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Klimakrise

Erfolgreicher Klimaprotest: Wie Extinction Rebellion die niederländische Regierung zum Umdenken zwang

Eine Demonstration mit vielen Menschen, die nass aber fröhlich aussehen. Im Hintergrund grüne Bäume und blauer Himmel.
Nass, aber glücklich: Klimaaktivist:innen in den Niederlanden haben die Politik zum Einlenken gebracht Foto: Extinction Rebellion Niederlande
Kann Klimaprotest überhaupt etwas verändern oder löst er nur Ärger aus? In den Niederlanden hat die Klimabewegung jetzt einen wichtigen Erfolg gefeiert. Geschafft hat sie das mit einer täglichen Straßenblockade – und dem Rückhalt der Bevölkerung.

“Ich glaube, die Polizeikräfte haben irgendwann einfach resigniert”, sagt Christian Alther (26) schmunzelnd. Kein Wunder, wenn man ständig Personen wegträgt und dieselben Gesichter eine Stunde später wieder vor sich sitzen sieht. Alther kann sich aber über wesentlich mehr freuen als das Schnippchen, das der Polizei geschlagen wurde. Er war gemeinsam mit seiner Kollegin Angela Stellmacher (25) von “Extinction Rebellion” Teil eines Protests, der zu den gewünschten politischen Konsequenzen geführt hat. Eine Seltenheit.

Natürlich können Proteste nicht immer direkt Ergebnisse nach sich ziehen. Sie führen auch zu Aufmerksamkeit und mehr Bewusstsein. Doch misst man den Erfolg von Klimaprotesten alleine an daraus entstandenen politischen Maßnahmen, muss man die Proteste der letzten Jahre in Österreich als gescheitert betrachten. Die Politik reagiert mittlerweile vor allem mit Drohungen auf Proteste. Gab es anfangs noch größere Zustimmung aus der Bevölkerung, wandelt sich auch ihre Stimmung immer mehr in Feindseligkeit. Vor allem die “Letzte Generation” sorgt mit ihren Blockaden für Verärgerung. 
 

Böser Klimaprotest?

Die Art des Protests bringt also nichts und führt nur zu Wut auf die Demonstrierenden? Das ist falsch – vor allem, wenn man in die Niederlande blickt. Dort haben Menschen einen Monat lang täglich eine Autobahnzufahrt blockiert. Jetzt muss die Regierung der zentralen Forderung der Proteste nachkommen. Das hat das Parlament am 10. Oktober beschlossen.

Begonnen hat der Protest bereits 2020 mit der friedlichen Besetzung von Ministerien-Büros. 2022 sind Aktivist:innen der Klimaschutzbewegung Extinction Rebellion dazu übergegangen, alle paar Wochen die Autobahnzufahrt A12 in Den Haag zu blockieren. 

Ihre Aktionen verpufften nicht. Im Gegenteil: Die Zahl der Demonstrierenden stieg immer weiter an. Am 9. September erfolgte der Startschuss für tägliche Blockaden. Seitdem blockierten stellenweise mehrere tausend Menschen jeden Tag um die Mittagszeit die A12. 

Überforderte Polizei gegen motivierte Menge

Alther und Stellmacher waren an den ersten zwei Tagen der Proteste mit dabei. Dort erlebten sie eine engagierte Zivilbevölkerung – und eine Polizei, die mit der Situation kaum umgehen konnte. “Es waren wenige Polizist:innen dort. Und die waren sehr überfordert. Das hat man auch daran gemerkt, dass sie sehr schnell sehr viele Schmerzgriffe eingesetzt haben”, sagt Stellmacher. Eine Schiene am Handgelenk blieb ihr für mehrere Wochen als Erinnerung an ihren Protest.

Auch der Wasserwerfer hinterließ Spuren. “Sie haben drei Durchgänge damit gemacht. Auch das war eher schmerzhaft. Danach haben sie mit den Verhaftungen begonnen”, so Stellmacher. Die Polizei brachte sie mit dem Bus in ein nahegelegenes Fußballstadion. Dort wurde verlesen, was ihnen vorgeworfen wurde. 

Identität wurde keine festgestellt. Direkt danach fuhren die Beiden wieder zurück zur Demo. 
Denn die Polizei kam mit der Anzahl an Demonstrierenden einfach nicht zurecht. Bis zu 25.000 Menschen haben am ersten Tag am Protest teilgenommen. “Von dieser Masse sprechen wir als Klimabewegung seit Jahren. Genau das brauchen wir, damit etwas kippt”, so Alther. Jetzt ist in den Niederlanden tatsächlich etwas gekippt – obwohl der Anlass wenig spektakulär wirkt.

