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Gesundheit

Unsichtbar krank in der Leistungs­gesellschaft – eine Person mit Narkolepsie berichtet

Unsichtbar krank in der Leistungs­gesellschaft – eine Person mit Narkolepsie berichtet
Bunny leidet unter einer Schlafkrankheit. Sehr lange wusste sie aber von ihrer Narkolepsie nichts - und fühlte sich allein. Die Schuld daran sieht sie auch darin, was wir als Leistung und was wir als normal sehen.

„Kann ich einen Kaffee haben?“, fragt Bunny. Sie sitzt auf meiner Couch. Es ist halb acht am Abend. Kennengelernt haben wir uns vor einem Jahr bei einer Kunstperformance. Bunny tanzte in einem Indoorpool und über die Fliesen um das Becken. Ich hatte Angst, sie gleich ausrutschen und sich die Zähne ausschlagen zu sehen. Inzwischen sind wir befreundet. 

Von ihrer Schlafkrankheit (oder Narkolepsie) erfuhr ich erst einige Monate später, beiläufig in einem Nebensatz. Wie die Krankheit Bunnys Leben beeinflusst hat, erzählt sie mir jetzt. Dabei macht sie immer wieder längere Pausen mitten im Satz. Wortfindungsstörungen und Anstrengung beim Sprechen gehören zu ihren Symptomen. Es dauert ein paar Minuten, bis sie in den Gesprächsfluss kommt. Oder bis das Koffein wirkt.  

Zehn Jahre Wach-Albtraum  

Bunny kommt nicht gerade mit dem Gesundheits-Jackpot auf die Welt. Andere Kinder haben  Haustiere. Bunny eine Immunschwäche, Allergien und häufige Fieberschübe. Mit dreizehn erleidet  sie einen schweren Unfall mit Hirntrauma. Die Gehirnerschütterung wird nie untersucht. Sie hat schwerwiegende Folgen. Später wird man ihre Narkolepsie darauf zurückführen.  

Auf den meisten Fotos von Bunnys früher Jugend ist sie schlafend auf der Couch mit ihrer Katze  zu sehen. Müdigkeit wird zu ihrer ständigen Begleitung und sie schläft regelmäßig im  Schulunterricht ein. Zunächst wird es mit Migräneschüben und Schmerzmitteln in Verbindung  gebracht, die sie seit dem Unfall nehmen muss.  

Lange ohne Diagnose

Doch je älter Bunny wird, desto müder wird sie. Etwas mit ihr stimmt nicht, das ahnt sie von Anfang an – nur hört ihr niemand so richtig zu. Sie verpasst den Anschluss im Gymnasium. Fragt man ihre Lehrer:innen, dann sind die sich uneinig, ob sie zu dumm oder einfach faul ist. Niemand fragt Bunny. Stattdessen rät man ihr, Schule zu wechseln. Ärzte schicken sie zur Psychologin, um  herauszufinden, ob sie Depressionen hat oder nur simuliert.  

Schulwechsel, später Abi (Matura) nachholen auf der Fachoberschule in Bayern. Dort fliegt Bunny auch fast, als sie im Physikunterricht einschläft und im Wachschlaf Stuss redet. Die Lehrerin fühlt sich verhöhnt, Bunny erinnert sich im Nachhinein nicht an die Situation. Während nach wie vor kein professioneller Konsens darüber herrscht, ob Bunny dumm, depressiv, aufmerksamkeitsgeil oder einfach nur dehydriert ist, steckt sie in einem Wach-Albtraum fest, der fast zehn Jahre dauert.  

Narkolepsie: Wachsein und Träumen verschwimmen

Unfreiwilliges Einschlafen und von alleine nicht Aufwachen (die sogenannte Schlafsucht oder  Hypersomnie) ist nur ein Symptom von vielen, mit denen Bunny täglich kämpft. 

Wie Wasserfarben, die ineinander laufen, sind für Bunny die Grenzen zwischen Wachsein und Träumen verschwommen. Über keinen der Zustände hat sie die Kontrolle, beide sind Realität. So real, dass sie einmal sogar eine befreundete Person für tot hält, weil sie sie in ihrem Traum hat sterben sehen. 

