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Demokratie
Kapitalismus

Transparenz in der Politik? Fehlanzeige. Was Österreich jetzt von anderen Ländern lernen muss

Informationsfreiheit und Transparenz kennt man in Österreich nur vom Hörensagen: Verträge und Studien werden unter Verschluss gehalten. Der Kalender des Kanzlers ist ein Staatsgeheimnis. Hohe Staatsbedienstete löschen Daten ihrer Diensthandys und Computer. In anderen Ländern ist das undenkbar und strafbar. Wäre das nicht auch was für Österreich?

Man kann den Skandal um zugunsten von Sebastian Kurz frisierte Umfragen, die mutmaßlich mit veruntreuten Steuergeld finanziert worden sind und in „Österreich“ veröffentlicht wurden, ja mal positiv betrachten: Jetzt ist die Gelegenheit, Gesetze zu beschließen, die den Staat zwingen offenzulegen, was er mit dem Geld der Steuerzahler:innen macht?

Das könnte verhindern, dass Studien finanziert werden, die nie jemand zu Gesicht bekommt. So wäre der Skandal, möglicherweise schon aufgeflogen, bevor Sebastian Kurz mithilfe mutmaßlich unlauterer Mittel die Spitze seiner Partei und das Bundeskanzleramt übernahm. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Schärfere Informationsgesetze sind oft Reaktion auf Skandale

Beispiele aus anderen Ländern zeigen: Aus Schaden kann man klug werden. Skandale führten oft dazu, dass strengere Transparenzgesetze erlassen wurden. Ziel: Regierung und Politiker:innen genauer auf die Finger schauen. Jüngstes Beispiel: Vor einigen Wochen beschloss Deutschland ein strengeres Transparenzgesetz für Abgeordnete.

Nebeneinkünfte ab 3.000 Euro müssen auf den Cent genau offengelegt werden, bezahlte Lobbyarbeit wird verboten, bei Bestechung droht Haft. Das neue Gesetz ist Reaktion auf den Maskenskandal, bei dem CSU-Politiker Provisionen für den Verkauf von FFP2-Masken eines bestimmten Herstellers kassierten.

Boris Johnsons Terminkalender ist offen, der von Kurz ein Geheimnis

Andere Länder gehen schon viel länger viel weiter: In Großbritannien kann jede Person einsehen, mit wem sich Premierminister Boris Johnson so trifft. Sein Terminkalender ist öffentlich. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz war noch nicht einmal vom parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss dazu zu bringen, seinen Terminkalender zu öffnen.

Das im Jahr 2000 beschlossene britische Informationsfreiheitsgesetz verpflichtet Regierung, Verwaltung und Unternehmen im Staatsbesitz, nicht nur offizielle Dokumente bereitzustellen. Auch einfache Notizen, E-Mails, Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Überwachungskamera müssen herausgerückt werden.

In Schweden sind Dokumente der Regierung seit 1766 öffentlich

Seit dem Jahr 1766 steht in Schweden das „Öffentlichkeitsprinzip“ im Verfassungsrang. Das heißt: So gut wie alle Vorgänge, die in einer Behörde stattfinden, können eingesehen werden. Ob die Protokolle von Verhören der Polizei, der Schriftverkehr einer Richterin oder was ein Minister auf einer Dienstreise an Ausgaben abgerechnet hat: alles kann eingesehen werden.

So kamen bereits zahlreiche Skandale ans Licht. Im Jahr 2016 mussten hohe Beamt:innen des Rechnungshofs ihre Posten räumen, weil ihnen nachgewiesen werden konnte, kritische Berichte zurückgehalten und Postenschacher betrieben zu haben. Die Dokumente kamen: vom Rechnungshof selbst auf Grundlage des „Offentlighetsprincipen“.

Dienstliche Chats auf dem Handy löschen? In anderen Ländern eine Straftat

Am anderen Ende der Skala zur Offenheit: Österreich. Im aktuellsten „Bericht zur Rechtsstaatlichkeit“ kritisiert die EU, dass hierzulande noch immer das Amtsgeheimnis gilt. Das Recht des Staates, Dokumente nicht herauszugeben, genießt in Österreich sogar Verfassungsrang. Einzigartig in der EU: Es gibt kein Bürgerrecht darauf, Zugang zu staatlichen Dokumenten zu erhalten.

Gelöscht wird auch viel: Dass Thomas Schmid als Chef der Staatsholding ÖBAG sein Diensttelefon auf die Werkseinstellung zurücksetzte und – erfolglos – versuchte, dienstliche Chats zu löschen? In anderen Ländern ist das eine Straftat. So wurde in Irland gegen einen Minister ermittelt, der Textnachrichten von seinem Handy löschte. Die USA und Neuseeland haben Löschverbote gesetzlich verankert.

