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Klimakrise
Demokratie

Gewesslers Mut und eine ÖVP auf der falschen Seite der Geschichte

Gewesslers Mut und eine ÖVP auf der falschen Seite der Geschichte
Leonore Gewessler hat getan, was sie tun musste. Sie hat das EU-Renaturierungsgesetz gerettet. Die ÖVP betoniert sich auf der falschen Seite der Geschichte ein. Ein Kommentar.

Die EU hat ein Renaturierungsgesetz. Die Zustimmung Österreichs war entscheidend. Aber halten wir fest: sie hat deshalb keine „knappe“ Mehrheit hergestellt.

In der Bevölkerung sind die Zustimmungsraten enorm. Eine market-Umfrage für den WWF zeigte erst am Sonntag: 82% der Österreicher:innen sind für eine Zustimmung Österreichs. 20 der 26 EU-Staaten (die Ratspräsidentschaft aus Belgien enthält sich traditionell) haben im EU-Ministerrat am Montag dem Gesetz tatsächlich zugestimmt. Sie vertreten 66,4% der europäischen Bevölkerung. Österreich hat etwa 2% davon. Das sind klare Verhältnisse.

Die Zustimmung und diese großen Mehrheiten waren formal notwendig. Die EU handelt oft nur mit großer Übereinstimmung. Hätte Österreich nicht zugestimmt, wäre das Gesetz gescheitert. Dann hätten nämlich nur Staaten mit etwas über 64% der Bevölkerung zugestimmt – statt der nötigen 65%. Ein so wichtiges Vorhaben mit klarer Mehrheit zum Scheitern zu bringen, weil formal irgendwo ein halbes Prozent fehlt, obwohl die zuständige Ministerin sogar zustimmen möchte? Das wäre (und ist) ein demokratiepolitisches Problem für sich.

Klare Mehrheiten trotz undemokratischer Kampagnen

Aber es ging sich aus. Dabei hat eine Koalition aus rechtsextremen Parteien und den Europäischen Volksparteien, darunter die ÖVP, das Gesetz seit Monaten torpediert, wo sie nur konnten. Sie betrieben Kampagnen, die nur als bewusste Desinformation beschrieben werden konnten – und streuten damit Angst. Das ist eine demokratiepolitische Schande und diverse anständige Konservative aus der Geschichte drehen sich dafür gerade im Grab um.

Es ist außerdem verantwortungslos. Die Wissenschaft fleht die Politik mittlerweile geradezu an, in der Klimakrise und der Biodiversitätskrise zu handeln. Wir befinden uns nach mancher Lesart im sechsten Massenaussterben der Geschichte des Lebens auf der Erde. Beim letzten derartigen Ereignis schlug ein kilometergroßer Asteroid auf der Erde ein. Diesmal schuld: Die Zerstörung des Planeten durch die Wirtschaftsweise industrialisierter Gesellschaften.

Das trügerische Selbstbild Österreichs

Österreich hat sich in einem Selbstbetrug ein Bild als Vorzeigeumweltschützer eingeredet. Wie sagte der ÖVP-Kandidat bei der EU-Wahl noch bei der ORF-Elefantenrunde beim Umweltschutz? „Wir tun ja eh schon so viel.“ Die Wahrheit ist eine andere: Man ist Europameister des Bodenverbrauchs. Wir betonieren fußballfeldweise unsere Natur zu. Unsere Wälder werden von Schädlingen überlaufen. Gemeinden werden weggeschwemmt – ein „Jahrhunderthochwasser“ finden mittlerweile einmal im Jahrzehnt statt. Städte wie Wien werden 2050 so heiß sein wie heute Nordmazedonien. Und wir sind dabei noch „die Glücklichen“ dieser Krise. Anderswo auf der Welt werden Menschen elendiglich sterben.

Und die österreichischen „Großparteien“? Sie wollen immer noch dritte Flughafenpisten in Schwechat, Autobahntunnel unter Umweltschutzgebieten und Schnellstraßen um Ortsgebiete herum bauen. Sie blockieren abwechselnd sogar Klimaschutzgesetze, die sie selbst im Koalitionsprogramm verankert haben. Oder den Ausbau erneuerbarer Energien. Oder Naturschutzgesetze. Die ÖVP sorgt sich mehr um den Verbrenner als um unseren Lebensraum. Nicht einmal die Autoindustrie hält das für sinnvoll.

Das EU-Renaturierungsgesetz ist das Minimum

Das EU-Renaturierungsgesetz ist wohlgemerkt ein kleiner Schritt in Anbetracht dieser Problemlage. Es wird in den Geschichte-Schulbüchern unserer Zukunft nicht vorkommen. Es kommt auch nicht gerade von einer Naturschutz-NGO. Der Green Deal und das Renaturierungsgesetz sind nicht, was die „Letzte Generation“ oder Umweltwissenschafter:innen sich als Optimum ausgedacht haben. Die EU hat sich in jahrelangen, komplizierten, viele Interessen berücksichtigenden Verhandlungen darauf geeinigt.

