Achtsamkeitsmagazine? My ASS! Die neoliberale Logik der Mindstyle-Magazine
Transkript
Nunu:
„Hallo bei der Eskallertion. Ich bin Nunu Kaller, Aktivistin und Autorin und wir reden hier über unsere Konsumwelt, Nachhaltigkeit und was damit nicht stimmt.
Uns allen wird’s zuviel. Das Leben da draußen: Brutal schnell. Und die Zwangsverlangsamung durch die Krise hat vielen von uns vor Augen geführt, dass sie ihr Leben nicht wirklich erfüllt.
Man will mehr Zeit dafür haben, über das eigene Wohlbefinden nachzudenken. Überlegen, was man eigentlich wirklich will.“
Nunette unterbricht und schwärmt:
„Ich habe hier keinen Balkon. Vielleicht will ich lieber am Land wohnen? Hier ist e gerade nirgends Party, oder?
Vielleicht in so ein Cottage am Stadtrand … mit Fototapeten, mehr Grün? Alles wäre ruhiger…
Nunu erzählt weiter:
„Das Versprechen oder die Hoffnung, sich ein gutes Gefühl zu kaufen. Klar ist das ein mächtiger Kauf-Anreiz! Und ebenso klar ist, dass die Industrie weiß, wie man unser Kaufverhalten zum eigenen Vorteil ausnutzt. Doch das Tempo, mit dem unser Kaufverhalten sich immer weiter beschleunigt, schmeißt viele aus der Kurve. Manche aus finanziellen Gründen, weil sie es sich schlicht nicht mehr leisten können, andere, noch schlimmer, treten in Fallen namens „Konsumkredit“.
Dass sogenannte Mindstyle-Magazine wie „Flow“ oder „Happinez“ derzeit zu den erfolgreichsten Druckwerken im deutschsprachigen Raum zählen, ist daher nicht überraschend.
Für meine Recherche für mein Buch „Kauf mich! Auf der Suche nach gutem Konsum“ kaufte ich vor einigen Wochen eine Ausgabe von „Happinez“ und bezahlte erschreckende sechs Euro siebzig.
Echt?
Ganz schön teuer, so eine persönliche Seelenreinigung.
Auf den ersten Seiten blätterte ich mich durch diverse Bilder und Zitate, die mich anscheinend inspirieren sollten.
Nunette unterbricht und blättert durch das Magazin:
„Oh Wow. Winnie Puuh, geht auf ein mutiges Abenteuer.
Dieses Zitat hänge ich mir doch glatt an den Kühlschrank!
Auch das Foto, das Foto, die ganzen Fotos… Das macht mich so glücklich.“
Nunu erzählt weiter:
„Dann las ich von einer Frau, die sich ihren Traum erfüllt hatte, indem sie in ein Cottage in England gezogen war und dort vor sich hin kochte. Es ging scheinbar nur darum zu zeigen, wie glücklich man sein kann, wenn man sich seinen eigenen Traum erfüllt (und genug Geld auf der Seite hat, um sich schnell mal ein Cottage in England zu kaufen).
Auf den weiteren Seiten bekommt man das Gefühl, in einen Bewerb namens „Wer spürt sich besser?“ gezwungen zu werden.“
Nunette unterbricht und mockt Nunu:
„Nunu wo bist du? Ja, findest du dich denn nicht? Nunu das kann doch nicht so schwer sein!“
Nunu erzählt weiter:
„Überhaupt: Ich, ich, ich. Dauernd geht’s um das Ich.
Diese emotionale Selbstoptimierung ist doch schon wieder genau die gleiche Geschichte, wie die Diättipps in Frauenmagazinen. Inklusive entsprechender Produkte, die ich dafür kaufen kann. In einer Tour wird mir in dem Magazin erklärt, wie ich mich selbst optimiere – und auf den
letzten Seiten finde ich: Den Shop.“
Nunette entdeckt den Shop und freut sich:
„Eine Herzchakra-Kette um nur 199 Euro!
