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Demokratie
Kapitalismus

Finanzministerium: Auf der Suche nach den verschollenen Studien

Mit Steuergeld aus dem Finanzministerium bezahlte Scheinstudien halfen Sebastian Kurz ins Kanzleramt. Unsere Recherchen zeigen: Dutzende weitere Studien des Ministeriums verschwanden in Schubladen. Was steht darin und zu welchem Zweck wurden sie erstellt? Blümels Ministerium blockt ab, genauso wie viele der beauftragten Institute.



 

Als Studien abgerechnete Umfragen bezahlt mit Steuergeld aus dem Finanzministerium ebneten Sebastian Kurz den Weg ins Kanzleramt. Die Studien sind bis heute unter Verschluss. Und nicht nur die. MOMENT-Recherchen zeigen: Dutzende Studien des Ministeriums verschwanden in den Schubladen und liegen bis heute dort.

Was darin steht und zu welchem Zweck sie erstellt worden sind? Das Ministerium von Gernot Blümel blockt alle Fragen danach ab, ebenso wie viele der beteiligten Institute. Aber: Mehr Transparenz hätte den mutmaßlichen Betrug verhindern können, der Sebastian Kurz ins Kanzleramt hievte.

Scheinstudien, die eigentlich manipulierte Umfragen waren, die Sebastian Kurz an die ÖVP-Spitze und ins Kanzleramt hievten. Das Ganze bezahlt mit Steuergeld aus dem Budget des Finanzministeriums. Der Verdacht: Hier wurde Steuergeld veruntreut. So lautet einer der schwerwiegenden Vorwürfe in der Affäre um das System Kurz. Der trat als Bundeskanzler zurück.

Die WkStA ermittelt gegen neun Beschuldigte. Darunter: Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium – mit Zugriff auf das Budget. Das nutzte er anscheinend ausgiebig, um die Umfragen zu bezahlen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Finanzministerium storniert hektisch Aufträge für Studien

Nicht weniger als 590.000 Euro erhielt Sabine Beinschab und ihr Institut Research Affairs in den vergangenen fünf Jahren vom Finanzministerium. MOMENT deckte auf: Bis zuletzt standen sie und auch Sophie Karmasin dort unter Vertrag.

Das Finanzministerium von Gernot Blümel reagierte hektisch und stornierte noch am Tag der Veröffentlichung des Berichts den Auftrag für zwei aktuell laufende Studien. Und: Die interne Revision des Ministeriums sei beauftragt worden, „alle Vergaben von Inseraten und Studien der Kommunikationsabteilung ab 2015 sowie deren ordnungsgemäße Abwicklung zu untersuchen“, hieß es gegenüber MOMENT.

Der Skandal um die als Studien getarnten manipulierten Umfragen hätte viel früher auffliegen können, wenn nicht gar müssen. Nämlich dann, wenn das Finanzministerium verpflichtet wäre, die von ihr beauftragten Studien zu veröffentlichen. Anderswo ist solcherart Transparenz völlig normal, in Österreich nicht. Erst die Chatnachrichten aus Thomas Schmids Mobiltelefon brachten die Ermittler:innen auf die Spur des mutmaßlichen Betrugs. Es war im Grunde ein Zufallsfund. Die Studien von Beinschab und Karmasin lagen in den Schubladen des Ministeriums. Dort liegen sie bis heute.

Suche nach den Studien gleicht einer Schnitzeljagd

Und nicht nur die: MOMENT recherchierte, welche Studien das Finanzministerium in den vergangenen Jahren in Auftrag gegeben hat und wo diese einzusehen sind. Die Suche danach gleicht einer Schnitzeljagd. Wir fragten im Ministerium nach, wo dessen Studien liegen. Antwort: Während der derzeit laufenden Untersuchung sei vereinbart worden, „dazu keine öffentlichen Stellungnahmen abzugeben“, so Sprecher Stefan Trittner. Er verweist stattdessen auf parlamentarische Anfragen und deren Beantwortungen zum Thema.

