So lief die Räumung des Stadtstraßen-Protestcamps ab: "Wir werden keinen Millimeter zurückweichen"
Die Polizei ließ auf Anordnung der Stadt Wien das Protestcamp gegen die Stadtstraße in Wien räumen. Die Klima-Aktivist:innen wollen trotzdem nicht aufgeben.
„Räumung jetzt! In dieser Minute rückt die Polizei zur Räumung in der Wüste (U2 Hausfeldstraße) an!“ Am 1. Februar um acht Uhr in der Früh wird diese Nachricht über den sicheren Messenger-Dienst Signal verschickt. Die „Wüste“, das ist eines der Klimacamps, mit dem Klima-Aktivist:innen den Bau der beiden geplanten Wiener Autoprojekte Lobautunnel und Stadtautobahn verhindern wollen. Bereits seit Tagen gibt es Gerüchte, dass die Wiener Stadtregierung das Klima-Camp zeitnah räumen würde, jetzt ist es also soweit. Nichts wie hin.
Zum Camp zu kommen, ist an diesem 1. Februar gar nicht so einfach: Die Wiener Linien haben die komplette U-Bahn-Station Hausfeldstraße gesperrt und leiten zusätzlich mehrere Buslinien großräumig um. Das Ergebnis: Zahlreiche Bewohner:innen der Donaustadt werden vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten, damit Stadtregierung und Polizei das Klimacamp mit möglichst wenig Öffentlichkeit räumen können.
Die Wiener Linien haben einen Versorgungsauftrag – und loben sich für ihren Klimaschutz. Wie begründen die @wienerlinien, dass sie heute zur Unterstützung der Räumung des Klimacamps #lobaubleibt zahlreiche Menschen in der Donaustadt vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten haben? pic.twitter.com/LRpitfsXT2
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 1, 2022
Die Wiener Linien sprechen in einer Stellungnahme davon, dass dies eine „polizeiliche Anweisung“ wäre und dass es „üblich“ wäre, „aus Sicherheitsgründen bei größeren Polizeieinsätzen Stationen“ zu sperren. Bei den rechtsdominierten Corona-Aufmärschen konnten vergleichbare Maßnahmen bis dato nicht beobachtet werden.
Alles abgesperrt
Vor Ort sind dann mehrere hundert Polizist:innen im Einsatz, neben Einsatzeinheiten aus Wien und Niederösterreich auch die Sondereinheit WEGA. Die Polizei hat offenbar gleich zu Beginn das gesamte Camp mit Sperrzäunen abgetrennt. Anfangs gibt es sogar noch einen zweiten Sperrkreis, der bereits hunderte Meter vor dem Camp beginnt. Ich kann mit Presseausweis vorbei, zahlreiche andere Menschen werden an den Sperren blockiert.
Das Camp wird rasch planmäßig zerstört, die aufgebauten Unterkünfte und Zelte werden mit einem Bagger demoliert, die Reste werden auf einen Lkw verfrachtet. Einzig die große Holzpyramide steht noch, das Wahrzeichen des Camps.
Foto: Michael Bonvalot
„Du bist nicht allein!“
Zwei Aktivist:innen haben sich dort mit einer Konstruktion fixiert. Vor dem Zaun rufen dutzende Menschen: „Du bist nicht allein!“ und „Lobau bleibt!“. Die Polizei wirkt aus der Ferne ratlos, eine nähere Beobachtung des Polizeieinsatzes ist nicht möglich: Die Polizei verweigert den Zutritt.
Die Klima-Aktivistin Lena Schilling, Sprecherin der linken Organisation „Jugendrat“ und eine der Sprecherinnen der Bewegung, kritisiert das scharf: „Es wurde weder Presse noch Nationalratsabgeordneten oder parlamentarischen Beobachtern der Zutritt erlaubt.“ Über die Räumung ist sie empört.
Es wäre „ein Skandal, wie die Stadt Wien mit jungen Menschen umgeht“, sagt Schilling. Bis vor Kurzem hätte die Stadt Wien noch gesagt, dass sie eine friedliche Lösung wolle. „Das hier ist also die friedliche Lösung der Stadt Wien, ein Aufgebot von hunderten Polizist:innen.“ Und tatsächlich geht die Polizei vor Ort immer wieder gegen Aktivist:innen vor. Hier findet ihr eine Reportage mit Bildern und Videos von den Protesten und hier eine Bildgeschichte dazu.
