Die Signa ist kein Einzelfall: Der Countdown zur nächsten Mega-Pleite bei Immobilien tickt

“Ein Blender aus dem Nichts.” (Quelle)
“Das Spiel lief für alle Beteiligten so lange rund, bis die Blase platzte. Dann ging nichts mehr.” (Quelle)
“Milliarden sind durch die Blenderei vernichtet worden.” (Quelle)
Das sind drei Zitate aus drei Spiegel-Artikeln. Alle passen sie zu Aufstieg und Fall von René Benko und seinem Signa-Konglomerat. Allerdings entstammt nur das letzte einem Artikel über “René Benkos Megapleite“ aus 2024.
Das erste Zitat ist hingegen einem Beitrag aus dem Jahr 1994 entnommen, der aufarbeitet, wie Jürgen Schneider jahrelang von Kreditnstituten hofiert worden war, bevor “die größte Pleite der Nachkriegszeit den deutschen Immobilienmarkt erschüttert” hat.
Dazwischen ist ein Zitat aus einem 2009 erschienen Artikel über Cevdet Caner, dessen Level-One-Geflecht wiederum “die größte Pleite seit Jürgen Schneider” hingelegt hatte.
Alle 15 Jahre: Die nächste große Immobilienpleite
Ziemlich genau 15 Jahre liegen jeweils zwischen den drei größten Immobilienpleiten im deutschsprachigen Raum. In allen drei Fällen waren es charismatische junge Aufsteiger, die unter den bewundernden Augen der medialen Öffentlichkeit und ohne nennenswertes Eigenkapital Immobilienbestand im Milliarden-Euro-Bereich aufgebaut hatten.
Und in allen drei Fällen führte ein Wandel wirtschaftlicher Rahmenbedingungen zum Kollaps eines Geschäftsmodells, das auf Wachstum und Expansion angewiesen war: das Ende der Boomphase nach der deutschen Vereinigung, die Finanzkrise 2008 und die Zinswende der Europäischen Zentralbank 2023.
Wie verhindern wir die Immobilien-Mega-Pleite 2039?
Die schöne Regelmäßigkeit dieser Immobilienpleiten wirft natürlich die Frage auf, wie eine weitere Wiederholung dieses Boom-und-Bust-Modells irgendwann Ende der 2030er Jahre verhindert werden kann.
Dafür lohnt es sich, beim Offensichtlichen zu starten. Es ist kein Zufall, dass solche Geschäftsmodelle vor allem in Immobilienmärkten immer wieder florieren. Immobiliengeschäfte sind inhärent spekulativ. In der Gegenwart müssen Projekte finanziert werden, die sich erst in ferner Zukunft, über Jahre hinweg und nur bei guter Auslastung rentieren.
Wertvoll bedeutet nicht profitabel
Auch die beste Lage ist kein Garant gegen das Scheitern. Benko und seine Signa-Schergen wurden nie müde zu betonen, dass Immobilien in Top-Lagen immer wertvoll sein würden. Das Problem dabei: wertvoll ist nicht dasselbe wie profitabel. In besten Innenstadt-Lagen kämpfen deshalb auch margenstärkere Geschäfte als die lange schon schwächelnden Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof damit, die sündteuren Mieten dort zurückzuverdienen.
Dennoch wäre es verfehlt, die Übernahme der maroden deutschen Warenhäuser als den Grund für den Zusammenbruch der Signa-Gruppe zu sehen. Denn das märchenhafte Wachstum von Benkos Signa – binnen zehn Jahren wuchs das Immobilien-Vermögen allein der Signa Prime Selection von 750 Millionen auf über 15 Milliarden Euro – wurde wesentlich über Kredite finanziert, die mit aufgewerteten Warenhaus-Immobilien besichert werden konnten. Diese Aufwertungen waren umgekehrt aber nur möglich, weil die Handelssparte sofort nach Übernahme neue, befristete Mietverträge mit enormen Mietsteigerungen unterschrieben hatten; Mieten, die kaum nachhaltig zu erwirtschaften waren.
