Experten zu Gaslieferstopp: OMV könnte damit raus aus dem Gazprom-Vertrag
Die Nachricht schlug ein: Russlands Gazprom liefert kein Gas mehr an die OMV. Österreich, das zuletzt noch immer 86 Prozent seines Gases aus Russland bezog, steht vor dem Winter ohne gesicherte Gasversorgung da. Oder doch nicht? Österreichs Gasspeicher seien gefüllt, man habe andere Quellen für Gas, versicherten Regierung und der teilstaatliche Öl- und Gasversorger OMV.
Und trotz „Lieferstopp“ strömt weiterhin Gas aus Russland nach Österreich – wenn auch weniger. Wie kommt das? Und kommt die OMV jetzt aus dem ominösen Liefervertrag mit Gazprom heraus, der Österreich bis 2040 an russisches Gas fesselt?
Warum fließt weiter russisches Gas nach Österreich?
“Wir bestätigen, dass seit dem 16. November 2024 (6:00 Uhr MEZ) keine Gaslieferung seitens Gazprom an OMV erfolgt ist”, schreibt die OMV am Montag auf Anfrage von MOMENT.at. Monatlich 5 Terrawattstunden Gas kamen zuletzt am OMV-Knoten im niederösterreichischen Baumgarten an. Aufs Jahr entspricht das laut E-Control 70 bis 80 Prozent von Österreichs Gasverbrauch. Glaubt man den Aussagen der OMV, müsste es damit jetzt eigentlich vorbei sein. Doch: Noch immer strömt russisches Gas durch Pipelines über die Ukraine nach Österreich.
Am Tag des Gaslieferstopps sank die Menge um rund 20 Prozent und fällt seitdem lediglich im Prozentbereich. Das zeigen die Daten der Austrian Grid Gas Management AGGM. Wie passt das zusammen? „Gazprom ist Marktteilnehmer am europäischen Großhandelsmarkt“, sagt Leo Alexander Lehr am Montag zu MOMENT.at. Er ist stellvertretender Leiter der Abteilung Volkswirtschaft bei der E-Control. Sie ist Österreichs Regulierungsbehörde für die Strom- und Gaswirtschaft.
Dass Russlands Gazprom trotz des Angriffskriegs in der Ukraine noch am europäischen Markt aktiv ist, „kann verwunderlich sein“, sagt Lehr. Bisher gab es keine Maßnahmen, die Gazprom vom Markt ausschließen. „Das betrifft aber auch andere Unternehmen wie Lukoil oder den Diamantenhandel und Rohstoffe allgemein“, sagt Lehr. Mit diesen macht Russland also weiterhin gute Geschäfte, trotz Krieg und trotz Sanktionen. Die Gazprom könne ihr Gas also weiter in Europa loswerden. „Gazprom schickt weiterhin Gas durch die Pipelines in der Ukraine und verkauft dieses an andere“, so Lehr.
Wo bekommt die OMV jetzt Gas her?
Andere, das ist zum Beispiel der slowakische Energieversorger SPP (Slovenský Plynárenský Priemysel). Sie könnte eigentlich für die OMV bestimmtes Gas übernommen haben, vermutet Christoph Dolna-Gruber. Er leitet die Abteilung Strategy & Business Development bei der Österreichischen Energieagentur. In dem Verein sind Bund, Länder, Energieunternehmen und wissenschaftliche Organisationen Mitglieder. SPP oder andere Energieunternehmen „verkaufen das Gas dann, anonym, über die Gasbörse oder über direkten Handel – zum Teil wohl auch an die OMV“, sagt Dolna-Gruber zu MOMENT.at.
Heißt: Die OMV bekäme weiter russisches Gas. Es trägt nur nicht mehr das Mascherl von Gazprom. Sondern das eines anderen Unternehmens, oder gar keines, wenn es an der Börse gekauft wird. „Kurzfristig kann die OMV dort Gas erwerben“, sagt Lehr von der E-Control. Von der OMV heißt es dazu auf Anfrage: Sie beliefere ihre Kund:innen “ohne Unterbrechung primär aus dem eigenen Portfolio”.
Wie hoch ist der Anteil russischen Gases in Österreich?
Die OMV betont immer wieder und auch jetzt: Sie habe ihre Bezugsquellen für Gas diversifiziert. Gas komme also nicht mehr fast ausschließlich aus Russland, sondern auch aus anderen Quellen. Oder besser: Es könnte aus anderen Quellen kommen. Fakt ist, dass der Anteil des russischen Gases in Österreich Ende September noch immer bei 86 Prozent lag.
Aber: „Die OMV kann auch ihre Quellen in Norwegen beziehungsweise den Niederlanden nutzen“, sagt Lehr. Transportkapazitäten dafür „sind verfügbar und teilweise schon reserviert“. Bisher habe man das aber nicht in Anspruch genommen, „weil es wirtschaftlich nicht notwendig war“, so Lehr. Die OMV habe auch Optionen dafür, Gas aus Deutschland und Italien zu importieren, sagt Dolna-Gruber.