In der Slowakei gelten Verträge erst, wenn sie öffentlich sind – in Österreich bleiben sie geheim

Über Verträge und deren Inhalte sprechen österreichische Behörden und Ministerien äußerst ungern. Das zeigte sich zuletzt bei der hunderte Millionen Euro teuren Rettung der Fluglinie AUA. Der Vertrag darüber ist noch immer geheim. In unserem Nachbarland Slowakei läuft das ganz anders: Dort treten Verträge der öffentlichen Hand erst in Kraft, wenn sie im Internet veröffentlicht worden sind.

Im deutschen Bundesland Hamburg existiert seit 2012 ein weitreichendes Transparenzgesetz. Ein wesentlicher Punkt darin: Behörden haben eine Veröffentlichungspflicht über geschlossene Verträge, eingekaufte Gutachten und auch Studien, die die Stadt in Auftrag gegeben hat. Wie in der Slowakei gilt: Verträge müssen ab einem bestimmten Wert veröffentlicht werden, bevor sie in Kraft treten.

Wer Studien der österreichischen Ministerien sehen will, beißt auf Granit

Die Stadt hat das Transparenzportal Hamburg aufgesetzt. Derzeit finden sich dort zum Beispiel 1.875 Studien und Gutachten. Wer hingegen in Österreich wissen möchte, welche Studien die Regierung in Auftrag gegeben hat, der beißt auf Granit.

Die Neos stellen seit Jahren regelmäßig parlamentarische Anfragen an alle Ministerien, welche Studien in Auftrag gegeben worden sind. Monate später, meist am letzten Tag der Frist dafür, kommen die Informationen. Allerdings: Sie stehen dann lediglich als pdf-Dateien zur Verfügung, die sich nur mit großem Aufwand auswerten lassen. Inhaltlich einsehen lassen sie sich schon gar nicht. Es werden nur die Titel der Studien aufgelistet.

Österreichs Finanzministerium verschwieg Studien von Research Affairs

Und offenbar verschweigen Ministerien Studien auch. In den Anfragebeantwortungen des Finanzministeriums aus dem Jahr 2017 fehlen laut Recherchen von MOMENT ausgerechnet zwei der jetzt unter Verdacht stehendem Studien von Research Affairs, mit denen mutmaßlich die manipulierten Umfragen abgerechnet wurden, die in “Österreich” erschienen sind.

Auch Nikolaus Scherak, stellvertretender Klubobmann der Neos, fiel das auf. “Sollte es tatsächlich so sein, dass die Anfragebeantwortungen absichtlich bestimmte Studien nicht enthalten, ist das eine klare Missachtung des Parlaments”, heißt es aus seinem Büro gegenüber MOMENT. Scherak hat dazu weitere Anfragen an die gesamte Regierung gestellt. Aber: Beantwortet die Regierung eine parlamentarische Anfrage nur unzureichend oder gar nicht, hat das keine rechtlichen Konsequenzen.

Informationsfreiheit: Gesetz liegt seit Monaten auf Halde – und wird kritisiert

Sollte sich das nicht einmal ändern? Im seit dem Frühjahr fertigen und seitdem auf Halde liegenden Informationsfreiheitsgesetz heißt es in §4: “Informationen von allgemeinem Interesse“ sind von Behörden „in einer für jedermann zugänglichen Art und Weise nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten im Internet und barrierefrei, zu veröffentlichen, soweit sie nicht der Geheimhaltung unterliegen.“

Die Informationen sollen „in offenem und maschinenlesbarem Format“ erfolgen. Das Ganze allerdings nur, „soweit damit kein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden ist“. Die Paragrafen seien so schwammig formuliert, „dass dieser Artikel, falls er so beschlossen würde, wohl weitgehend totes Recht werden wird“, kritisiert das Forum Informationsfreiheit.

Neues Gesetz für Transparenz sieht keine Kontrolle und keine Strafen vor

Die NGO kämpft für Transparenz in der Verwaltung und ein Informationsfreiheitsgesetz, das den Namen verdient. Die Kritik: Weder werde definiert, was unter „Informationen von allgemeinem Interesse zu verstehen sei, noch werde vorgegeben, bis wann welche Dokumente zu veröffentlichen sind.

Bei Verträgen, die veröffentlicht werden sollen, “sind die Wertgrenzen zu hoch”, sagt Mathias Huter vom Forum Informationsfreiheit zu MOMENT. Erst Aufträge mit einem Volumen von mehr als 100.000 Euro müssen veröffentlicht werden. “Das kann man umgehen, indem Aufträge gestückelt werden”, sagt Huter. “Dann werden einfach mehrere Verträge über 90.000 Euro abgeschlossen.”

Und das mit dem Muss zur Veröffentlichung ist auch so eine Sache: Es fehlt an einer Stelle, die kontrolliert, ob alle relevanten Informationen veröffentlicht werden. Strafen für den Fall, dass Behörden der Informationspflicht nicht nachkommen, sind nicht vorgesehen. Vielleicht sind die jüngsten Enthüllungen Anlass, doch noch einmal nachzuschärfen.

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