Lektionen aus dem Fall Benko: Musterschüler Österreich, Nachsitzen für Deutschland?
Die Pleite von René Benkos Signa-Geflecht war nicht nur die größte in der Geschichte von Österreichs Zweiter Republik, Sie wirft auch Licht auf fragwürdige Geschäftspraktiken und lückenhafte Regulierung in der Immobilienwirtschaft. Denn die Signa ist spektakulär, aber wahrlich kein Einzelfall. Vieles, was Signas rasanten Aufstieg erst möglich gemacht hat, war in Immobilienmärkten durchaus “branchenüblich.”
So war die “aufwertungsbasierte” Kreditvergabe keine Erfindung von René Benko. Wer mittels Gutachten eine Wertsteigerung seiner Immobilie nachweist, kann damit bei der Bank einen neuen, höheren Kredit besichern. Wenn man damit den alten Kredit abbezahlt, bleibt Geld übrig. Und damit kann man wieder neue Immobilien kaufen. Das ist eine scheinbar ewige Spirale, die funktioniert, solange die Zinsen niedrig sind.
Hinzu kommt, dass diese Expansion quasi steuerfrei möglich war. Denn während Häuslbauer und private Wohnungskäufer:innen selbstverständlich Grunderwerbsteuer bezahlen, galt das für die hunderten Gesellschaften im Signa-Imperium nicht. Denn am Papier wurden die Grundstücke und Gebäude selbst gar nicht verkauft. Sie gehörten einem Unternehmen. Und es wurden Anteile daran verkauft. So etwas nennt sich “Share-Deal”, also Anteilskauf.
Und solange weniger als 95 Prozent der Anteile so eines Unternehmens verkauft wurden, waren solche Transaktionen in Österreich quasi steuerfrei. Mit anderen Worten: ausgerechnet jene Unternehmen, die vor allem mit dem Erwerb von Immobilien ihr Geld verdienen, zahlten kaum Grunderwerbsteuer.
Doch inzwischen tut sich etwas. Sowohl auf europäischer Ebene als auch in Österreich wurden Regeln für Immobiliengeschäfte verschärft.
Neue Kredit-Regeln dank EU-Verordnung
Seit Anfang 2025 gelten auf Basis einer EU-Verordnung strengere Regeln für die Vergabe von Immobilienkrediten. So darf seither eine Neubewertung nur dann als Sicherheit für höhere Kredite dienen, wenn diese Immobilie deutlich verbessert wurde.
Mit anderen Worten: nur, weil die Preise im Markt steigen und sich höhere Mieten durchsetzen lassen, können Immobilienbesitzer nicht mehr ohne weiteres höhere Kredite aufnehmen. Dafür wären tatsächliche Investitionen in die Substanz der Immobilie notwendig.
Österreich bessert gegen Share-Deals nach
Aber auch in Österreich hat sich inzwischen etwas getan, das die breite Öffentlichkeit kaum mitgekriegt hat. Ein Begleitgesetz zum Budget 2025 erschwert es massiv, die Grunderwerbsteuer zu umgehen. Bei Share-Deals gibt es einen neuen Schwellenwert. Statt erst beim Verkauf von 95 Prozent der Anteile eines Unternehmens, wird diese Steuer nun schon bei 75 Prozent der Anteile fällig.
Wirkt das? Einen guten Hinweis darauf geben bei diesen Fragen die Webseiten von Steuerberater:innen. Die müssen ihren überwiegend wohlhabenden Immo-Kunden erklären, dass sie ab sofort höhere Steuern zu zahlen haben.
Eine große Wirtschaftskanzlei hat beispielsweise bis vor kurzem noch erklärt, wie sich Grunderwerbsteuer durch das Halten von “Zwerganteilen” vermeiden lässt. Jetzt ist dort von einer “Blitzaktion der Regierung” die Rede, die “zu massiven Verschärfungen bei der Grunderwerbsteuer bei Share Deals führen soll”.
Endlich eigene Immobiliengesellschaften
Eine andere Maßnahme kommt dazu. Unternehmen können jetzt als “Immobiliengesellschaften” eingestuft werden. Das sind die dann, wenn ihr Vermögen überwiegend aus Grundstücken besteht, die sie nicht selbst nutzen oder wenn sie ihre Einkünfte überwiegend durch Vermietung, Verwaltung oder Verkauf von Immobilien erzielen.
In einem ersten Schritt zahlen solche Immobiliengesellschaften höhere Grunderwerbsteuern auf Basis des Marktwerts einer Immobilie. Das war davor nicht der Fall. Die neue Einstufung schafft auch die Voraussetzung dafür, den Immobiliensektor gezielter zu regulieren, als das bislang möglich war.
Worauf wartet Deutschland?
Interessant ist, dass Deutschland bisher nicht mitgezogen ist. Das nicht nur deshalb verwunderlich, weil die meisten Bauruinen des Signa-Konzerns in deutschen Innenstädten vor sich hin bröckeln – und in deutschen Signa-Warenhäusern tausende Menschen ihren Job verloren haben.
Es ist auch deshalb erstaunlich, weil Signa bereits die dritte Mega-Pleite im deutschen Immobiliensektor in den letzten drei Jahrzehnten war. Und alle folgten einem ähnlichen Muster.
Fall Benko ist in Deutschland nicht allein
Da war der rasante Aufstieg des Immobilieninvestors Jürgen Schneider. Der fand sein jähes Ende, als der Boom der Wiedervereinigung 1994 abflaute. Er hat mit der “größte[n] Pleite der Nachkriegszeit den deutschen Immobilienmarkt erschüttert”.
Ziemlich genau 15 Jahre später sorgte die Level-One-Gruppe des Österreichers Cevdet Caner für die “größte Pleite seit Jürgen Schneider”. Diesmal hatte die Finanzkrise 2008 den Boom auf den Immobilienmärkten abkühlen lassen. Und das hat so übermäßig riskante Geschäftsmodelle wie das von Level One beendet.
Wieder rund 15 Jahre später “passierte” dann die Pleite von René Benkos Signa im Nachgang zur Zinswende der Europäischen Zentralbank. Einmal ist ein Einzelfall. Zweimal ein Zufall. Aber dreimal? Das ist ein Muster.
Signa-Lehren: Es muss etwas getan werden
In Deutschland gilt aber immer noch eine Grenze von 90 Prozent für Share-Deals, gibt es immer noch keine spezifischen, strengeren Regeln für Immobiliengesellschaften, wie wir sie schon lange aus Frankreich kennen und seit diesem Jahr eben auch in Österreich haben.
Wobei: auch in Österreich sind noch längst nicht alle Regulierungslücken geschlossen. Es fehlen zum Beispiel immer noch wirksame Strafen für verspätet eingereichte Bilanzen. Aber mit den jüngsten Maßnahmen ist jedenfalls ein Anfang gemacht. Zeit, dass Deutschland hier nachzieht.
Denn am wirklich großen Rad konnte Benko erst drehen, als er den Schwerpunkt seiner Geschäfte in den vielfach größeren, deutschen Immobiliensektor verlagert hat.