Erntearbeit: Ein besseres Leben oder Ausbeutung in Österreich?
Raluca* und Ion* haben ihre Jobs in Rumänien aufgegeben, für ein besseres Leben in Österreich. Heute bereuen sie ihre Entscheidung. Weil das Paar mit falschen Versprechungen in die Steiermark gelockt wurde – und weil sich für ihren Fall Arbeitnehmer- und ArbeitgebervertreterInnen kaum interessieren.
Böses Erwachen bei Erntearbeit
7,50 Euro pro Stunde wurden Raluca und Ion versprochen, als sie sich von Rumänien aus auf den Weg nach Österreich machen. Die versprochene Bezahlung in der Südoststeiermark ist weniger als die 8,66 Euro, die der Kollektivvertrag vorschreibt. Aber immer noch mehr als Raluca in ihrer Heimat im Elektrofachhandel und Ion auf der Baustelle verdient.
Einmal in Österreich war statt von 7,50 plötzlich nur noch von 6 Euro pro Stunde die Rede. Nach Diskussionen habe man sich auf 6,50 Euro geeinigt, erzählt Raluca. In Rumänien sei ihnen eine Unterkunft in der Nähe ihres Arbeitsortes für insgesamt 200 Euro pro Monat in Aussicht gestellt worden.
In der Unterkunft seien sie dann wie Menschen zweiter Klasse behandelt worden, erzählen Raluca und Ion. Es galt ein striktes Alkoholverbot. Besuche auf anderen Zimmern wurden nicht gestattet. Um von der Pension zur nächsten Einkaufsmöglichkeit zu gelangen, mussten sie die Unterkunftgeberin bitten, sie zu fahren. „Wir waren ihnen völlig ausgeliefert“. Als Raluca sich beschwerte, bekam sie drei Tage keine Arbeit mehr. „Von da an musste ich darum betteln, dass ich arbeiten durfte“, erzählt sie.
Kein Vertrag, mieser Lohn
Einen Arbeitsvertrag hat das Paar laut eigenen Angaben nie gesehen, geschweige denn unterschrieben. Mündliche Vereinbarungen seien in dieser Branche üblich, habe man ihnen erzählt.
Einen Tag nach Ankunft in Österreich ging es am 11. März zum ersten Mal aufs Feld zur Kren-Ernte. Das böse Erwachen kam am 24. April. Für die Unterkunft seien ihnen gesamt anstatt den vereinbarten 200 Euro nun monatlich 400 Euro verrechnet worden. 5 Euro seien ihnen pro Tag und Person für den Transport zum Feld abgezogen worden. Der Rest sei in einem Briefumschlag gekommen: gesamt 3057,50 Euro für 564 Arbeitsstunden. Ein Stundenlohn von 5,42 Euro.
Bezahlt wurden Raluca und Ion nicht von den drei Obstbauern, für die sie die vergangenen Wochen am Feld standen, sondern von Günter Janitsch, Betreiber der gleichnamigen Personalvermittlungsagentur (Janitsch ließ entsprechende Nachfragen hierzu unbeantwortet). Den Kontakt habe eine Bekannte hergestellt.
Ausbeutung mit System
„Die Personalagentur nutzt es schamlos aus, dass diese Menschen kein Deutsch können“, kritisiert Cristina Tamas vom Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB). Tamas spricht Rumänisch. Erst durch sie konnten Raluca und Ion auf ihre Situation aufmerksam machen. Dass die beiden teilweise nur geringfügig oder gar nicht angemeldet waren, erfuhren sie erst durch Tamas. Betreiberin der Unterkunft sei außerdem Janitsch‘ Lebensgefährtin.
Seit 2014 dokumentiert Sezonieri, ein Aktionsbündnis aus Gewerkschaften und NGOs, die Arbeitsbedingungen der insgesamt 15.000 ErntehelferInnen hierzulande. Ihr Resümee: Die Ausbeutung hat System. Lebensmittel zu Schnäppchenpreisen haben ihren Preis. Gezahlt wird der nicht an der Supermarktkassa, sondern von größtenteils migrantischen, “unsichtbaren” ArbeiterInnen. Die größtenteils aus Osteuropa stammenden ArbeiterInnen sprechen meist kaum Deutsch, arbeiten bis zu 100 Wochenstunden und hausen in Baracken fernab der lokalen Bevölkerung. Vielfach kennen Betroffene ihre Rechte nicht – oder schweigen, aus Angst um ihren Job.
Die ansonsten “unsichtbaren” ErntehelferInnen wurden im Frühjahr vergangenen Jahres plötzlich “sichtbar” – weil sie in der Corona-Pandemie auf einmal “fehlten”. Weil aufgrund geschlossener Grenzen der Spargel auf den Feldern verdorrte. Für (mediales) Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang ein Video. Es zeigt schimmlige Duschen, Wanzen in den Betten und die katastrophalen hygienische Bedingungen, unter welchen rumänische ErntehelferInnen der Firma Sulzmann im Marchfeld hausten.