Die vielen Profiteure des Wunder-Wachstums
Das führt wiederum zurück zu den Fällen Schneider und Caner: auch dort wurde das enorme Wachstum zumindest zum Teil über die Besicherung von aufgewerteten Bestandsimmobilien finanziert. Solange die Preise steigen und das Zinsniveau es zulässt, verdienen alle Beteiligten an so einem Geschäftsmodell, von Notar:innen und Anwält:innen über Wertgutachter:innen bis hin zu Banken.
Letztere spielen das Spiel auch deshalb mit, weil sie bei jeder Neuvergabe von Krediten hohe Kreditgebühren einstreifen. Das erhöht die Boni unmittelbar im Jahr der Kreditvergabe und nicht erst, wie bei Zinszahlungen, über die Kreditlaufzeit hinweg.
Signa & Co: Komplizierte Konstrukte
Bei Benko und Caner wurde all das in einem auch für Investor:innen und andere Insider:innen kaum mehr überblickbaren Geflecht aus hunderten, miteinander verschachtelten Tochterfirmen abgewickelt. Eine Komplexität, die neben diversen Möglichkeiten über Management-Gebühren und Kreis-Geschäfte einzelne Investor:innen gegenüber anderen zu bevorzugen, vor allem auch Steuersparmodellen geschuldet ist.
Ganz offen wird in der Branche von spezialisierten Finanzdienstleistern die Umgehung von Grunderwerbssteuern über “Zwerganteile” beworben – Minderheitsanteile an Gesellschaften, die für eine gewisse Zeit von sogenannten “RETT-Blockern” gehalten werden (RETT steht für “Real Estate Transfer Tax”).
Renditen als Lockvogel
Während also jahrelang über komplizierte gesellschaftsrechtliche Konstruktionen Steuern gespart wurden, flossen zumindest bei Benko bis kurz vor Schluss die Dividenden. Das über viele Jahre hinweg eingehalten Versprechen hoher Renditen ist auch die Antwort auf die Frage, warum so viele Benko-Investor:innen trotz hoher Risiken und undurchschaubarer Firmengeflechte mit hohen Millionenbeträgen das System Signa finanziert haben.
Hinzu kam eine Innovation im Finanzierungsbereich: Viele, die in zentrale Signa-Gesellschaften investierten, bekamen eine Verkaufsoption (“Put-Option”) der Signa Holding. Damit verbunden war das Recht, nach einer gewissen Frist jederzeit ihre Anteile an diese zu verkaufen. So, die Idee, könne man aus Anteilen an Gesellschaften wie der Signa Prima Selection oder Signa Development Selection ähnlich selbstbestimmt aussteigen, wie das bei Aktien eines börsennotierten Unternehmens der Fall wäre.
Beim Stadtspaziergang „René Benko auf der Spur“ ist Prof. Leo Dobusch der Reiseführer zu den Palästen und Ruinen des gefallenen Immobilien-Milliardärs und in die Abgründe der größten Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Hier lang zur Anmeldung für den nächsten Spaziergang am 24.3..
Der Preis des Ausstiegs
Der Ausstieg funktioniert natürlich nur, wenn nicht alle Anteilseigner:innen gleichzeitig aussteigen wollen. Das ist aber bei an der Börse notierten Aktiengesellschaften ähnlich: wenn dort alle gleichzeitig verkaufen möchten, rasselt der Kurs in den Keller und entwertet so die Aktien von allen Beteiligten.
Im Fall der Signa-Gruppe wurden diese Put-Optionen erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als Roland Berger im Oktober 2023 seinen Anteil in Höhe von 1,64 Prozent an der Signa Prime verkaufen wollte. Aufgrund der Insolvenz der Signa Holding wenig später, hat dieser Versuch, noch rechtzeitig auszusteigen, nur noch teilweise funktioniert.
Banken haben Lektion gelernt?
Neben erfahrenen, männlichen Multimillionären wie Unternehmensberater Berger, Logistikmilliardär Kühne und Baumilliardär Haselsteiner waren es vor allem große Versicherungskonzerne und Versorgungswerke, die bei Signa Geld versenkt haben – oft in Form hochspekulativer Genussscheine. Diese sind befristet wie ein Kredit, aber nachrangig gegenüber fast allen anderen Finanzierungsformen und damit im Fall der Insolvenz völlig wertlos.