Ausgegangen ist der Unmut von einem gebrochenen Versprechen der Regierung. Sie sollte klimaschädliche Förderungen streichen, etwa Steuererleichterungen für fossile Unternehmen. Passiert ist jedoch nichts. Dafür kam heraus, dass die veröffentlichte Fördersumme aus dem Wirtschafts- und Klimaministerium viel zu niedrig beziffert wurde. Statt den damals angegebenen 4,5 Milliarden Euro geht man mittlerweile von bis zu 46,4 Milliarden Euro aus. Eine enorme Summe, mit der man die klimaschädliche Industrie fördert und dadurch die Klimakrise noch befeuert. In Österreich ist die Situation ähnlich. Hierzulande hat das WIFO eine Summe von fünf Milliarden Euro für klimaschädliche Förderungen berechnet.

Der Haken dabei: Das WIFO selbst kritisiert die unvollständige Datenlage. Tatsächlich fördert der Staat klimaschädliches Verhalten mit viel mehr Geld. Mehr als 14,5 Milliarden dürften es sein. Aufschrei gab es bei uns deswegen keinen, von ähnlichen Massenprotesten sind wir weit entfernt. Was ist der Unterschied?

Ein Grund liegt vielleicht in der direkten Betroffenheit der Niederlande. Durch die Klimakrise wird der Meeresspiegel ansteigen. Wie stark, ist unklar. Doch für die Niederlande, das in seiner Geschichte dem Meer bereits viel Land abgerungen hat, wird das auf jeden Fall zum existenziellen Problem. Ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel. Die Klimakrise wird für die Niederländer:innen also noch schneller und intensiver zu spüren sein.

Die niederländische Regierung ist darüber hinaus gerichtlich dazu verpflichtet, das Land bewohnbar zu halten. Die Niederlande waren das erste Land der EU, in dem eine Klimaklage erfolgreich war. 2013 reichte die NGO “Urgenda” Klage ein, weil die Regierung aus ihrer Sicht zu wenig gegen die Klimakrise unternommen hatte. Urgenda bekam Recht, die Regierung ging in Berufung. 2019 wies der Oberste Gerichtshof diese in letzter Instanz zurück. Erstmals wurde eine Regierung von einem Gericht zu mehr Klimaschutz gezwungen.

Ums Überleben kämpfen und gleichzeitig Unsummen in klimaschädliche Unternehmen pumpen? Mit diesem Widerspruch hat Extinction Rebellion erfolgreich die Zivilbevölkerung aufgerüttelt. Stellmacher und Alther sind bei der Demo auf ein breites Bündnis gestoßen. “Extinction Rebellion hat bei den Protesten auf der A12 von Anfang an breit und öffentlich mobilisiert”, sagt Alther. Man wollte nicht nur unter sich bleiben, sondern auch die Zivilbevölkerung einbinden. Neben Extinction Rebellion hätten sich auch andere Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International beteiligt.  

Und sie bewegen doch etwas

Die Bemühungen der Klimaorganisationen waren erfolgreich. Mittlerweile wollen drei Viertel aller Befragten laut Umfragen, dass die niederländische Regierung die Förderungen einstellt. Aber erst durch die große Beteiligung war der Protest erfolgreich. Ein paar Menschen kann man eben schneller von der Straße tragen oder ignorieren als ein paar tausend. Einen Monat lang blockierten sie jeden Tag die Straße. Über 9.000 Verhaftungen gab es bis zuletzt.

Doch der Druck hat gewirkt. Die Politik muss jetzt handeln. Die Blockade hat Extinction Rebellion nach der Erfolgsmeldung sofort beendet. Kommt die Regierung ihrem Versprechen wieder nicht nach, werden die Blockaden fortgesetzt. Wer also weniger Proteste will, sollte sie unterstützen – und dafür kämpfen, dass die Politik Maßnahmen umsetzt.

Lässt sich aus dem Erfolg etwas für Österreich ableiten? Das Bewusstsein zur Klimakrise und das Protestverständnis ist in der niederländischen Bevölkerung ausgeprägter. Das macht es schwieriger, Lektionen zu übernehmen. “Inspiration und Motivation ist der Erfolg für uns aber auf jeden Fall. Sie haben genau den richtigen Punkt gefunden, öffentliche Aufmerksamkeit in eine Massenbewegung umzuwandeln. Wir versuchen dasselbe”, sagt Alther. 

Auch wenn sich die Stimmung in Österreich etwas gedreht hat: Wir brauchen mehr Bewusstsein für das Ausmaß der Klimakrise in der Bevölkerung – und das erreichen wir nur durch mehr Proteste, nicht weniger. 

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