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MAN-Werk Steyr: Was die Politik jetzt tun möchte und vorher versäumt hat

Plötzlich will jeder das MAN-Werk in Steyr retten. Von Bundeskanzler Kurz abwärts gibt es warme Worte für die Belegschaft, aber auch viel heiße Luft. Die MAN-MitarbeiterInnen stimmten in der vergangenen gegen die Übernahme des Werks durch Investor Siegfried Wolf. Das steht nun vor dem endgültigen Aus. Was hat die Politik bis jetzt getan, um Steyr zu retten?

Erich Schwarz ist raus! Bis vor einer Woche war er Chef des Betriebsrats im MAN-Werk in Steyr. In einem aufsehenerregenden Votum lehnten die MitarbeiterInnen dort den Plan von Unternehmer Siegfried Wolf ab. Der wollte das Werk von MAN übernehmen – und Hunderte Stellen zu streichen sowie Gehälter zu kürzen. Seit das Ergebnis bekannt ist, darf Schwarz das Betriebsgelände nicht mehr betreten. MAN habe das Schwarz telefonisch mitgeteilt, schreibt zuerst die “Kronen Zeitung” und danach viele andere Medien.

Der Eindruck, der sich aufdrängt: Da geht jemand im Streit und hinterlässt einen Scherbenhaufen – nämlich ein Lkw-Werk, das bald geschlossen wird mit 2.300 MitarbeiterInnen, die dann ohne Job dastehen. Er und die Belegschaft müssen sich einen harten Vorwurf anhören: Nämlich mit ihrem Nein zu Wolf das Aus für ihr Werk besiegelt zu haben.

Betretungsverbot ins MAN-Werk für Betriebsrat? „Kompletter Blödsinn“

Auch deutsche Medien berichten: Die Süddeutsche Zeitung schreibt, Schwarz habe eine Abfindung in Höhe eines Jahresgehalts für seinen Weggang von MAN bekommen. „Das ist ein kompletter Blödsinn“, sagt Schwarz zu MOMENT. Der 65-Jährige ist schlicht in Pension gegangen. Erhalten habe er seine gesetzlich vorgesehene Abfertigung, „die jedem in Österreich zusteht.“ Dass er als Pensionist nicht mehr einfach so das Werk betreten darf, sei völlig normal, sagt er zu den aufgeregten Berichten. „Sonst könnten dort dauernd 500 Pensionisten ein und aus gehen“, sagt Schwarz.

Wir wollen mit allen gewerkschaftlichen Mitteln mit MAN weiterverhandeln
Helmut Emler, neuer Betriebsratschef MAN-Werk

Eigentlich hätte er schon im Jänner den Job an den Nagel hängen sollen. Er blieb aber „um den Weg zur Abstimmung zu begleiten und den Vorsitz dann ordentlich zu übergeben“. Am Dienstag dieser Woche übernahm Helmut Emler als Betriebsratschef. Er wolle nun „mit allen gewerkschaftlichen Mitteln“ mit dem MAN-Vorstand weiterverhandeln.

Doch die Tür scheint zu: „MAN nimmt jetzt als Konsequenz die Pläne zur Schließung des Werks in Steyr wieder auf“, schrieb der zum VW-Konzern gehörende deutsche Lastwagenbauer nur Minuten nach dem Votum. Auch Investor Siegfried Wolf reagierte kühl. Das Ergebnis sei „bedauerlich“, sagt sein Sprecher Josef Kalina zu MOMENT. Ändern werde es aber nichts. Aber: „Siegfried steht weiter zu seinem Angebot“, so Kalina.

Kurz wollte Wolf in die ÖBAG holen

Wolf war früher Chef des Automobilzulieferers Magna und Aufsichtsratschef der staatlichen Staatsholding ÖIAG, die heute ÖBAG heißt. Wolf taucht auch in den aufsehenerregenden Chatprotokolle des jetzigen noch-immer-Chefs Thomas Schmid auf. Aus den öffentlich bekannten Kurznachrichten geht hervor, dass Kanzler Sebastian Kurz Wolf in den Aufsichtsrat der „Schmid AG“ holen wollen. Das passierte dann aber doch nicht.

Wolf sitzt seit 2019 im Aufsichtsrat der Porsche Holding, die die Mehrheit der Stammaktien von VW besitzt. Der Autoriese ist Mutterkonzern von MAN, von dem Wolf jetzt das Werk in Steyr übernehmen will. Der Manager ist also bestens vernetzt in der kleinen Welt der großen deutschen Autobauer und hat einen guten Draht in die heimische Politik.

Die Zukunft in Steyr: Russia made in Austria

In den vergangenen Jahren trimmte Wolf die russische GAZ-Gruppe von Oligarch Oleg Deripaska auf Gewinn. In Steyr will er nun GAZ-Fahrzeuge in Lizenz bauen, mit dem Logo der wiederzubelebenden Marke Steyr versehen und als europäisches Produkt verkaufen, erklärt Josef Kalina das Konzept. Also praktisch: Russia made in Austria. Daneben sollen Fahrerkabinen für GAZ-Laster gefertigt und nach Russland geliefert werden.

