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Was das EU-Lieferkettengesetz bringt und wie darum gestritten wird

Arbeiter in Kleidungsfabrik in Dhaka: Das EU-Lieferkettengesetz soll Menschenrechte schützen.
Arbeiter in Kleidungsfabrik in Dhaka, Bangladesch: Das EU-Lieferkettengesetz soll dafür sorgen, dass Unternehmen bei der Produktion Menschenrechte einhalten. – Foto: Kroisenbrunner/wikimedia commons
Durchbruch oder Abbruch? Am 1. Juni stimmt das EU-Parlament über ein Lieferkettengesetz ab. Es soll Unternehmen verpflichten, in ihrer gesamten Lieferkette darauf zu achten, dass die Menschenrechte von Beschäftigten gewahrt und die Umwelt nicht geschädigt wird. Doch kurz vor knapp legt sich die konservative EVP-Fraktion quer. Das Gesetz könnte scheitern. Worum geht es?

Warum braucht es ein Lieferkettengesetz?

Kinderarbeit, ausbeuterische Löhne und Arbeitsbedingungen, Raubbau an der Umwelt, klimaschädliche Produktion: In der Lieferkette von vielen Produkten werden Menschenrechte missachtet, das Klima und die Natur geschädigt. Die Lieferkette beginnt damit, benötigte Rohstoffe zu gewinnen, etwa Baumwolle für ein T-Shirt. Danach nähen Arbeiter:innen die Stoffe zu Kleidung – meist in Ländern, in denen Rechte von Beschäftigten kleingeschrieben werden und Löhne niedrig sind.

Die fertige Ware wird zu uns verschifft und landet in den Regalen von Geschäften und Lagern des Online-Handels. Ist das T-Shirt abgetragen, entsorgen wir es. Passiert das alles umweltgerecht und kommen Menschen dabei nicht zu Schaden? Dafür soll ein EU-weites Lieferkettengesetz sorgen.

Welche Regeln sollen beim EU-Lieferkettengesetz gelten?

Unternehmen sollen verpflichtet werden, zu ermitteln, ob in der Lieferkette ihrer Produkte die Menschenrechte verletzt oder die Umwelt geschädigt wird. Die Firmen sollen dann dafür sorgen, “negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern”. So schrieb es die EU-Kommission, als sie im Februar des vergangenen Jahres einen Entwurf für das EU-Lieferkettengesetz vorlegte.

Große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 150 Millionen Euro oder mehr sollen unter diese “Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit” fallen. Dazu kommen Firmen mit mehr als 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz, die in besonders ressourcenintensiven Branchen tätig sind. Das sind etwa Textilunternehmen, Bergbaubetriebe und Produzenten von Nahrungsmitteln. Für letztere sollen die Regeln erst zwei Jahre später gelten.

Und: Die Firmen sollen sicherstellen, dass ihre Geschäftstätigkeiten mit der “Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind”, wie es im Kommissionsentwurf heißt. Dazu gehört, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen zu reduzieren. Unternehmen sollten haftbar gemacht werden, wenn sie die Richtlinien nicht einhalten. Haben sie negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt in ihrer Lieferkette nicht abgestellt oder minimiert, sollen sie zivilrechtlich belangt werden können.

Was soll das EU-Lieferkettengesetz bringen?

Zahlreiche der Richtlinien sind schwammig formuliert. Dennoch wäre das Lieferkettengesetz ein Durchbruch dabei, weltweit Menschenrechte zu wahren und das Klima zu schützen. Katastrophen, wie der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mit mehr als 1.100 Toten, zeigen: Freiwillig machen Unternehmen hier wenig. Zehn Jahre nach der Katastrophe “kehren wir zu den alten schlechten Bedingungen zurück”, sagte Gewerkschafter Rashedul Alam Raju jüngst zu MOMENT.at.

Im Jänner 2019 brach der Damm am Rückhaltebecken einer Eisenerzmine des Konzerns Vale im brasilianischen Brumadinho. 272 Menschen starben. Zwölf Millionen Kubikmeter giftiger Schlamm zerstörten die Umwelt und verseuchten einen Fluss. Es war ein Desaster mit Ansage. Dem Unternehmen war schon Wochen vorher bekannt, dass der Staudamm abzurutschen drohte. Der deutsche TÜV Süd prüfte den Damm und beanstandete nichts. Solche Katastrophen sollen durch das Lieferkettengesetz verhindert werden und Opfer leichter zu ihrem Recht und Entschädigungen kommen.

Worum wird beim Lieferkettengesetz gestritten?

15 Monate nachdem die Kommission Richtlinie vorlegt hat, soll sie am Donnerstag, den 1. Juni im EU-Parlament beschlossen werden. Lange wurde darum gerungen, 429 Änderungsanträge wurden eingebracht. Entschieden wird heute über einen Kompromissvorschlag, den der Rechtsausschuss des EU-Parlaments Ende April diesen Jahres beschloss. Den Parlamentarier:innen ging der ursprüngliche Entwurf an manchen Stellen nicht weit genug. So soll das EU-Lieferkettengesetz für alle Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen und 40 Millionen Euro Nettoumsatz gelten, und nicht erst ab 500 Beschäftigten.

Kurz vor knapp legten sich zahlreiche Abgeordnete der konservativen EVP-Fraktion – zu der auch die ÖVP gehört – quer. Mit zahlreichen Änderungsanträgen will sie die Richtlinie verwässern. Am Vortag der Abstimmung stand zu befürchten, dass die Fraktion das Gesetz ablehnt und damit vorerst ganz zu Fall bringt.

Sie fordern, dass die Richtlinie generell nur für Unternehmen gilt, die mehr als 1.000 Beschäftigte haben. Die Richtlinie sollte auch nicht mehr für die gesamte Wertschöpfungskette gelten, sondern nur noch für die Beschaffung. Unter welchen Bedingungen Produkte verkauft, transportiert und entsorgt werden, sollte nicht Teil des Lieferkettengesetzes werden.

Das Ziel, dass Unternehmen im Einklang mit den Pariser Klimazielen wirtschaften sollen, möchten die Antragsteller:innen aus dem Gesetzestext entfernen. Für Schäden haften sollten Unternehmen nur, wenn sie “vorsätzlich oder grob fahrlässig” handeln. Und: Lassen Unternehmen sich zertifizieren, sollten sie ihre Pflichten aus dem Lieferkettengesetz bereits erfüllt haben. (Link zum pdf der Anträge)

Gibt es Interessenkonflikte bei EU-Abgeordneten?

Pikant dabei: Die deutsche Europaabgeordnete Angelika Niebler von der CSU war federführend bei zahlreichen Anträgen auf Änderung des EU-Lieferkettengesetzes. Sie arbeitet nebenbei für die amerikanische Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher. Die Kanzlei vertritt große Unternehmen in Klagen wegen negativer Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten auf Menschenrechte und die Umwelt – also genau das, worum es beim Lieferkettengesetz geht.

Dazu steht Niebler auf der Gehaltsliste der TÜV-Süd-Stiftung, die Miteigentümer des Zertifizierungsunternehmens TÜV Süd ist. Jener TÜV Süd, der das Rückhaltebecken der Eisenerzmine von Brumadinho im Jahr 2018 prüfte und für sicher befand. Drei Monate später brach der Damm.

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