Regelmäßig fragen darin Abgeordnete wie etwa der NEOS-Abgeordnete Nikolaus Scherak bei allen Ministerien nach. Welche Studien wurden in Auftrag gegeben? Wie teuer waren sie und wo wurden sie veröffentlicht? Um das einzuordnen: Es ist üblich und keineswegs anrüchig, dass ein Ministerium Studien erstellen lässt. Im Gegenteil. Wissenschaftliche Expertise einzuholen, ist unerlässlich, um politische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Seit 2015 beauftragte das Finanzministerium mindestens 138 Studien – bei wissenschaftlichen Instituten wie dem Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und dem Institut für Höhere Studien (IHS) ebenso wie bei scheinbar weniger wissenschaftlich arbeitenden wie Beinschabs Research Affairs.

Finanzministerium verschwieg die Studien von Skandal-Institut

Aber: Die dutzenden Anfragebeantwortungen, in denen sie aufscheinen, sind nicht nur mühsam zu durchforsten. Sie sind auch unvollständig. MOMENT fand in keiner von ihnen die zwischen 2016 und 2019 bei Sabine Beinschab beauftragten 11 „Studien“, hinter denen mutmaßlich die manipulierten Umfragen stecken.

„Sollte es tatsächlich so sein, dass die Anfragebeantwortungen absichtlich bestimmte Studien nicht enthalten, ist das eine klare Missachtung des Parlaments“, sagt Nikolaus Scherak zu MOMENT. Beinschabs Studien scheinen jedoch woanders auf: in der Bundesforschungsdatenbank des Bildungsministeriums. Pech: Die Studien selbst lassen sich auch hier nicht einsehen. Wie in den parlamentarischen Anfragebeantwortungen, werden sie lediglich aufgelistet.

Studien erstellende Institute berufen sich auf Verschwiegenheit

MOMENT klopfte deshalb bei sämtlichen Instituten an, die seit dem erstmaligen Antritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler Anfang 2017 Studien für das Finanzministerium erstellt haben. Die einfache Frage: Wo sind diese zu finden? Die Antworten fallen unterschiedlich aus: „Wir sind ein verlässliches Institut und hintergehen unsere Kunden nicht!“, schreibt Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung.

Das Institut erstellte in den Jahren 2018 und 2019 zwei Studien. Thema: Junge ArbeitnehmerInnen in Wien und Vorarlberg. Die Daten daraus seien „im EIGENTUM des Kunden“, schreibt Heinzlmaier in Großbuchstaben.

Von der Donau-Universität Krems, sie erstellte drei Studien fürs Finanzministerium, heißt es: Details seien, „wie allgemein üblich, direkt beim Auftraggeber anzufragen“. Ob die Ergebnisse veröffentlicht werden, sei „noch offen“, so Sprecher Stefan Sagl zu MOMENT. Aber: „Allgemein üblich“ ist es durchaus nicht, dass Institute ihre Auftragsstudien nicht selbst veröffentlichen und diese ausschließlich im Eigentum des Ministeriums sind.

Deutscher Institutsleiter: Mache keine Studien für die Schublade

Ein Anruf in Hamburg bei Jens Kalke. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg. „Forschung soll maximale Transparenz haben, das ist eine politische Notwendigkeit“, sagt er zu MOMENT. Für Österreichs Finanzministerium erarbeitete er im Jahr 2019 eine Studie zu „Sportwetten und Glücksspiel“. Kosten: 67.200 Euro. Mit dem Finanzministerium sei vorher vereinbart worden, dass sein Institut die Ergebnisse selbst verwerten kann.

„Ich mache keine Studien, die in der Schublade verschwinden“, so Kalke. Aber: „Natürlich gibt es versteckte Auftragsforschung.“ Auch in Deutschland gebe es Ministerien, „wo Studien gemacht werden, die nicht veröffentlicht werden, wenn das Ergebnis nicht passt“. Für ihn ein Unding. Die Stadt Hamburg führt eine Online-Datenbank, in der sämtliche Studien der öffentlichen Hand hinterlegt sind. „Aus meiner Forschersicht sollte man das so machen“, sagt Kalke.