Warum der Anteil des russischen Gases in Österreich trotz dieser Optionen noch immer nicht gesunken ist, beantwortete die OMV auf Anfrage von MOMENT.at nicht konkret. Das Unternehmen habe “große Bemühungen unternommen, die Lieferquellen und Transportkapazitäten mit nicht-russischem Gas zu diversifizieren”. Genutzt hat die OMV das bisher augenscheinlich nicht.
Trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat Österreich, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, seinen Bezug aus Russland seit Kriegsbeginn nicht verringert. International wurden OMV und Österreich dafür heftig kritisiert. Klar ist: Die OMV überwies in den vergangenen Jahren viel Geld an Gazprom. Und das im Wissen, dass damit wohl auch der Krieg gegen die Ukraine finanziert wird.
Es könnte mit einem äußerst langfristigen Gasliefervertrag zusammenhängen, den die OMV im Jahr 2018 unter den Augen des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz mit Gazprom unterzeichnet hat. Er regelt, dass Österreich bis ins Jahr 2040 (!) Gas aus Russland bezieht – mit Abnahmeverpflichtung.
Warum hat Gazprom die Lieferungen gestoppt?
Am Mittwoch vergangener Woche verurteilte ein Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer Gazprom, 230 Millionen Euro Schadenersatz an die OMV zahlen zu müssen. Der Grund waren unregelmäßige und ab September 2022 gestoppte Gaslieferungen von Gazprom nach Deutschland.
„OMV und Gazprom haben nicht nur einen Vertrag über Lieferungen nach Österreich, sondern auch einen für den deutschen Markt“, erläutert Christoph Dolna-Gruber. Die OMV kündigte an, den Schadenersatzanspruch aus der Nichterfüllung des deutschen Vertrages, mit den Lieferungen nach Österreich zu verrechnen. Gas im Wert dieser 230 Millionen Euro sieht die OMV als bezahlt an. Daraufhin stoppte Gazprom die direkten Gaslieferungen an die OMV ab Samstagfrüh.
Könnte die OMV raus aus dem Vertrag mit Gazprom?
Der Stopp könnte weitreichende Folgen haben. „Der Vertrag der OMV mit Gazprom ist beendet“, sagt Lehr von der E-Control. Und ergänzt auf Nachfrage, was das nun heißt: „Der Vertrag ist derzeit nicht erfüllt. Wie die OMV damit jetzt umgeht, ist ihre Entscheidung.“ Aus seiner Sicht könne es sein, dass der Lieferstopp „ein Grund ist, dass der Vertrag gekündigt werden kann“.
Am Ende müssten das aber Gerichte entscheiden. MOMENT.at fragte bei der OMV an, ob der Gaslieferstopp seitens Gazprom den Vertrag beendet und Gazprom auch in Zukunft nicht mehr an die OMV liefere. Und ob der Lieferstopp ein rechtmäßiger Grund dafür sein könne, aus dem bis 2040 laufenden Vertrag auszusteigen. In ihrer Antwort bat sie um Verständnis dafür, dass “wir unsere Rechtsstrategie bzw. laufende Gerichtsverfahren nicht kommentieren können”.
Experte Dolna-Gruber sagt: „Ich gehe davon aus, dass – wenn der Lieferstopp von Dauer ist – ein Rechtsstreit folgt, der sich über mindestens ein Jahr erstreckt.“ In der Vergangenheit sei es sehr wohl vorgekommen, “dass Verträge auf Basis von Lieferstopps beendet wurden“, sagt er. Um das für Österreich, die OMV und Gazprom zu beantworten, „müsste man den Vertag kennen“.
Warum weiß Österreich nicht, was in dem Vertrag steht?
Diesen Vertrag kennt nicht einmal Österreichs Regierung. Die für Energie zuständige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) berief im Juli eine Kommission ein. Sie soll prüfen, ob und wie die OMV – an der die Republik zu 31,5 Prozent beteiligt ist – aus dem Vertrag aussteigen könne. Punkt Eins dabei: Vertreter:innen der Kommission sollten zunächst einmal den Vertrag lesen können. Unter „strengen Sicherheitsvorkehrungen“ natürlich. Der Vertrag soll nur in Papierform gelesen werden dürfen. Die Inhalte müssen streng vertraulich behandelt werden, hieß es damals.
Dass Österreich den zur Türkis-Blauen Regierungszeit unterzeichneten Vertrag eines teilstaatlichen Unternehmens nicht kennt, der für Österreich und letztlich alle hier lebenden Menschen so starke Auswirkungen hat, ist mindestens verwunderlich. „Alle Details kennen wir nicht, das ist richtig“, sagt Leo Alexander Lehr von der E-Control. Aber die Eckpunkte seien auch der Regulierungsbehörde bekannt: Wie lange der Vertrag läuft, welche Menge geliefert wird und auch der aktuelle Preis. „Nur kommentieren dürfen wir das nicht“, sagt er.