40 Jahren, wie klimaschädlich seine Geschäfte sind. Doch um weiter gute Geschäfte zu machen, leugnete das Unternehmen die Klimakrise und stellte sie später als nicht menschengemacht dar. Mittlerweile glaubt diese Lüge kaum jemand mehr. Deshalb hat ExxonMobil – ebenso wie viele andere fossile Konzerne – seine Strategie angepasst. Sie stecken Millionen Dollar in Werbung und Lobbyarbeit, um den Kampf gegen die Klimakrise als zu teuer und nicht zu gewinnen darzustellen.
Diese Schwarzmalerei soll uns in Fatalismus und Untätigkeit treiben, schreibt der US-Klimaforscher Michael E. Mann in seinem Buch „Propagandaschlacht ums Klima”. Das sei ebenso fatal, wie die Klimakrise zu leugnen. Die Menschen sollen sich ohnmächtig fühlen und untätig zusehen. Gleichzeitig können fossile Konzerne weiter Rekordgewinne einfahren.
Die Unternehmen wenden weitere Strategien an. Sie schieben das Problem auf einzelne Menschen: so wie etwa der britische Ölkonzern BP mit seinem CO2-Fußabdruck Rechner. Oder sie finanzieren dubiose Forschung, die die Klimakrise verharmlosen soll. Und Greenwashing, wie es nicht nur die Fluglinie AUA oder die OMV betreiben – um zu sagen: “Wir machen eh schon genug.”
Die Politik duldet das großteils. Greenwashing ist in Österreich kein eigener Straftatbestand. Die Vorschriften werden nur langsam strenger. Währenddessen schlagen auffälig viele Ex-Politiker:innen einen zweiten Karriereweg bei fossilen Konzernen ein: Margarete Schramböck (ÖVP), Wolfgang Schüssel (ÖVP), Gerhard Schröder (SPD), Karin Kneissl (FPÖ) und viele weitere bekamen insbesondere in Russland und Saudi-Arabien lukrative Jobs.
#2 Untergangsszenarien beruhen auf falsch verstandener Klimaforschung
Wird eine Methanbombe gezündet, wenn Permafrostböden tauen? Diese soll so viel klimaschädliches Methan freisetzen, das alles Leben in wenigen Jahren ausgelöscht wird. Oder werden Wolken sich einfach auflösen, wenn es zu heiß wird – und die Erderwärmung unaufhaltsam verstärken, bis unser Planet unbewohnbar wird?
Diese Untergangsszenarien werden zwar in der Forschung diskutiert, sind aber mittlerweile widerlegt. Damit die kühlend wirkenden Wolken verschwinden, müsste sich die Erde global um 6 Grad aufheizen, erklärt IPCC-Leitautor Douglas Maraun in einer Vorlesung an der Universität Graz. Dafür müssten die weltweiten Emissionen 200 Jahre lang im bisherigen Tempo weiter steigen. Unsere Öl- und Gasreserven reichen aber nur für weitere 50 bis 60 Jahre.
Ein Dominoeffekt bei Kipppunkten könne nicht zu 6 Grad Erderhitzung führen. Das sei unrealistisch, sagt Maraun. Einige Forscher:innen hatten große Sorge vor tauenden Permafrostböden und dem Absterben des Amazonas-Regenwaldes. Mittlerweile ist aber gut belegt, wie dramatisch dies wäre: Die Erde würde durch die freigesetzten Treibhausgase “nur” um jeweils 0,2 bis 0,5 Grad heißer werden, sollten Permafrostböden vollständig auftauen oder der Amazonas-Regenwald zur Steppe werden. Beides wäre nicht stark genug, um uns in ein unbewohnbares Klima zu katapultieren, so Experte Maraun.
Dennoch sollte man nicht auf die Propaganda fossiler Konzerne hereinfallen. Deren Untergangsszenarien sollen den Kampf gegen die Klimakrise aussichtslos erscheinen lassen.
#3 Die Welt geht nicht unter, aber sie wird viel gefährlicher
Ein Team rund um David Armstrong McKay hat sich hunderte Studien angesehen und 16 relevante Kipppunkte identifiziert. Fünf dieser Kipppunkte könnten bereits ausgelöst sein: etwa das Schmelzen des Grönländischen und des Westantarktischen Eisschildes. Weitere sechs Kipppunkte könnten selbst dann ausgelöst werrden, wenn die Erderwärmung auf unter 2 Grad begrenzt wird. Auf dieses Limit haben sich fast alle Staaten der Welt im Pariser Klimaabkommen geeinigt.
Kipppunkte sind unumkehrbar und können sich gegenseitig auslösen. Um diesen Dominoeffekt aufzuhalten, sollte die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, schlussfolgern die Autor:innen.
Der Weltklimarat IPCC warnt in einem Sonderbericht, dass bei 2 Grad Erderwärmung doppelt so viele Menschen von extremer Hitze betroffen wären wie bei 1,5 Grad. Das sind rund 2 Milliarden Menschen. Es wären 20 Prozent der Erde von starken Überschwemmungen betroffen, die derzeit Kärnten, die Steiermark und Slowenien durchfluten. Das sind mehr als doppelt so viele Gebiete wie heute. Sämtliche Korallenriffe würden absterben. Pflanzen, Insekten und Säugetiere wären 2 bis 3 Mal stärker vom Aussterben bedroht als bei 1,5 Grad Erderwärmung.
Mit den derzeitigen Politikmaßnahmen steuern wir allerdings auf eine um fast 3 Grad wärmere Erde zu. Das würde fast alle Kipppunkte auslösen und die Erderwärmung weiter antreiben. Es wäre kein Weltuntergang, aber eine – um es wie Jim Skea zu sagen – viel gefährlichere Welt mit noch tödlicheren Hitze-Sommern, Flutkatastrophen und drohenden Hungersnöten. Vor einer solchen Welt warnen viele Klimaforschende und Aktivist:innen – nicht aber vor dem Weltuntergang.