Der große Anteil an Investorengeld über Genussscheine oder direkte Unternehmensanteile ist dabei der größte Unterschied zwischen Benko auf der einen, und Schneider sowie Caner auf der anderen Seite. Bei Caner waren es noch vor allem Banken, die bis zu 80 Prozent einer Transaktion über Kredite finanziert hatten – und in manchen Fällen über hochverzinstes Risikokapital ihrer Investment-Banking-Abteilung sogar noch mehr.
Banken haben Lektion wieder vergessen
Seit der Finanzkrise 2008 sind Banken hier zurückhaltender, finanzieren selten mehr als 60 Prozent einer Immobilientransaktion direkt und auch das nur grundbücherlich abgesichert. In den meisten Fällen zumindest.
Bei Benkos Signa zeigten sich manche Banken dann doch wieder risikofreudiger. Sie gewährten noch vor Baubeginn hunderte Millionen an Kredit auf Basis eines Businessplans und Mietverträgen. Etwa im Fall des Kaufhaus “Lamarr” auf der Wiener Mariahilferstraße. Hauptmieter war in diesen jedoch auch wieder nur eine andere von Benko kontrollierte Gesellschaft aus der Handelssparte der Signa.
Welche Lehren lassen sich ziehen?
Einmal kann ein Einzelfall sein. Zweimal ein Zufall. Aber spätestens seit Signa ist klar, dass sich Immobilienmärkte in Deutschland und Österreich offensichtlich strukturell für den Aufbau von Boom-und-Bust-Geschäftsmodellen eignen. Die langen Zyklen laden jedoch dazu ein, jeden großen Fall für sich alleine und nicht als Systemversagen zu interpretieren.
Hinzu kommt, dass schillernde Persönlichkeiten und die Geschichte von deren Aufstieg und Fall es besonders verlockend machen, individuelles Fehlverhalten als Hauptursache für die Riesenpleiten zu identifizieren.
Andere Länder als Vorbild
Umso wichtiger wäre es, auch in Deutschland und Österreich spezielle Regeln für Gesellschaften zu etablieren, deren Wert oder Vermögen sich primär aus Immobilien speist. In anderen Ländern wie den Niederlanden, Frankreich oder Finnland gibt es längst gesonderte Vorschriften für solche “Immobiliengesellschaften”. Sie verbessern die Transparenz und erschweren die beschriebene Umgehung von Grunderwerbssteuern über “Share Deals”, in denen nicht die Immobilien selbst, sondern nur steuerschonend Firmenanteile verkauft werden.
Letztlich gibt es aber auch Grenzen der Regulierung. Auch dafür liefert der Vergleich der drei Fälle Indizien. Die etwas eingeschränkte Kreditvergabepraxis von Banken hat Benko nicht verhindert, sondern zur Entwicklung neuer Investmentpraktiken geführt. Eine für Finanzmärkte typische Innovationsdynamik, vor der Hyman Minsky schon in den 1980er Jahren immer wieder gewarnt hat. Zu verlockend sind die Renditemöglichkeiten für alle Beteiligten in Zeiten des Aufschwungs, zu verführerisch glänzt und glitzert das Betongold, wenn die Preise steigen und die Zinsen niedrig sind.
Was wirklich hilft
Umso wichtiger ist es deshalb gerade im Immobilienbereich wieder verstärkt auf öffentliches Eigentum und gemeinnützige oder genossenschaftliche Träger zu setzen. Wer den gemeinnützigen Sektor ausbaut, verkleinert das Spielfeld für spekulative Geschäftsmodelle auf Kosten der Gesellschaft. Vor allem aber sind öffentliche und gemeinnützige Träger vergleichsweise immun gegen aufwertungsbasierte und nicht-nachhaltige Geschäftemacherei.
Dieser Text erschien zuerst bei der Neuen Gesellschaft Frankfurter Hefte.