Nach 40 Jahren gibt es einen MPreis-Betriebsrat: Warum dauerte das so lange?

In Österreich sind die Supermärkte in den allermeisten Fällen entweder aus dem Hause Spar oder Rewe. Tirol ist ein bisserl eigenwillig. Im Heiligen Land kauft man in sehr vielen Ortschaften bei dem von Therese Mölk im Jahr 1920 gegründeten Supermarkt “MPreis” ein. Trotz des langen Bestehens gab es bis 2024 keinen Betriebsrat.
„Historisch“ nennen es manche sogar, dass sich das geändert hat. Mehrere Jahrzehnte wurde von verschiedenen Seiten die Gründung eines Betriebsrates versucht. Bis letztes Jahr ohne Erfolg. Das überrascht. Wie kam es dazu und warum dauerte es so lange? Welche Vorteile gibt es?
Ein steiniger Weg zum MPreis-Betriebsrat
Wenn ein Unternehmen mehr als nur eine Handvoll Mitarbeiter:innen hat und es etwas zu klären oder unterschreiben gibt, soll die oder der Chef:in dann zu knapp 6.000 Menschen gehen, wie im Falle des Völser Familienunternehmens? Nein, darum gibt es Betriebsräte – wenn sie sich denn gründen.
Bei MPreis gab es Versuche, die scheiterten. Noch Anfang August 2024 kritisierte die Gewerkschaft die Kündigung zweier Angestellten, die einen Betriebsrat bei MPreis gründen wollten. Laut MPreis sei die Betriebsratsgründung nicht der Grund dafür gewesen, berichtete ORF Tirol. Eine “Neustrukturierung” sei notwendig gewesen. Das Unternehmen sei der Betriebsratsgründung gegenüber offen. Von Seiten der Gewerkschaft heißt es, die Firmenleitung habe bereits in den vergangenen Jahren gemauert und keinen Betriebsrat gewollt. Außerdem gab es bereits vor vier Jahrzehnten Kündigungen von Beteiligten, die einen Betriebsrat gründen wollten.
Warum dauerte es so lange?
Die Begründungen, warum es so lange dauerte, sind unterschiedlich. Wenn man das Unternehmen fragt, wie MOMENT.at es getan hat, brauche es eben “das Engagement und die Initiative von Mitarbeitenden, um einen Betriebsrat zu gründen. Das war bis zur Zeit der Gründung nicht gegeben.“ Das steht im Gegensatz zur Darstellung aus Gewerkschaftskreisen, dass es seit vielen Jahrzehnten versucht wurde und fallweise durch Entlassungen scheiterte.
Ein weiterer möglicher Grund: Es gibt in Österreich viele Supermärkte und gerade der Handel sucht oft Angestellte. MPreis hatte in den letzten Jahren wirtschaftliche Probleme. Das Betriebsklima litt darunter. Das hofft man nun zu ändern. In der Aussendung zur Betriebsrats-Gründung ließ sich Geschäftsführer David Mölk folgendermaßen zitieren: „So bringen wir MPreis erfolgreich und nachhaltig durch den Restrukturierungsprozess und werden die Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens sicherstellen.“
Eine Betriebsratsgründung bedeutet grundsätzlich auch nicht, dass etwas im Unternehmen schiefläuft. Der Betriebsrat kann Probleme dank des Kündigungsschutzes weitergeben – in einer Form, die einzelnen Mitarbeiter:innen vielleicht nicht offen steht. Der Betriebsrat ist der beste Verbündete, um gute und zufriedene Mitarbeiter:innen zu haben, so eine Position der Gewerkschaften.
Warum Betriebe sich gegen Betriebsräte wehren
Aber warum wollen Betriebe beziehungsweise deren Leiter:innen immer wieder keine Gründung? Das kann Dominik Gessert, ÖGB-Regionalsekretär aus Gmunden, erklären. Mit der Gründung bei MPreis hatte er nichts zu tun, aber er kennt die Einwände. Er hat schon acht Betriebsräte beim Entstehen begleitet. Zuletzt bei der Tankstellenkette Turmöl. Als Angestellter bei der Babynahrungs-Marke Hipp hat er einst selbst einen gegründet. Er sagt: „Viele Geschäftsführungen weigern sich gegen Mitsprache. Es gibt noch patriarchale Denkmuster.“ Viele Leitungen seien der Meinung, dass sie ohnehin gut genug sind.
Auch MPreis ist von sich überzeugt. Man wäre “immer schon führend” in der Branche gewesen. Die Belegschaft könne günstiger einkaufen, ein Öffiticket werde zu 80 Prozent bezahlt und es gebe Fitnesstraining zu „äußerst günstigen Preisen“. „Die Geschäftsführung hat immer schon sehr offen und direkt mit den Mitarbeitenden kommuniziert“, heißt es weiter.
Gute Absichten reichen nicht
Auch wenn man gute Absichten unterstellt, muss das nicht genug sein. Ohne Mitsprache auf Augenhöhe gehen Informationen verloren. Kollektivverträge (bundesweite Vereinbarungen zu Löhnen und Arbeitsbedingungen) regeln etwa nicht alle Fragen des Arbeitsalltags. Vieles muss in den Betrieben festgelegt werden. Insgesamt gibt es rund 30 Verweise auf die Betriebsebene. Der Handels-KV sagt etwa, Geschäftsführung und Belegschaft sollen sich ausmachen, wie flexibel Arbeitszeiten eingeteilt werden können.