Live-Interview mit Lena Schilling von der #LobauBleibt-Bewegung von der Räumung des Klimacamps in Wien. https://t.co/mjBpDdDdQM
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 1, 2022
Insgesamt zwölf Festnahmen
Am Bauzaun herrscht auf einmal Unruhe, der Auslöser ist nicht zu erkennen. Als ich ankomme, sind bereits mehrere Menschen von der Polizei festgenommen worden. Die Polizei wird später von insgesamt zwölf Festnahmen sprechen. Eine Frau liegt am Boden und muss von anderen Aktivist:innen versorgt werden. Menschen spülen ihr die Augen aus, die Polizei hatte Pfefferspray eingesetzt.
Die Situation bei der Räumung des Klimacamps in Wien spitzt sich zu. Die Polizei verhaftet Aktivist*innen, die gegen die Räumung des Camps der #LobauBleibt Bewegung protestieren! pic.twitter.com/we3PvLszbd
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 1, 2022
Parallel dazu blockieren und besetzen andere Aktivist:innen eine Zufahrtsstraße und ein Waldstück direkt neben dem Klimacamp, zwei Aktivisten setzen sich auf einen Bagger. „Dieses Waldstück ist extrem wichtig“, erklärt mir ein Aktivist.
Hier wäre eigentlich ein Nistplatz für geschützte Vögel, daher wolle die Stadt Wien dieses Waldstück so schnell wie möglich zerstören, bevor die Vögel dort nisten können. „Nach dem Februar könnte diese Stück Wald für drei Jahre nicht mehr gerodet werden“, sagt der Aktivist.
Aktivist*innen blockieren jetzt eine Straße rund um die Räumung des #LobauBleibt Camps! Auch ein Bagger und ein Waldstück sind inzwischen besetzt. pic.twitter.com/3yULdAaAg8
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 1, 2022
Die Reaktion der Polizei: Es wird sofort mit der Rodung des Waldstücks begonnen, obwohl direkt daneben noch Menschen in den Bäumen sitzen. Es wirkt gefährlich. Andere junge Menschen versuchen, den Abtransport von Verhafteten mit Polizeiwagen zu blockieren. Sie werden unsanft abgeräumt.
Die Polizei und die Wiener Stadtregierung lassen mit einem Bagger ein Waldstück für die Stadtautobahn räumen, obwohl direkt daneben noch Menschen in den Bäumen sind. Das gefährdet Menschen. #LobauBleibt pic.twitter.com/wX6KwAgArN
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) February 1, 2022
Kurz danach werden auch die Aktivist:innen entfernt, die sich in der Pyramide fixiert hatten. Nun wird auch die große Holzpyramide mit einem Bagger zerstört, das Wahrzeichen des Camps. Die Stadt Wien hätte bereits „die letzten Monate einen Eskalationskurs gefahren“, kritisiert Klima-Aktivistin Schilling. Zuerst die Klagsdrohungen in Millionenhöhe auch an Minderjährige, dann sei von Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig der kürzliche Brandanschlag auf das Camp verharmlost worden – und jetzt die Räumung des Camps.
Auch die Wiener Verkehrswissenschaftlerin Barbara Laa kritisiert die Räumung. Der Protest der Klima-Aktivist:innen sei „angesichts der verheerenden Verkehrspolitik der Stadt Wien in Zeiten der Klimakrise legitim“. Die Stadtstraße sei als zusammenhängendes Projekt mit dem Lobau-Tunnel geplant worden und solle „spätestens nach dessen gerechtfertigter Absage neu evaluiert“ werden.
“ Die Klimakrise ist nicht verhandelbar“
Die Verkehrsexpertin kritisiert auch den Wiener Bürgermeister. Dass Ludwig „nicht dazu bereit ist, sachlich über das Thema zu diskutieren, sondern die Polizei zur Räumung schickt, ist ein fatales Zeichen – an die Jugend wie an die Wissenschaft. Dass er stattdessen weiterhin Falschaussagen zur Rechtfertigung des Projekts verbreitet, macht mich einfach nur sprachlos“, so Laa.
Für die Zukunft brauche die Stadt Wien stattdessen ökosozialen Wohnbau, der nicht auf den Autoverkehr ausgelegt ist: „Sonst werden weder Ziele des Klimaschutz und der Bodenversiegelung erreicht, noch sozial gerechte Stadtplanung.“ Die Proteste gegen die Stadtautobahn und den Lobautunnel jedenfalls sind mit der heutigen Räumung sicherlich nicht zu Ende.
Bereits am Abend findet eine Demonstration vor der Zentrale der SPÖ statt. Und auch für die nächsten Tage kündigt Klimaaktivistin Schilling „Demonstrationen und Proteste“ an. Ihre Ankündigung: „Die Klimakrise ist nicht verhandelbar und wir werden keinen Millimeter zurückweichen. Wir sind ganz viele und solidarisch und sehr, sehr stark.“