Studien des IHS für das Ministerium? Leider nicht zu finden

Große österreichische Forschungsinstitute wie das WIFO und IHS verweisen ebenso darauf, dass sie alle Studien online veröffentlicht hätten. Das scheint jedoch nicht zu stimmen. So fehlen auf der Website des IHS etwa sämtliche Arbeiten für das Finanzministerium aus dem Jahr 2019. Deren Kosten: 275.000 Euro. Leider habe man selbst Online keine Publikationen, heißt es aus dem IHS gegenüber MOMENT. Das Finanzministerium habe diese nicht freigegeben.

Das WIFO listet fast alle Studien auf seiner Website. Doch: Einige von ihnen seien vom Ministerium „noch nicht freigegeben, oder die Projekte eben noch nicht abgeschlossen“, heißt es gegenüber MOMENT. Darunter nicht nur aktuelle, sondern auch eine recht weit zurückliegende Studie mit dem Titel „Arbeitsanreize von Arbeitslosenversicherungsleistungen“ aus dem Juni 2020. Kosten: 70.000 Euro. Bei einer weiteren Studie, die seit dem Frühjahr 2019 läuft, heißt es ebenfalls: noch nicht abgeschlossen.

Das Umweltbundesamt erstellte zwei Studien für das Finanzministerium. Bei einer davon war „eine Veröffentlichung nicht vorgesehen“, so Sprecherin Ingeborg Zechmann zu MOMENT. Und, überraschende Auskunft: „Zur zweiten Studie liegen uns keine Informationen vor.“ Heißt: Das Umweltbundesamt weiß offenbar selbst nichts davon, dass das Finanzministerium im Jahr 2019 bei ihm eine „Pilotstudie zur Wechselwirkung THG und Zahlungsströme“ in Auftrag gegeben hat. In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Ministeriums scheint sie aber auf.

Bei Pflicht Studien zu veröffentlichen, wäre das System Kurz aufgeflogen

Das Umfrage-Institut OGM Gesellschaft für Marketing erstellte in den Jahren 2019 und 2020 vier Stunden für das Finanzministerium. Kosten: Jeweils rund 40.000 Euro. Veröffentlicht wurden diese nicht. „Warum das Ministerium diese Studien als nur für den internen Gebrauch klassifiziert hat, wissen wir auch nicht“, sagt OGM-Prokurist Johannes Klotz zu MOMENT. Er selbst bedaure das: „Leider gibt es in Österreich keine Policy, dass öffentlich beauftragte und bezahlte Studien jedenfalls publiziert werden müssen“, sagt er.

Die österreichische NGO Forum Informationsfreiheit fordert genau das: „Studien und Gutachten, die staatliche Stellen mit öffentlichen Geldern bezahlt haben, sind in vollem Umfang zu veröffentlichen“, sagt deren Obmann Mathias Huter zu MOMENT. Und zwar „proaktiv von seiten der Ministerien und online leicht auffindbar“. Also all das, was in Österreich derzeit nicht der Fall ist. Aber sein könnte. „Das steht alles im fertigen Entwurf zum Informationsfreiheitsgesetz“, so Huter. Der liegt jedoch seit Monaten auf Eis. Huter merkt an: „Es gibt kein Hindernis für die Ministerien, die Studien auch heute schon zu veröffentlichen.“

Aber sie tun es nicht. Nicht nur das Finanzministerium lässt Studien in der Schublade liegen. Dies gesetzlich zu regeln, scheint dringend notwendig. Zur Erinnerung: Wären Ministerien schon jetzt verpflichtet, Studien transparent zu veröffentlichen, hätte es das sogenannte „Österreich-Beinschab-Tool“ wohl nie geben können. Das System Kurz, es wäre unweigerlich aufgeflogen.

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