Die verschwommene Grenze ist der Grund, warum Bunny nicht gerne über die Vergangenheit spricht – sie weiß bei den meisten Erinnerungen nicht, ob sie tatsächlich passiert sind. Irgendwann gibt sie auf, eine Person zu finden, die ihren Zustand ernst nimmt. Sie hat keine Lust mehr, von einer weiteren Ärztin gesagt zu bekommen, sie solle mehr Wasser trinken.  

Unbemerkte Narkolepsie: Symptom unserer krankhaften Leistungsgesellschaft 

Nach zehn Jahren erhält Bunny nach einem weiteren medizinischen Marathon schließlich die Diagnose ”Narkolepsie”. Ihr wird Modafinil verschrieben. “Dumm gesagt, nehme ich jeden Tag Speed, um wach zu bleiben”.  

Erleichtert ist sie über die Diagnose zuerst nicht. Zunächst empfindet Bunny es als Versagen, krank zu sein. Erst Monate später, auf Reha im sprichwörtlichen Nirgendwo und umgeben von 70-Jährigen, legt sich ein Schalter um. Sie akzeptiert ihre Erkrankung. Und erkennt, dass es nun auch möglich ist, ihr Leben zu verändern. 

Neben den Medikamenten entwickelt sie Werkzeuge, die ihr helfen, mit der Narkolepsie umzugehen. Als Bunny zum ersten Mal seit langer Zeit ein Buch in den Händen hält und nach den ersten Seiten nicht sofort einschläft, weint sie vor Freude. Sie nimmt ihre Umwelt wieder wahr. Sie erinnert sich wieder an Dinge. Auch die Albträume, Schlafparalysen und Halluzinationen verschwinden weitgehend. 

Dass Narkolepsie meist spät entdeckt wird, darin sieht Bunny heute auch ein Symptom unserer krankhaften Leistungsgesellschaft. Wir akzeptieren Müdigkeit als Dauerzustand. Es ist Normalität und auch irgendwie schick. Wer müde ist, der leistet. Und lange messen andere Bunny an dieser Normalität – und sie sich auch: „Du siehst Leute, die auch voll müde sind – aber wie produktiv im Vergleich zu dir. Du bist müde und schaffst, wenn überhaupt, eine Sache am Tag, und die bauen sich ein halbes Imperium auf. Und sind müde dabei.“  

„Es gibt Momente, in denen ich mich menschlich fühle.“ 

Ein Ort, an den sich Bunny auch schon vor ihrer Diagnose zurückziehen konnte, ist die Kunst.  Sie hat immer Musik gemacht, geschrieben, gemalt. Aktuell arbeitet sie an einem Rap-Album, ein  Track darauf heißt „nie wieder wach“. Kunst hat ihr nie das Gefühl gegeben, etwas stimme mit ihr  nicht. Kreativer Ausdruck spendet ihr Energie – oder laugt sie zumindest nicht so aus, wie andere Dinge. 

Jahrelang wirkte die chronische Müdigkeit wie ein Betäubungsgas, das Bunny permanent eingeatmet hat. Das einzige Gefühl, das den Nebel durchdringen konnte, war Erschöpfung. Um überhaupt mitzubekommen, was um sie herum passiert, musste Bunny ihre Beobachtungsgabe extrem schärfen.  

Seitdem sie Medikamente bekommt, hat sich Bunnys Beziehung zu Kunst intensiviert. Sie nimmt Töne wahr, die sie davor nicht hören konnte, sieht Farben anders. Sie kann Emotionen in ihren Texten verarbeiten, die sie lang gar nicht empfunden hat. Sie sieht und hört Dinge, in sich und in anderen, die uns vielleicht gar nicht auffallen, weil sie sich antrainiert hat, aufmerksamer zu sein.  

Momente, in denen sich Bunny richtig wach fühlt, schaffen auch die Medikamente nicht. Aber: „Es gibt Momente, in denen ich mich menschlich fühle. Das sind sicherlich die, in denen ich Musik mache und die ich mit Menschen verbringe, die mir Freude schenken.“ 

„Kein Mensch ist gesund, der jeden Tag Drogen nimmt.“  

Nicht nur Bunnys Narkolepsie ist unsichtbar. Der Aufwand, den sie betreibt, um mit einer möglichst  geringen Dosis der Medikamente auszukommen, bleibt ebenfalls meistens verborgen. Denn auch wenn die Tabletten ihre Lebensqualität steigern, haben sie eine Kehrseite. Die Entscheidung, wach zu sein und am Leben teilnehmen zu können, bedeutet für Bunny, ihre Lebenszeit zu verkürzen: „Kein Mensch ist gesund, der jeden Tag Drogen nimmt.“ 

Die Liste der Nebenwirkungen ist mindestens genauso lang wie die der Alltagsdinge, die Bunny strikt kontrolliert. Essen, Bettzeiten, Verzicht auf Alkohol – alles unterliegt einer drastischen Routine. Zusätzlich macht sie täglich Sprachübungen, damit sie sich so ausdrücken kann, wie sie möchte.  