Ein Schrein aus Streichholzschachteln wäre doch auch noch schön!
Und die Räuchermischung: Licht-Liebe-Energie, ohne die will ich echt nicht mehr sein!
Nunu erzählt weiter:
„Dass diese Dinge im Einkauf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mal ein Zehntel davon kosten und wir uns im Sinne der Spiritualität
da gewaltig über den Tisch ziehen lassen? Geschenkt.
Aber sorry, ganz grundsätzlich: In einem Magazin, für das ich ein paar hart verdiente Euro hinblättere, wird mir erklärt, wie ich glücklich werde und welche Produkte ich dafür brauche, und das unter dem Deckmäntelchen einer Kultur, bei der es eigentlich um Konsumfreiheit und nichtmaterielle Werte gehen sollte.
Echtes Glück liegt meines Wissens und wissenschaftlichen Erkenntnissen nach eindeutig nicht darin, mir zwei neue Kristalle aufs
Fensterbrett zu legen und mir eine Herz-Chakra-Kette um den Hals zu hängen.
Meditation, Yoga, ja, das sehe ich alles ein. Aber diese Traditionen entstammen ja absurderweise genau der gegenteiligen Idee zu dem, was uns hier verkauft werden soll.Ich will mich nicht in dieses System einkaufen müssen, indem ich die „richtige“ Yogamode kaufe.
Diese Selbstoptimierung ist neoliberal bis ins Mark. Um mich in Ruhe mit mir selbst zu beschäftigen, muss ich mir nichts kaufen. Vor allem kein Magazin, das mir Mandalas in geschmacklosen Farben zum „Aufhängen an meinem Rückzugsort“ anbietet.
Wir sind „übershoppt“ und überfordert vom Angebot, überall um uns ist es so schnell, bunt und laut geworden, dass wir uns regelmäßig in der vollen Ubahn zur Rushhour in ein einsames Baumhaus mitten im Wald wünschen. Aber anstatt einem großen gesellschaftlichen Wandel zu arbeiten, ziehen wir uns in unsere Vorstellungswelten zurück, um die Realität zu ertragen.
Praktisch, wenn uns gleich eine ganze Industrie einredet, dass es ja nur an uns selbst liegt und wir uns ganz allein selbst aus der Misere rausholen können – wenn wir dabei nur die richtigen Räuchermischungen kaufen und ein bissl bauchatmen.
Was dabei aber auf der Strecke bleibt, ist die Motivation für eine Veränderung des Systems. Und: Wir vergessen dank des ganzen kommerziellen Achtsamkeitsklimbims auf die Ethik, den verantwortungsvollen Umgang der Menschen untereinander, weil es nur noch ums Ich geht und nicht mehr ums WIR.
Denn die ganz individuelle Belastung hat verdammt gesellschaftliche Ursachen, und genau dort müssen wir ansetzen, nicht bei Chakrenketten- made in China, versandt aus Deutschland.“
Nunette unterbricht, setzt an. Und bleibt dann nachdenklich stumm.
Nunu macht weiter:
„Dieser Meinung sind inzwischen auch namhafte Buddhisten, deren Religion in der Hitparade der Achtsamkeit weit oben rangiert. Bhikkhu Bodhi, amerikanischer buddhistischer Mönch, sieht den Buddhismus in einem unhinterfragten Konsumismus aufgehen. „Ohne eine scharfe
Gesellschaftskritik“, warnt er, „könnten buddhistische Praktiken leicht verwendet werden, um den Status quo zu rechtfertigen und zu stabilisieren und so den Konsumkapitalismus zu stärken.“
Nunette beginnt zu meditieren.
Nunu Kaller ist Aktivistin und Autorin aus Wien. Ihr neuestes Buch „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“ ist im März bei Kremayr & Scheriau erscheinen und im gut sortierten Buchhandel erhältlich.