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Arbeitswelt

Firmenchef: "Viel arbeiten ist nicht geil!"

Firmenchef: "Viel arbeiten ist nicht geil!"

In einer Wiener Firma arbeiten MitarbeiterInnen 32 Stunden in der Woche bei Vollzeitlohn. Chef Thomas Meyer will zeigen: "Arbeit ist nicht alles im Leben. Es geht auch anders."

In einer Wiener Firma arbeiten MitarbeiterInnen 32 Stunden in der Woche, bei Vollzeitlohn. Die Social Media Agentur von Thomas Meyer wächst dennoch. „Die Leute sind fitter, sind glücklicher“, sagt er im MOMENT-Interview. Der Chef von sieben MitarbeiterInnen will zeigen: „Arbeit ist nicht alles im Leben. Es geht auch anders.“

 

Im Wiener Museumsquartier ist das „Büro für Interaktion“ angesiedelt. Firmenchef Thomas Meyer und seine sieben MitarbeiterInnen beraten Unternehmen in Social-Media-Dingen. Was es von vielen anderen Unternehmen abhebt: Hier wird nur 32 Stunden in der Woche gearbeitet und dennoch ein Vollzeitlohn gezahlt. Im Schnitt verdienen alle MitarbeiterInnen 3.000 Euro brutto im Monat, das ist über dem Niveau der Branche. Dennoch wächst Meyers Unternehmen. Wir haben ihn gefragt, wie das funktioniert.

MOMENT: Sie lassen Ihre MitarbeiterInnen nur 32 Stunden in der Woche arbeiten, bei Vollzeitlohn. Wie wollen Sie dennoch so produktiv sein, wie Unternehmen, in denen länger gearbeitet wird. Sperren Sie die privaten Smartphones weg, damit niemand abgelenkt ist?

Thomas Meyer: Nein! Um Gottes Willen, das überhaupt nicht. Kaffeepausen, mal eine rauchen gehen, miteinander tratschen, das gibt es genauso wie in anderen Firmen. Es werden Pausen gemacht, ohne dass auf die Uhr geschaut wird. Aber ich bin gegenüber MitarbeiterInnen supertransparent: Regelmäßig präsentiere ich ihnen die Zahlen des Unternehmens. Wo wir stehen, welchen Umsatz wir gemacht haben und welche Kostenstellen wir haben. Das mache ich nicht, um die MitarbeiterInnen unter Druck zu setzen. Es klingt vielleicht etwas esoterisch: Aber damit fördere ich auch das Miteinander. Alle bei uns wissen, dass das System nur funktioniert, wenn keiner owezaht. Wir haben nur ein gewisses Maß an verrechenbaren Arbeitsstunden pro Woche, die müssen wir nutzen. Es kann nicht zulasten der KundInnen gehen. Wir müssen liefern. Wir sind in einer harten Konkurrenzsituation.

MOMENT: Aber das könnten Sie ja auch bei einer 40-Stunden-Woche so leben?

Meyer: Da kommen wir auf die nächste Ebene. Als wir unser Unternehmen vor eineinhalb Jahren gegründet haben, war von Anfang an ganz klare Bedingung, dass alle MitarbeiterInnen nur 32 Stunden In der Woche arbeiten. Wir wollten damit primär zeigen: Arbeit ist nicht alles im Leben. Es geht auch anders. Wir sind nicht auf dieser Welt, um nur zu arbeiten. Ganz im Gegenteil. Wir sind auf der Welt, um uns zu entfalten. Um unsere Freizeit zu gestalten, zu reisen, Kultur zu genießen und Hobbys nachzugehen. Aber irgendwann hört der Tag des Menschen auf, der hat für uns alle nur 24 Stunden. Und nur weil Leute mehr arbeiten, bekommen sie in Zeiten von All-In-Verträgen ja nicht mehr Gehalt.

MOMENT: Und geht es sich für Sie aus?

Meyer: Es ist eine einfache Rechnung. Ich habe einen gewissen Stundensatz, den mich ein/e MitarbeiterIn kostet. Daneben gibt es einen Stundensatz, den ich meinen KundInnen verrechnen kann. Wenn ich nicht gerade Preisdumping betreibe, geht es sich bei 32 Stunden auch mit einem Vollzeitgehalt aus. Im Sektor der Dienstleistungen gilt das generell. Ich traue mich auch zu wetten, dass es mit der richtigen Organisation überall funktioniert. Zum Schluss geht es auf die Frage zurück, die sich mit Studien nicht beantworten lässt: Wie viele Stunden arbeitest du denn wirklich effizient am Tag? Nehmen wir uns mal alle selbst an die Nase: Wenn wir acht oder zehn Stunden im Büro sind, dann gibt es auch viel Leerzeit.