Von der knapp 1.900 Personen starken Stammbelegschaft, würden nur mehr 1.250 übrig bleiben, plus 150 Lehrlinge. Von den derzeit 278 LeiharbeiterInnen bliebe wohl niemand im Werk. Schon in den nächsten Wochen setzt MAN die Hälfte von ihnen auf die Straße. Dazu sollen alle MitarbeiterInnen auf 15 Prozent Lohn verzichten, wollen sie weiter in Steyr schrauben. „Dieses Konzept haben alle in der Belegschaft verstanden“, sagt Ex-Betriebsrat Erich Schwarz. „Aber die Rahmenbedingungen haben einfach nicht gepasst. Deshalb das Nein der Belegschaft.“

Das Ende des MAN-Werk ruft die Politik auf den Plan

Dennoch soll es das letzte Wort von Wolf sein, betont Sprecher Kalina am Telefon: „Den Spruch von den sogenannten Nachbesserungen, den wird es nicht geben.“ Stand jetzt heißt die Perspektive für Steyr: Klappt die Übernahme zu Wolfs Bedingungen nicht, macht MAN das Werk mit Ende 2022 dicht.

Das greifbare Ende ruft plötzlich die Politik auf den Plan: Vom Bundeskanzler abwärts wollen inzwischen PolitikerInnen aller Parteien und die Sozialpartner das MAN-Werk in Steyr retten. Die Politik stehe „für begleitende Maßnahmen bereit“, schrieb Sebastian Kurz in einer Aussendung. Er forderte Verantwortliche und Interessenten am Werk auf, „Konzepte auf den Tisch zu legen und Gespräche aufzunehmen“. Danach war von ihm nichts mehr zu hören. Was er und die Regierung selbst tun könnten, um den Standort zu retten, dazu schweigt der Kanzler.

Unsere Video-Kolumnistin Natascha Strobl analysiert, warum Sebastian Kurz zu MAN schweigt.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderte Konkretes: Der Staat könne beim Werk einsteigen. Die Mittel dafür sollen aus einem mit 10 Milliarden Euro gefüllten Beteiligungsfonds der österreichischen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG kommen. Österreich könne damit mit bis zu 20 Prozent beim Werk in Steyr übernehmen, aber auch bei anderen strauchelnden Unternehmen einsteigen. „Die Bundesregierung hätte einige Hebel in der Hand, doch die müssen auch benutzt werden“, sagte Rendi-Wagner.

Viele Worte, wenig Substanz am MAN-Werk

Die Möglichkeit weitere Gespräche zu führen, um den Standort zu retten, sollte „unbedingt genutzt werden“, sagte Georg Knill, Chef der Industriellenvereinigung. Den SPÖ-Plan lehnte er aber als „Verstaatlichungsphantasien“ ab. Ein Aus für das MAN-Werk in Steyr wäre „für die Region ein Drama. Deswegen müssen wir alles tun, damit das nicht passiert“, sagte ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher.

Die für Standortpolitik zuständige Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck nannte das Ergebnis „bedauerlich, aber zu respektieren“. Sie werde sich „auch weiterhin für den Erhalt heimischer Arbeitsplätze und die Absicherung des Wirtschaftsstandorts einsetzen“, so Schramböck.

Schramböck setzt MAN-Belegschaft unter Druck

Das ist fast wortgleich, was Schramböck schon im Herbst 2020 sagte. Mitte September hatte MAN angekündigt, das Werk in Steyr 2023 schließen zu wollen. Zwei Wochen später äußerte sich die ÖVP-Ministerin erstmals öffentlich zum Thema. Sie habe mit den Vorständen von VW und MAN telefoniert und „werde mit ihnen verhandeln, wie wir in Steyr weiter vorgehen können“.

Schramböcks Eindruck aus den Gesprächen mit den Managern: „Eine Fortführung wird allerdings nicht funktionieren, wenn man so weitermacht wie bisher.“ Man müsse „den Standort wettbewerbsfähig machen.“ Das gab schon einmal einen Vorgeschmack darauf, von wem sich die Wirtschaftsministerin Zugeständnisse erwartet: von der Belegschaft.

Gar nichts ist passiert. MAN hat keine Verhandlungen und Gespräche geführt.
Erich Schwarz, Ex-Betriebsratschef MAN-Werk

Ex-Betriebsratchef Erich Schwarz sagt, die MitarbeiterInnen seien bereit gewesen, mit MAN darüber zu sprechen. Doch: „Gar nichts ist passiert. MAN hat keine Verhandlungen und Gespräche geführt.“ Um den Standort loszuwerden, ging MAN rigoros vor. Der Konzern kündigte einen mit der Belegschaft abgeschlossenen Standortsicherungsvertrag. Der sollte eigentlich sicherstellen, dass das MAN-Werk bis 2030 weitergeführt wird und es keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll – MOMENT berichtete darüber.

