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Klimakrise

Lobau-Tunnel in Wien: Die "Umweltsünde" einer "Klima-Musterstadt"

Der Lobau-Tunnel und die Lobau-Autobahn erhitzen die Gemüter in Wien. Die ganze Geschichte zum Bauprojekt in der Lobau haben wir zusammengefasst.

 

Seit knapp 20 Jahren protestieren UmweltschützerInnen und WissenschafterInnen gegen den Bau von Lobau-Tunnel und Lobau-Autobahn. Längst geht es bei dem Streit nicht mehr nur um 19 Kilometer Asphalt und einen 8,2 Kilometer Tunnel, sondern um die Frage, wie wir uns zukünftig fortbewegen wollen. Kann der Einhorn-Trüffelkäfer das Projekt verhindern?

Update des Artikels von 1.12.2021: Der Lobau-Tunnel wird nicht gebaut. Klimaschutz-Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat im Sommer eine Evaluierung aller in Planung befindlichen Autobahn- und Schnellstraßen-Projekte der Asfinag angeordnet. Sie ließ unter anderem überprüfen, ob diese Projekte mit den Klimazielen in Einklang stehen. Diese Prüfung negativ ausgegangen.

 

Erstmals spruchreif war es 2002, drei Jahre später wurde das Projekt beschlossen und mindestens genauso lange hagelt es Kritik daran. „Rückwärtsgerichtetes Monsterprojekt“, „Umweltsünde“, „Milliardengrab“, um nur ein paar Beschreibungen für Lobau-Tunnel und Lobau-Autobahn zu nennen. 

Am Samstag haben fast zwei Jahrzehnte später wieder mehrere Umweltverbände und AktivistInnen zur Fahrraddemo gegen das Megaprojekt aufgerufen. Mit dabei sind Extinction Rebellion, Fridays For Future, die Bürgerinitiative Rettet die Lobau und System Change not Climate Change (SCNCC). 1.200 Personen bekundeten bis Donnerstag auf Facebook Interesse an der Veranstaltung.

„Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind noch zu jung“, um sich zu erinnern, wie das Ringen um die Nordostumfahrung eigentlich begann, schmunzelt Monika Berger, Sprecherin von SCNCC. Denn seit knapp 20 Jahren reihen sich Gutachten an Gegengutachten, Bewilligungen an Einsprüche und Besetzungen an Räumungen. 

Ein Versuch, die Geschichte des Megaprojekts zu entwirren und den Protest dagegen zu erklären.

Wie hat das mit dem Lobau-Tunnel angefangen?

Im Jahr 2002 beginnt der Schnellstraßenbetreiber Asfinag mit einer Kostenrechnung. 1,9 Milliarden Euro soll das 19 Kilometer lange Straßenprojekt vom Wiener Knoten Schwechat zum niederösterreichischen Knoten Süßenbrunn kosten. Im Jahr 2005 beschließen die in Wien alleinregierende SPÖ und Bundes-Infrastrukturminister Hubert Gorbach (FPÖ) den Bau der Nordostumfahrung S1, inklusive eines 8,2 Kilometer langen Tunnels durch den Nationalpark Donau-Auen.

Warum soll es den Lobau-Tunnel geben?

Die BefürworterInnen sind der Meinung, das zu erwartende Bevölkerungswachstum der Bezirke jenseits der Donau, Floridsdorf und Donaustadt, sowie des nordöstlichen Umland Wiens mache den Bau der S1 notwendig. Bis 2030 soll die dortige Bevölkerung um 110.000 Personen wachsen und 60.000 Arbeitsplätze entstehen. Die Schnellstraße reduziere das Verkehrsaufkommen innerhalb der Wohngebiete, schaffe Arbeitsplätze und mehr Lebensqualität. Die Asfinag rechnet anfangs mit einer Baugenehmigung bis 2011, spätestens 2018 sollte der Bau der S1 zwischen Schwechat und Süßenbrunn fertig sein.

Was spricht gegen den Bau von Lobau-Tunnel und -Autobahn?

Die GegnerInnen sprechen schon damals von einer „Umweltsünde“ (Grüne), von einem „rückwärtsgerichteten Monsterprojekt“ (Naturschutzbund Österreich), UmweltschützerInnen sehen den Nationalpark in Gefahr. Ein riesiger unterirdischer Wasserspeicher könnte durch einen undichten Lobau-Tunnel kontaminiert werden. Außerdem ziehen sie die Notwendigkeit in Zweifel. Anders als die BewürwortInnern behaupten, führe das Verkehrsprojekt nicht zu weniger, sondern nur noch mehr Autoverkehr. Nicht zuletzt die Neos, die seit November vergangenen Jahres in Wien mitregieren, ziehen die Kostenrechnung der Asfinag in Zweifel: statt den veranschlagten 1,9 Milliarden Euro sei eher von 4,5 Milliarden auszugehen.