MOMENT: Und das läuft anders, wenn man weiß, man hat nur sechs Stunden am Tag oder vier Tage in der Woche zu arbeiten?

Meyer: Man ist motivierter. Das ist sehr schwer mit Zahlen zu belegen, ich weiß. Aber ich merke es: Die Leute gehen ganz anders an die Arbeit ran. Sie wissen zu schätzen, wie cool das ist, bei vollem Gehalt trotzdem weniger arbeiten zu können.

MOMENT: Abseits dieser gefühlten Verbesserungen. Wie können Sie belegen, dass weniger zu arbeiten Vorteile bringt, die die höheren Kosten aufwiegen?

Meyer: Letztlich ist der einzige Beweis: Es gibt Unternehmen, die das schon länger machen und trotzdem überleben können und wirtschaftlich arbeiten. Schlussendlich zählt das betriebliche Ergebnis: Uns gibt es nach eineinhalb Jahren noch immer und wir wachsen.

MOMENT: Welche Vorteile haben Sie gegenüber anderen Unternehmen, die in Vollzeit arbeiten lassen? Fällt es Ihnen zum Beispiel leichter, gute MitarbeiterInnen zu bekommen?

Meyer: Auf jeden Fall. Für ganz viele Menschen ändern sich die Ansprüche. Ihnen ist nicht mehr wichtig, ein großes Firmenauto zu haben. Sondern eher: Wie schaut es mit meiner Freizeit aus? Gerade bei jungen Leuten ist das ein starkes Argument für uns. Es kommen so viele Bewerbungen, dass ich nichts zusätzlich investieren muss. Die richtigen MitarbeiterInnen zu finden, ist normalerweise sehr teuer. Das muss ich auch berücksichtigen.

MOMENT: Wie viel müssten Sie geschätzt aufwenden, um gute Mitarbeiter zu finden, wenn Sie nicht die kürzere Arbeitszeit bei Vollzeitlohn anbieten würden?

Meyer: Ich rechne mit zusätzlichen Kosten von einem halben Bruttojahresgehalt: Für höheres Gehalt, für Headhunter, für sonstige Bonusse, wie eben den Firmenwagen. Klar: Es gibt noch immer viele Menschen, die darauf Wert legen, aber die bewerben sich nicht bei uns. Wer zu uns kommt, will auf die Balance zwischen Arbeit und Freizeit achten.

MOMENT: Politisch ging es in der vergangenen Regierungsperiode in eine andere Richtung: Der 12-Stunden-Tag hat es Unternehmen erleichtert, länger arbeiten zu lassen.

Meyer: Uns für kürzere Arbeitszeiten zu entscheiden, war auch ein Seitenhieb auf die politische Situation vor eineinhalb Jahren. Wir wollten weg von dieser Mentalität, dass viel arbeiten geil ist. Ich mag ja Argumente wie: Wenn ich meinen Job liebe, dann bin auch bereit mehr zu arbeiten. Das ist eine ganz gefährliche Aussage. Man wird oft dort hineingetrieben. Man redet es sich schön. Ich habe das gemerkt bei anderen Anstellungen vorher. Ich bin gern in die Arbeit gegangen. Aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich schonmal andere Sachen lieber gemacht und hätte mich lieber an den Strand gelegt.

MOMENT: Gut! Aber von Politik und Wirtschaft wird oft genug darauf hingewiesen, dass wir wirtschaftlich in einem globalen Konkurrenzkampf sind. Kürzere Arbeitszeiten könnten wir uns schlicht nicht leisten. Stimmt das nicht?