Gessert meint: “Mich hat das damals geärgert, dass die KVs so oft auf die Betriebsebene verweisen.” Viele wichtige Entscheidungen können aber nur vor Ort im Betrieb getroffen werden. Dabei vertritt ein Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten. Was bei einem kleinen Laden mit vier Mitarbeiter:innen noch direkt besprochen werden kann, wird bei dutzenden, hunderten oder tausenden erst durch den Betriebsrat übersichtlich. Denn, so Gessert: „Egal wie gut ein Chef ist und egal wie super es läuft, wird niemand die Ahnung haben, wie es ‚unten‘ abläuft.“
Umstrittene Position im Betriebsrat bei MPreis
Entscheidend ist demnach auch die Position der handelnden Personen. Je näher der Betriebsrat an der Leitung angesiedelt ist, desto schlechter, so Gessert. Anna Forys ist die erste Vorsitzende des MPreis-Betriebsrats. Sie ist für diese Rolle freigestellt. Davor war sie Assistenz der Vertriebsleitung. Ideal sei diese Position nahe an der Geschäftsleitung nicht, sagt die Gewerkschaft. Aber es sei gut, dass es endlich einen Betriebsrat gibt.
Die Ernährungswissenschaftlerin aus Deutschland ist verhältnismäßig kurz im Unternehmen – seit April 2023. In ihrer Position wickelte sie die Administration zwischen über 30 Gebietsleitern und der Geschäftsführung ab.
„In dieser Position ist man viel im Unternehmen unterwegs“, erklärt sie im Gespräch mit MOMENT.at. „Ich habe mit einer Kollegin aus der Rechtsabteilung über das Thema Videoüberwachung gesprochen und die meinte, dass es keinen Betriebsrat gibt“, schildert sie die augenöffnende Situation.
Sie selbst sieht sich durchaus als “idealistisch” an, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Arbeit im Lager oder an der Kassa körperlich schwerer ist und klarere Regeln braucht, als die Arbeit im Büro.
MPreis bemühe sich laut Forys auch darum, dass Bürokräfte eine Ahnung von der schweren Arbeit in den Filialen haben. Auch sie musste nach dem Antritt ihrer Stelle als Assistenz des Vertriebes eine Woche in der Filiale mitarbeiten: „Da haben sich schon ein paar gedacht: Ach, die Tussi vom im Büro – aber alle konnten dann sehen, dass ich anpacken kann. Ich habe schon diesen Idealismus, dass ich die Bedingungen der Menschen verbessern will.“
Und dem widmet sie sich, auch wenn es laut ihr durchaus herausfordernd ist, den Betriebsrat überhaupt auf die Beine zu stellen. Unterstützung gibt es dabei auch von allen Kolleg:innen aus dem Gremium, Gewerkschaft und Arbeiterkammer.
Erste Erfolge des MPreis-Betriebsrats
Nach wenigen Monaten kann der Betriebsrat auch schon erste Erfolge verzeichnen. Denn die Belegschaft erhält immer mal wieder Trinkgeld, sowohl in den Bistros, als auch im normalen Supermarkt. Wie das verteilt wird, war allerdings nicht geregelt. „Mal gab es mehr, mal weniger Trinkgeld, manche haben gar keines bekommen. Das war einfach nicht geregelt. Dann sind Kollegen auf uns zugekommen, mit der Bitte um die Ausarbeitung einer Betriebsvereinbarung. Das haben wir gemacht“, berichtet sie. Schon so eine „Kleinigkeit“ zeigt den Wert eines Betriebsrats für das Unternehmen.
Was ein Betriebsrat alles erreichen kann
Gessert nennt ein paar Beispiele, die er schon auf Betriebsratsebene in anderen Unternehmen mitverhandelt hat: In der Lebensmittelindustrie wurde beispielsweise das (gesetzlich) vorgesehene Umziehen zur bezahlten Arbeitszeit. In der Obst-, Gemüseveredelungs- und Tiefkühlindustrie konnte er den damals vorgesehenen 12-Stunden-Tag wegverhandeln.
In einem Betrieb half er mit, dass die Belegschaft in der Kantine nur noch die Hälfte zahlt. Eine weitere Betriebsvereinbarung woanders wurde so ausgestaltet, dass die Menschen dort letztlich 35 Prozent über dem KV-Gehalt verdienen. Für denselben Betrieb erreichte er einen Mehrschichtbetrieb mit bezahlter Arbeitszeitverkürzung. Das bedeutet: “16 bis 20 Stunden weniger Arbeit bei gleichem Gehalt, zwei Wochenenden frei pro Monat, alle drei Wochen ein langes Wochenende mit Freizeit von Mittwoch bis Sonntag.”
Darüber hinaus: Nicht erst eine Untersuchung hat ergeben, dass die Mitarbeiter:innen in Betrieben mit Vertretung zufriedener sind als dort, wo es keine gibt. Was war, kann man jetzt nicht mehr ändern. Aber vielleicht wird man sich in Völs in ein paar Monaten oder Jahren ärgern, dass man so lange keinen Betriebsrat hatte.