 
Lobau-Tunnel und Lobau-Autobahn sind umstritten: Sie sollen genau durch den Nationalpark Donau-Auen und die Lobau verlaufen.

Der Lobau-Tunnel soll genau unter dem Nationalpark Donau-Auen und der Lobau verlaufen. Bild: Screenshot eines Asfinag-Videos

Wieso dauert der Bau des Lobau-Tunnel so lange?

Neben UmweltschützerIinnen und Aktivisten sind auch Gerichte mit der Causa befasst. Sechs Jahre lässt sich das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Zeit, bis es 2015 grünes Licht gibt. Die Entscheidung wird von Projekt-GegnerInnen beanstandet, drei Jahre später, im Frühjahr 2018 bestätigt die Behörde das Urteil auch in zweiter Instanz. Weiter ausständig sind Genehmigungen für Wasser- und Naturschutzrecht. Zu diesem Zeitpunkt haben die Vorarbeiten bereits 50 Millionen Euro verschlungen, Asfinag-Vorstand Alois Schedl geht das viel zu langsam und beklagt: „so werden wir nie fertig!“. Bisher weiß niemand, ob er recht behalten soll.

Im August vergangenen Jahres erteilt Wien schließlich die naturschutzbehördliche Bewilligung, kurze Zeit später auch Niederösterreich. Mittlerweile sitzt mit Leonore Gewessler eine Grüne im Umweltschutzministerium. Die heutige Umweltministerin war einst politische Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global 2000, deren AktivistInnen 2006 acht Wochen lang die Lobau besetzten, um die Asfinag an Probebohrungen zu hindern.

Was passiert nun mit dem Lobau-Tunnel?

Auf die Bewilligung der Naturschutzbehörden folgte – richtig – eine Beschwerde gegen ebendiese. Unter dem Dach des „Forum Wissenschaft und Umwelt“ (FWU) stemmen sich WissenschafterInnen gegen das Bauprojekt: Der Bau sei nicht mit den nationalen Klimaschutzzielen vereinbar. Laut diesen muss Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein, die hier lebenden Menschen also mehr Öffi und Rad statt Auto fahren. Was eine Schnellstraße samt Tunnel überflüssig mache.

Umweltverbände fordern einen Planungsstopp und stattdessen Investitionen in Radwege und öffentliche Verkehrsmittel (noch bis Dezember 2014 hielt die Schnellbahnlinie S80 in der Station Lobau). Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) will an dem Projekt festhalten. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) hält das Projekt für ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll.

Kommt der Lobau-Tunnel jetzt oder nicht?

Bis dato ist offen, ob und wann die Schnellstraße vom Knoten Schwechat zum Knoten Süßenbrunn verwirklicht wird. Bis zum heutigen Tag waren Dutzende Richterinnen, Sachverständiger, Wissenschafterinnen und Politiker mit dem Projekt befasst. Wie viele Demonstrationen und Protestaktionen es bereits gab, kann auch SCNCC-Sprecherin Berger nicht mehr genau sagen.

Kann der Einhorn-Trüffelkäfer die Lobau-Autobahn stoppen?

Zum – gewiss unfreiwilligen – umweltpolitischen Hero könnte der Einhorn-Trüffelkäfer (Bolbelasmus unicornis) werden. Der Käfer ist nahezu ausgestorben, einige wenige Exemplare dieser „höchst schützenswerten“ Art seien im Nationalpark anzutreffen, erklärt Christian Schuhböck, Generalsekretär der Umweltschutzorganisation Alliance For Nature. Schuhböck und seine MitstreiterInnen wandten sich an das BVwG, dieses solle einen Antrag an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) stellen.

Eine Antwort ist noch ausstehend und ob die Entscheidung das Bauprojekt final verhindern könnte, sei nicht gewiss – „doch es geht uns nicht nur um den Einhorn-Trüffelkäffer, wir sind der Meinung, dass dieses Projekt als Ganzes falsch ist“, kritisiert Schuhböck.

Und so wenig es hier „nur“ um ein Insekt geht, geht es in der Causa S1 um eine Straße oder um einen Tunnel: „hier geht es um viel mehr“, betont SCNCC-Sprecherin Berger. Es geht um die Frage, wie wir uns zukünftig fortbewegen und nachhaltiger leben wollen – „und warum muss ich da eine Straße samt Tunnel durch einen Nationalpark bauen, wenn wir wissen, dass die Zukunft möglichst autofrei sein soll?“

Die Demo am Samstag sei ein Versuch, die Stimme zu erheben, bevor „mit Beton Fakten geschaffen werden“. Die Befürchtung ist berechtigt, denn vergangene Woche bewilligten SPÖ und Neos den Bau der vierspurigen Stadtstraße Aspern, ein Zubringer zur geplanten S1. Noch in diesem Jahr soll gebaut werden. Kostenpunkt: 460 Millionen Euro, mehr als das Vierfache des Umweltbudgets der selbsternannten „Klimamuster-Stadt Wien“.

 

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