Reaktion der Politik auf Kahlschlag von MAN: keine

Doch plötzlich behauptete MAN, der 2016 geschlossene Vertrag, für den die Belegschaft Arbeitszeitflexibilisierungen zustimmte, sei gar nicht bindend. Der Betriebsrat lief Sturm dagegen. „Kein Manager würde akzeptieren, dass so ein Vertrag einfach gekündigt wird“, sagt Schwarz. Die Reaktion von Österreichs Regierung auf den Kahlschlag-Kurs von MAN: keine. Bis heute nicht.

MOMENT fragte bei Wirtschaftsministerin Schramböck nach, was sie getan hat, um Steyr zu erhalten. Eine Antwort blieb trotz mehrmaliger Nachfrage aus.

Dabei hätten die regierenden PolitikerInnen „das ureigenste Interesse haben müssen, mit MAN eine Lösung für den Standort zu finden“, sagt Schwarz. Denn schließt das MAN-Werk, fielen nicht nur dort die Jobs weg, sondern insgesamt rund 8.400 in ganz Österreich.

Steyr ist einer der besten Standorte in Mitteleuropa.
Friedrich Schneider, Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich

Ein Loch von fast einer Milliarde Euro würde dies ins BIP schlagen, errechnete der Ökonom Friedrich Schneider von der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich. Auch er wundert sich: Das MAN-Werk sei „ein relativ profitables Werk“, sagt Schneider zu MOMENT. Überhaupt sei Steyr „einer der besten Standorte in Mitteleuropa“. Nicht umsonst produziere auch BMW in unmittelbarer Nachbarschaft zum MAN-Werk.

Laut jüngstem Geschäftsbericht von MAN erwirtschaftete die Belegschaft mehr als 20 Millionen Gewinn im Jahr 2019. Nun soll sie „wettberwerbsfähiger“ werden?

„Einen Industriegipfel zum Standort Steyr hätte man machen können“, sagt Erich Schwarz. „Dann setzt man sich mit den Vorständen von VW und MAN zusammen und redet, wie man das abwenden kann – und wenn es den ganzen Tag dauert.“ Passiert ist das bisher nicht. Inzwischen verlangt die SPÖ einen solchen „MAN-Gipfel“. Auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) macht Druck: Man wolle nun „den MAN-Konzern in die Pflicht nehmen, auch andere Optionen ernsthaft ins Auge zu fassen und mit weiteren Interessenten zu verhandeln“.

So eine Verweigerung seitens MAN mit jemanden zu sprechen, habe ich noch nie erlebt
Gerald Ganzger, Sprecher von am Werk interessiertem Konsortium

Denn die gibt es durchaus: Ein Konsortium um den Linzer Unternehmer Karl Egger wollte ein „Green Mobility Center“ in Steyr ansiedeln. Mit dabei war auch Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ). Doch MAN lehnte umgehend ab. „Äußerst ungewöhnlich“ nennt das Gerald Ganzger, Sprecher des Egger-Konsortiums. Das Wort fällt im Verlauf des Gesprächs mit MOMENT noch weitere fünf Mal. „So eine Verweigerung seitens MAN mit jemanden zu sprechen, habe ich noch nie erlebt“, sagt er.

MAN nannte das Angebot „wolkig“ und beklagte, Egger habe nur ein wenige Seiten starkes Dokument eingereicht. Aber: „Erstens wäre es fahrlässig gleich zu Beginn ein 2.000 Seiten starkes Dokument zu schicken“, sagt Ganzger. Dazu sei es gar nicht möglich gewesen, mehr zu liefern. „MAN hat uns nicht einmal Zugang zum Datenraum gegeben.“

Ohne zumindest ansatzweise konkrete Zahlen aus dem MAN-Werk zu haben, sei es schwer gewesen, ein ausgefeiltes Konzept vorzulegen. Auch Erich Schwarz betont: „Ich kann nicht einzig anhand eines Blicks auf das Werk bei Google Maps ein vollständiges Konzept entwerfen.“ Im Gegensatz zu Egger habe Wolf Zugang zu allen relevanten Daten von MAN erhalten.

Schramböck scheint von anderen Interessenten noch nicht gehört zu haben

Wirtschaftsministerin Schramböck hätten nicht mit dem Konsortium gesprochen, so Ganzger. „Es wäre super gewesen, wenn sich die Politik und MAN durchgerungen hätten, uns anzuhören.“ Schramböck sprach im vergangenen Jahr davon, sie bastele an einem Österreich-Konsortium, das beim MAN-Werk einsteigen solle. Danach hörte man von ihr nichts mehr. Nach dem Nein der Belegschaft zum Plan von Siegfried Wolf forderte sie: „Wenn es noch ernsthafte Angebote gibt, wäre es jetzt an der Zeit, diese vorzulegen.“ Vom Interesse des Egger-Konsortiums scheint sie noch nicht gehört zu haben.

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