Meyer: Ich traue diesen Aussagen nicht. Wir hatten zuletzt eine sehr arbeitgebernahe Regierung. Viele Institutionen haben lobbyierend Einfluss auf sie genommen. Gerade Sebastian Kurz ist ja ein großer Freund dieses Leistungsbegriffs. Aber ich finde schon den Begriff Leistung einen Rückschritt. Immer von Leistung, Leistung, Leistung zu sprechen, das hatten wir in der Vergangenheit schon. Wir leben in Zeiten der Digitalisierung, wo ich ganz neue Instrumente habe, um Prozesse zu optimieren und Wege kürzer zu machen. Gerade da finde ich es absurd, den gegenteiligen Weg gehen und den 12-Stunden-Tag anzubieten. Der ist ja auch Augenauswischerei: Es wurde gesprochen von flexiblerer Arbeitszeit. Aber in bestimmten Branchen wie der Gastronomie, kann dann der Chef sagen: Wenn du es nicht machst, draußen stehen zehn andere. Es ist in Wahrheit ein Druckmittel.

MOMENT: Die Zahlen der vergangenen Jahre zeigen: Die Produktivität steigt, die Gewinne steigen, aber die Reallöhne der ArbeitnehmerInnen nicht. Was muss passieren?

Meyer: Die große Frage ist, wo die Gewinne hingehen? Und da zeigt sich: Sie landen eben nicht bei den ArbeitnehmerInnen. Die zusätzliche Kohle landet bei der Geschäftsführung und irgendwelchen AnteilseignerInnen. Ich finde dieses System einfach nicht fair. Unser Modell soll dem entgegenwirken. Ich habe die Firma nicht gegründet, um reich zu werden und meine Gewinne zu maximieren. Ich will lieber meinen MitarbeiterInnen lieber mehr Zeit geben. Viel arbeiten ist nicht geil. Deine Dinge rasch in hoher Qualität zu machen: Das ist gut.

MOMENT: Aber für viele Unternehmen geht es ja um möglichst hohe Gewinne und mit denen stehen sie in Konkurrenz?

Meyer: Absolut. Das ist eine große Diskussion. Aber auch Unternehmen trennen sich vom Gedanken, immer weiter die Gewinne zu maximieren. Denn es kann auf Dauer nicht funktionieren. Unsere Wirtschaft basiert auf exponentiellem Wachstum. Aber es gibt kein endloses exponentielles Wachstum. Das ist ein Irrglaube. Deshalb habe auch ich die Notbremse gezogen und gesagt: Auch wir trennen uns davon. Wir schauen, dass wir alle gut leben können von dem, was wir hier machen. Und unser Wachstum wird sofort wieder investiert in neue Leute.

MOMENT: Dennoch müssen Sie ja neben diesen Unternehmen bestehen, die nach Gewinnmaximierung streben. Wie geht das?

Meyer: Grundsätzlich starten wir mit einem großen Wettbewerbsnachteil. Wir haben 32 Wochenstunden pro MitarbeiterIn, andere Agenturen haben 40 und sogar deutlich mehr. Es gibt ja bei uns ja auch keine Überstunden. Ich kann also zumindest acht Stunden weniger pro Mitarbeiter pro Woche verkaufen. Rechne ich das hoch auf unsere inzwischen sieben Mitarbeiter, sind das 56 Stunden in der Woche und über 200 im Monat. Das sind bei unserem Stundensatz 20.000 Euro pro Monat, auf die ich de facto verzichte. Aber es gibt Nebeneffekte: Kürzere Arbeitszeit heißt mehr Qualität der Arbeit, hochqualitative Arbeit. Die Leute sind fitter und sie sind glücklicher. Das lässt sich sehen und auch in Zahlen messen. Wir haben de facto kaum Krankenstände. Im vergangenen Jahr waren es fünf Krankenstände.

MOMENT: Krankenhäuser in Schweden probierten die 32-Stunden-Woche aus. Wegen der auf den ersten Blick höheren Kosten, ging es wieder zurück zur Vollzeit. Frankreichs 35-Stunden-Woche wird als Wettbewerbsnachteil fürs ganze Land gesehen. An Gegenbeispielen, das kürzere Arbeitszeit offenbar nicht funktioniert fehlt es nicht.

Meyer: Ich bin relativ brutal: Ich glaube, da steckt ganz viel Lobbyismus dahinter. Und bei vielen Projekten wurde zu wenig investiert, um Prozesse zu optimieren. Du kannst es nicht einfach nur so machen. Du musst Zeit in die Organisation investieren. Gerade bei der Pflege wäre es spannend die Arbeitszeit zu verkürzen. Damit steigt auch die Qualität. Heute will keiner mehr in die Pflege gehen. Es ist schleißig bezahlt und du musst viel arbeiten. Ständig wird gesudert, dass uns die Pflegekräfte fehlen. Aber nichts wird getan, um den Beruf attraktiver zu machen.

 

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