Landwirte in der Bredouille
Auch für die drei Landwirte, auf dessen Feldern Raluca und Ion arbeiteten, gab es ein böses Erwachen. Arbeitsrechtliche Verfahren wegen nicht ausbezahlter Überstunden, Kündigungsentschädigungen und Nachversicherung.
Die Obstbauern beteuern laut Tamas, sie wussten nichts von dem Deal. Sie hätten 9 Euro pro Stunde an die Vermittlungsagentur bezahlt, was über der Kollektivvertragsvereinbarung von 8,66 Euro liegt. Sowohl Tamas als auch Raluca und Ion glauben den Landwirten. Ende vergangener Woche habe man sich auf einen außergerichtlichen Vergleich geeinigt.
Diverse Gebühren vom Lohn abgezogen
Die Bauern seien nicht das Problem, meint Tamas. Die Vermittlungsagentur sei es, die abkassiere. Sie tue das in Form von dubiosen Deals, die sich aus horrenden Vermittlungsprovisionen, verkappten „Transportgebühren“ und mangelnder Sprach- und Rechtskenntnis der Betroffenen ergeben.
Die Version von der Vermittlungsagentur geht anders. Günter Janitsch sagt gegenüer MOMENT: „Ich bin nicht Arbeitgeber, ich bin nicht Unterkunftgeber, ich bin nicht Busfahrer, ich bin nur der Personalvermittler“. Mit dieser allgemeinen Antwort bleibt ein konkreter, umfassender Fragenkatalog unbeantwortet. Janitsch sagt außerdem, er achte stets auf die Einhaltung kollektivvertraglicher Regelungen. Und er vermittle nicht an LandwirtInnen, von denen er wisse, dass entsprechende Standards nicht eingehalten würden. Für unsere Anfrage möchte er uns „wirklich danken“. Sie sei „ein glaubwürdiger Beweis, der zum Umdenken anregen könnte“. Er bitte aber darum, hier „keinen Unschuldigen in den Dreck zu ziehen“.
sozialpartnerschaftliche Grauzone
Dass Agenturen Personal an LandwirtInnen vermitteln, sei „an sich nichts Illegales“, betont Johannes Sorger, Direktor der Landarbeiterkammer Steiermark. Es sei für seine Organisation schwierig, mit ausländischen FeldarbeiterInnen in Kontakt zu treten. Sprachbarrieren einerseits, und dass die ArbeiterInnen nur für wenige Wochen oder Monate in Österreich seien, erschweren es. Deshalb versuche man mittels persönlicher Informationsschreiben und über Soziale Medien zu informieren. Seit kurzem gibt es mit AGRI-Worker eine eigene App, die Betroffene über ihre Rechte aufklären soll. Zu den Vermittlungsagenturen habe man allerdings keinen Kontakt, sagt Sorger.
Auch von Arbeitgeberseite beschäftigt man sich nicht mit Agenturen. Die Landwirtschaftskammer antwortet knapp: Man vertrete ausschließlich die Interessen der LandwirtInnen. Und die würden ohne Agenturen besser verdienen.
Letztlich agieren derlei Agenturen in einer sozialpartnerschaftlichen Grauzone, die weder von Arbeitgeber- noch Arbeitnehmervertretungen wirklich kontrolliert werden. Kollektivvertragliche Vereinbarungen wie ein Mindestlohn werden dadurch zahnlos. Denn ArbeitgeberInnen zahlen zwar den korrekten Lohn, doch bei den ArbeitnehmerInnen kommt nur ein Teil davon an.
„Wir sind da rausgekommen“
Raluca und Ion konnten auspacken, weil sie per Zufall auf die Gewerkschafterin Cristina Tamas stießen. Und weil sie das Glück hatten, einen anderen Job zu finden, der sie finanziell unabhängig machte. Vielen ihrer ehemaligen KollegInnen ergehe es anders. Sie seien oft ohne Geld und nur mit minimalen Sprachkenntnissen nach Österreich gekommen. Viele lassen ihr Einkommen auch noch von der Vermittlung verwalten, was sie noch abhängiger von ihr mache (Günter Janitsch ließ Nachfragen hierzu unbeantwortet).
Raluca arbeitet mittlerweile in Kärnten als Putzkraft, Ion in Tirol als Bauarbeiter. „Wir sind da rausgekommen, aber es sind sehr, sehr viele, die weiterhin dort arbeiten und ausgenommen werden“, betonen die beiden.
*Name von der Redaktion geändert