Für kleinste Ausrutscher zahlt sie einen hohen Preis. Zwei Tage ihre Tabletten zu vergessen reichen aus, um einen kalten Entzug durchzumachen. So eine Phase hat sie gerade hinter sich.  „Die letzten drei Tage waren wie ein Fiebertraum“, erzählt sie, und plötzlich verstehe ich wieder, warum sie vor zwei Tagen nicht zu meiner Geburtstagsparty gekommen ist. Es ist einfach, die Erklärung zu vergessen. Erst jetzt erfahre ich, dass sie tagelang nur schwer sprechen und kaum essen konnte, und zwischen Halluzinationen und  Paralysen oft eingeschlafen ist.  

„Ich möchte irgendwann ein Leben leben, in dem ich niemandem mehr etwas beweisen  muss“  

Mir gegenüber sitzt eine 24-jährige Frau, die sich selbst extrem gut kennt. Sie hat ihre Krankheit  ls Teil von sich akzeptiert, ohne sie zu ihrer Identität zu machen. Beim Schreiben bemerke ich, wie sich etwas in mir gegen das Wort „Krankheit“ sträubt, weil ich mir trotz besseren Wissens immer noch schwertue, meine Freundin als krank wahrzunehmen. Auch in mir ist der Irrglaube verankert, Menschen ansehen zu können, ob sie gesund oder krank, voll funktionsfähig oder eingeschränkt sind.  

Ihren Teil dazu beizutragen, das Stigma von unsichtbaren Krankheiten zu entfernen, war Bunnys Hauptmotivation, mir ihre Geschichte zu erzählen. Auch für andere Betroffene ein Leuchtturm zu sein, ist ihr wichtig. Diesen Austausch hatte Bunny nämlich nicht.  

Vorbilder fehlen

„Es wäre eine riesige Hilfe für mich gewesen, zu wissen, wie es anderen damit geht, und dass es nichts ist, womit ich auf der Welt alleine bin“, betont sie. Dennoch hat sie heute einen Weg für sich gefunden, damit umzugehen. Dazu gehören ihre Routinen, ihre Kunst und ihr Wissen über ihre eigenen Grenzen. 

Dazu gehört für sie aber auch, sich nicht mehr so krass mit den Leistungen anderer zu vergleichen: „Ich möchte irgendwann ein Leben leben, in dem ich niemandem mehr etwas beweisen will.“ Von ihrer Krankheit erzählt sie deshalb auch nur noch, wenn es gerade in den Kontext passt, und nicht mehr automatisch, weil sie das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen. 

„Ich weiß, wie es ist, zu schlafen – jetzt will ich herausfinden, wie es ist, wach zu sein. Ich glaube, das ist mein großer Antrieb.“  

Am Ende will ich von Bunny wissen, was der Schlüssel ist, trotz der ganzen kleinen und großen  Fuckups, die uns das Leben vor die Füße wirft, weiterzumachen. Wie sie es schafft, nicht auf den nassen Fliesen auszurutschen und sich den Schädel aufzuspalten. Ihr stärkster Motor ist ihre Neugier, erklärt sie. „Ich weiß, wie es ist, zu schlafen – jetzt will ich herausfinden, wie es ist, wach zu sein. Ich glaube, das ist mein großer Antrieb.“  

Ich kenne wenig Menschen mit so einer Selbstdisziplin. Umso ironischer finde ich, wie ihr jahrelang genau das Gegenteil unterstellt wurde. Neben den Medikamenten ist es ihr Lebenswille, durch den sie heute ihrem Job als Produktentwicklerin nachgehen kann und sogar ihr Studium in Ernährungswissenschaften erfolgreich abgeschlossen hat. Trotzdem bleibt ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen die Sorge, ob sie am nächsten Morgen aufwacht. 

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Sophia Oswald
    03.04.2025
    Danke für diesen Artikel! Wir brauchen solche dringend.
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