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Arbeitswelt

„Dann sollen sie halt umziehen“ – Martin Kocher und der Klassenkampf von oben gegen Arbeitslose

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Arbeitsminister Martin Kocher hat eine neue Idee: Arbeitslose sollen beliebig umziehen, um in Arbeit zu kommen. Welches Menschenbild dahinter steht und warum dieser Vorschlag kein Problem löst, erklärt Natascha Strobl.

Es gibt so viele offene Stellen in Westösterreich und so viele Arbeitslose in Ostösterreich, also warum nicht einfach die Menschen vom Osten in den Westen schicken? 

So oder so ähnlich lautet der etwas schlichte Gedankengang hinter dem Vorschlag, Menschen für einen neuen Job mehrere hundert Kilometer zum Umziehen zu zwingen. In den USA ist es ja schließlich auch so. 

Umziehen ist nicht gleich umziehen

Vielleicht sind die USA aber auch nicht das beste Vorbild, wenn es um Arbeitsrechte und soziale Gerechtigkeit geht? Auch Akademiker:innen, Diplomat:innen und Manager:innen ziehen alle paar Jahre um. Ja, nur gibt es hier ein paar klitzekleine Unterschiede. Die Logistik, bis hin zur Wohnungssuche, wird für Top-Verdiener:innen übernommen, das Gehalt ist entsprechend und so toll ist diese Praxis für viele auch nicht, etwa für Uni-Angestellte mit Kettenverträgen.

In Kochers Beispiel geht es nämlich um ganz andere Jobs. Die Jobs im Westen sind keine hochqualitativen – und bezahlten Managerjobs, sondern Saisonjobs. Das bedeutet schlechte Bedingungen, fürchterliche Arbeitszeiten und keine Infrastruktur wie Schulen, Kultur oder Kinderbetreuung. 

Zwang für Arbeitnehmer:innen zugunsten der Unternehmen

Nun sollen Familien gezwungen werden, in ein weit entferntes anderes Bundesland umzuziehen, damit ein Elternteil eine Arbeit annehmen kann. Es gibt keine Vorgaben, ob diese Arbeit a) sinnvoll bezahlt und b) nachhaltig ist. 

Was, wenn der Hotelier die Person mit Oktober hinauswirft, weil sie nur für die Sommersaison gebraucht wird? Dann ist man genauso wieder arbeitslos. Nur halt im Winter in einem Tal in Tirol. Im Endeffekt ist es für die Arbeitnehmer:innen ein Minusgeschäft, weil ein Umzug viel Geld kostet und die Miet- und Immobilienpreise im Westen höher sind als im Osten. Ganz abgesehen von der Zeit und dem Stress, überhaupt etwas zu finden. 

Das Menschenbild dahinter

Dazu kommt das Herausreißen aus dem gewohnten Umfeld, der Kontakt zu Familie und Freund:innen, sowie das ganze Bildungsumfeld der Kinder. Schnapsidee ist ein Euphemismus für diesen Vorschlag.

Dahinter steckt ein Menschenbild, das Menschen als Verschubmasse zugunsten der Wirtschaft sieht. Wie Schachfiguren kann man Menschen von B2 auf B4 setzen, wenn es gerade nötig ist. Dahinter steckt aber auch eine Quersubvention eines besonders menschenunfreundlichen Wirtschaftszweiges – einem Tourismus, der auf billige Saisonarbeitskräfte setzt. 

Schikanen gegen Arbeitslose als Klassenkampf von oben

Die Bezahlung ist schlecht, die Arbeit hart und die Bedingungen eine Katastrophe. Geteilte Dienste, also am Vormittag eine Schicht und am Abend eine Schicht mit „Freizeit“ in der Mitte, gehören zum Standard. Profitieren tun davon nur jene ganz oben in der Hierarchie. 

Für dieses Wirtschaftsmodell sollen nun also Familien umziehen und womöglich erst recht wieder arbeitslos und mit Schulden, hoher Miete und ohne sozialem Umfeld dastehen. Dabei wäre eigentlich der umgekehrte Zugang angebracht: Arbeitgeber:innen müssen sich eben für Arbeitnehmer:innen attraktiv machen, gute Bedingungen und faire Bezahlungen bieten. 

Dann kommen Leute ganz freiwillig und müssen nicht zu einer Strafmaßnahme vom Minister verdonnert werden. 

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