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Demokratie

Wer sagt der ÖVP, dass sie seit vier Jahrzehnten regiert?

Wer sagt der ÖVP, dass sie seit vier Jahrzehnten regiert?
Die ÖVP sitzt seit fast vier Jahrzehnten in der Regierung. Die Schuld für alle möglichen Krisen sieht sie bei anderen. Statt den Kurs zu korrigieren, klammert sie sich immer fester an die verantwortliche Ideologie. Natascha Strobl kommentiert.

Die ÖVP ist empört über andere Wirtschaftszugänge.

Die ÖVP ist empört über andere Konzepte zu Sicherheit, Asyl und Migration.

Die ÖVP ist empört darüber, dass andere den Sozialstaat sichern wollen.

Die ÖVP ist allgemein so empört, dass man vergessen könnte, was die Konstante des Niedergangs der vergangenen Jahrzehnte ist: sie selbst.

Die Wirtschaft steckt in Schwierigkeiten. Die Teuerung bleibt auf einem im europäischen Vergleich ausgesprochen hohen Niveau. Das Gesundheitssystem baut zunehmend ab. Das Bildungssystem ist am Anschlag. Die Klimakrise wird immer gefährlicher. Zum Darüberstreuen klafft ein riesiges Budgetloch. Es gab schon einmal bessere Zeiten. 

Kein Wunder, dass seit Jahren der sorgenvolle Blick in die Zukunft dominiert. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass die größte Korrelation zur Wahl extrem rechter Parteien mit einer negativen Zukunftsperspektive besteht. Demokratische Parteien schaufeln sich mit dem Dauerkrisenmodus ihr eigenes Grab.

Verwalterin des Niedergangs

Nun gibt es viele Ursachen für jedes dieser Probleme. Manches sind auch Einflüsse, mit denen die ganze Welt zu kämpfen hat. Aber in Österreich haben sie eines politisch alle gemeinsam: Die ÖVP hatte die politische Verantwortung. Die ÖVP ist seit 1987 quasi immer in der Regierung – im Jänner sind das 38 Jahre! 

Und immer wieder in dieser Zeit stellte sie auch den Kanzler. Etwa fast durchgehend seit 2017 (mit Ausnahme einiger Monate während der Übergangsregierung). Fast das gesamte 21. Jahrhundert über kamen außerdem die Finanz- und Innenminister:innen aus der ÖVP. Leonore Gewessler ist die erste Umwelt- und Klimaministerin seit 1987, die nicht aus der ÖVP stammt. ÖVP-Minister Martin Kocher ist heute auch für die Agenden Arbeit verantwortlich. Soziales und Gesundheit hatten durchaus meist andere Parteien in der Hand – aber Koalitionsmehrheiten hatten auch die immer nur unter ÖVP-Beteiligung.

Was heißt denn „Nicht weiter so“?

Insofern ist es geradezu beeindruckend, dreist anderen auszurichten, dass ihre Wirtschaftskonzepte nicht funktionieren. Ganz offensichtlich funktionieren vor allem jene der ÖVP nicht. “Nicht weiter so”, heißt auch, sich vom ökonomischen Voodoo der letzten Jahre zu befreien – und pragmatisch das zu machen, was funktioniert. Das wäre eine Strom-/ Gaspreisbremse, das wäre eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen, das wäre das Einhalten von Quoten von Aslywerber:innen, das wäre ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem (mit so vielen positiven Nebeneffekten, die sich auch wirtschaftschlich hundertmal auszahlen). 

Das würde bedeuten, nicht ideologisch auf einem Weg zu bleiben, der von Praxis in den vergangenen 7 Jahren völlig überholt wurde. Die Politik der ÖVP funktioniert nicht. Evidenz dafür sind die vergangenen Regierungen, die wirtschaftliche Lage, die soziale Lage, die gesundheitliche Lage.

Neoliberalismus als Droge

Hätte die ÖVP die geringste Demut, Selbstreflexion oder Scham, würde sie sich kritisch selbst beleuchten und dankbar jeden frischen Input annehmen, der sie von ihrem ökonomischen Irrweg ableitet. 

Das passiert nicht. Neoliberalismus ist wie eine Droge. Wenn der real existierende Neoliberalismus nicht die vorgestellten Erfolge bringt, dann erhöht man die Dosis und glaubt, dass dann magisch etwas anderes eintritt. Insofern muss die ÖVP, die nächste Regierung und das ganze Land auf Entzug gehen von einer Wirtschaftsideologie, die einfach nicht funktioniert. 

Neubeginn für Regierungsanspruch nötig

Schafft die ÖVP dies nicht, dann macht sie weiter wie bisher und ist weiter die Hauptakteurin des allgemeinen Niedergangs. Rational ist das Festhalten an dieser Rolle nicht erklärbar. Außer man ist wirklich intellektuell so ausgehungert, dass man keine alternativen Konzepte findet, sich nicht auf andere Ansätze einlässt und nur noch ein paar Posten und Förderungen vor dem großen Knall will. 

Mit so einer Einstellung hat man allerdings in einer Regierung nichts verloren. Die ÖVP wird sich entscheiden müssen, ob sie unbeirrt ihren hoch-ideologischen Weg fortsetzt, der seit Jahren an der Realität scheitert, oder ob sie sich auf ihre Rolle als Volkspartei besinnt und neue Ansätze sucht, die dem Wohl der Menschen in diesem Land dienen. Dazu muss sie Verantwortung für ihre unmittelbare Vergangenheit übernehmen und einsehen, dass es ihre Politik war, die die aktuellen Probleme und Krisen in so vielen Bereichen herbeigeführt hat. 

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