Die EU. Das ist die EU-Kommission (geleitet von der deutschen Konservativen Ursula von der Leyen), mit den EU-Mitgliedsstaaten (in 17 von 27 Staaten regieren EVP-Parteien mit), und das EU-Parlament (in dem Konservative, Rechte und Neoliberale eine klare Mehrheit haben). Aber sie alle haben sich in jahrelangen Verhandlungen von verschiedenen Interessen zumindest auf ein Minimum geeinigt. Und das könnten jetzt alle als Erfolg feiern. Aber die deutschen Liberalen und österreichischen Konservativen wollten plötzlich lieber politisches Kleingeld wechseln. Sie waren bereit, dafür diverse, mühevoll erarbeitete Beschlüsse in letzter Sekunde zu boykottieren. Und wenn sie die Bevölkerung dabei für blöd verkaufen müssen, dann tun sie es.

Umweltschutz und Klimapolitik könnten viel besser sein

Der EU Green Deal, zu dem das Renaturierungsgesetz gehört, wirkt wie ein Lichtblick, was den Klimaschutz anbelangt. Aber das ist nicht so, weil er so ambitioniert ist oder weil er auch nur ansatzweise genügen wird. Er wirkt so, weil Blockiererinnen, Bremser, Leugnerinnen und Lügner es bisher geschafft haben, dass sonst noch viel weniger passiert.

Man könnte sicherlich eine bessere, sozial gerechtere, demokratisch besser legitimierte Klimapolitik betreiben. Aber es sind nicht die Klimaschützer:innen, die das verhindern. Es sind die Populist:innen, die Lobbyist:innen und jene Parteien, die ihnen ein Sprachrohr sind.

Gewesslers und die Grünen machen einen Unterschied

Leonore Gewessler und die österreichischen Grünen haben riskiert, dass die heimische Regierung mit der ÖVP durch diese Entscheidung für das EU-Renaturierungsgesetz nach langem Leiden vorzeitig endet. Weil sie da nicht mehr zuschauen konnten. Hätte die frühere Leiterin von Global 2000 und heutige Ministerin der Grünen ein so wichtiges Naturschutzprojekt für ganz Europa zum Kippen gebracht, wäre das nicht, wofür sie und ihre Partei gewählt worden und in eine Regierung getreten sind. Es wäre absurd.

Es wäre besser, wenn Gewessler diesen mutigen und drastischen (und vermutlich rechtlich abgesicherten) Schritt nicht gebraucht hätte, sondern die Unterstützung der heimischen Landeshauptleute und des Regierungspartners dafür bekommen hätte.

ÖVP auf der falschen Seite der Geschichte

Aber die ÖVP hatte genug Zeit zu zeigen, dass sie bereit ist, die Umweltkrisen unserer Zeit ernst zu nehmen. Sie tut es nicht. Sie pfeift auf das Klima und sie pfeift auf ein Europa, das sich auf einen Mindest-Klimaschutz geeinigt hat.

Die Geschichte wird über die zwei Seiten dieses Koalitionskonflikts richten. Gewessler wird auf der richtigen Seite stehen. Die ÖVP nicht.

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    Kommentare 5 Kommentare
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  • frizzdog
    18.06.2024
    keine momentane krise sondern ein stabiler nachhaltiger zustand: ein ganzes land in immerwährender pubertät als neurotischer flucht vor autoritäten...
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  • frizzdog
    18.06.2024
    da ich (ursprünglich) aus dem schirennlauf komme ist mir die völlige absenz des prefessionellen österreichs vom "umweltschutzgedanken" hautnah bekannt. - in der wertvollen serie ALPENSAGA von TURRINI-PEVNY ist alles perfekt zusammengefasst.
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  • frizzdog
    18.06.2024
    WIEN hat sich beim bundesländerbeschluss der stimme enthalte, weil wesentliche nachbesserungen erst danach kamen. dann allerdings haben LUDWIG und andere sich deutlich FÜR die renaturierung ausgesprochen. nach aktuellen umfragen sind über 80% der bevölkerung dafür. ALLE von GEWESSLER geforderten briefe (an sie, an die regierung, an die länderkonferenz, an die MIKL-LEITNER wurden geschrieben . . . eigentlich hatte sie keine andere wahl mehr, als zuzustimmen. PEINLICH für die ÖVP.
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  • Roby45
    18.06.2024
    Danke, danke! Besser kann man es gar nicht beschreiben. Die ÖVP ist und bleibt eine Betonierer-Partei. Gegen das Volk, für die Reichen!
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    • frizzdog
      18.06.2024
      die GRÜNEN nennen aber die SPÖ "betonierer" und verwenden das auch mit personennamen. aus ihrer sicht (weil sie ja tierfreundlich und vegan sind) sei LUDWIG das "schnitzelgesicht" der betoniererparte SPÖ... usw. ausgerechnet das donauinselfest wollen sich die klimakleber jetzt aussuchen für behinderungsproteste (das projekt Donauinsel hat uns gerade wieder vor großen überschwemmungen bewahrt). trotz richtiger entscheidung der GEWESSLER habe ich kein politisches vertrauen iin die GRÜNEN.