Die Kampagne gegen die staatliche Pension

Im Hintergrund ziehen zwei Gruppen die Fäden. Einerseits die Banken und Versicherungen. Sie erhoffen sich von der Angst um die eigene Pension zusätzliches Geschäft. Denn private Pensionen wie Lebensversicherungen oder betriebliche Pensionen muss man bei ihnen abschließen. Darauf fallen Provisionen an. Das verspricht höhere Gewinne, sodass die Kassen klingeln.
Organisiert wird die Kampagne andererseits von der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer. Sie wollen kräftige Steuersenkungen für ihre Klientel, reiche Unternehmensbesitzer. Das geht sich nur aus, wenn die Pensionen gekürzt werden. Kräftige Unterstützung gibt es von den Unternehmerparteien ÖVP und Neos, sowie von Wirtschaftsforschern, die der ÖVP und dem Wirtschaftsbund ihre Spitzenpositionen zu verdanken haben. Gemeinsam wollen sie dem staatlichen Pensionssystem an den Kragen gehen.
Für die heimischen Pensionen wird das gefährlich. Die gesetzlichen Pensionen in Österreich sind eine Erfolgsgeschichte. Sie sind im internationalen Vergleich ausreichend hoch und bleiben das in den kommenden Jahrzehnten auch. Doch der Zeitpunkt für eine Kampagne dagegen ist günstig. Weil die geburtenstarken Babyboomer nun in Pension gehen, steigen die Kosten im Pensionssystem vorübergehend an.
Nun könnte man gemeinsam konstruktiv darüber diskutieren, wie man das am besten finanziert und ob es sinnvolle Weiterentwicklungen des Pensionssystems braucht. Etwa, in dem sich die Sozialpartner zusammensetzen. Welche Maßnahmen für alle machbar wären, für Unternehmer:innen, Arbeitnehmer:innen, und das staatliche Budget. Doch die Gelegenheit, die staatlichen Pensionen sturmreif zu schießen, ist zu günstig, um sie auszulassen. Deshalb wird auf Teufel komm raus skandalisiert.
Chronologie einer Kampagne
Oktober 2023
Die Vorhut reitet aus. Agenda Austria Chef Schellhorn und IHS-Chef Bonin fordern, dass wir bis 67 Jahre arbeiten müssen. Sie beginnen, den Diskurs zu verschieben. Das Ziel: Es soll als normal angesehen werden, dass man erst mit 67 Jahren in Pension gehen darf. Anschließend soll die Politik handeln. Wer sind die beiden? Franz Schellhorn ist Chef der „Denkfabrik für Millionäre“ Agenda Austria. In letzter Zeit sponsern besonders Banken die Gehälter seiner Denkfabrik, an der Zahl 7. Holger Bonin wiederum ist Chef des Instituts für Höhere Studien. Im Kuratorium, das ihm diese Spitzenposition gegeben hat, sitzen kaum Wissenschafter. Dafür umso mehr (ehemalige) Funktionäre der ÖVP. Ein ehemaliger EU-Kommissar, eine ehemalige Nationalratsabgeordnete. Daneben weisungsabhängige Beamte aus ÖVP-geführten Ministerien, ein ehemaliger Uni-Rektor (auf ÖVP-Ticket) und Aufsichtsratsvorsitzender der ERSTE Bank, eine Behördenleiterin (ÖVP-Ticket). Kein Wunder, dass ausschließlich stramm Wirtschaftsliberale ans IHS befördert werden. Beide Wirtschaftsforscher setzen fast immer eine unternehmerfreundliche Brille auf. So auch beim Pensionsantrittsalter oder wenn es darum geht, Lohn- und Pensionserhöhungen zu kritisieren. Denn jeden Euro, den die Arbeitnehmer mehr für ihre Arbeit erhalten, senkt den Gewinn der Unternehmen.
Wenige Tage später kommt wie jedes Jahr der Veteran unter den Kämpfern für Privatpensionen, der Mercer Index. Mercer ist eine Beratungsagentur, die „Lösungen für betriebliche Pensionen“ verkauft. In einer Rangliste vergleicht sie Pensionssysteme. „Zufällig“ wählt sie die Kriterien genau so aus, dass immer die gleichen Länder vorne im Ranking stehen. Und das sind die mit vielen Privatpensionen, die an internationalen Finanzmärkten angelegt werden – mit kräftigen Gewinnen für die Finanzindustrie. Ganz hinten liegen in der Liste jene Länder mit starken öffentlichen Pensionen – so wie Österreich.
September 2024
Einige Wochen vor der nächsten Mercer-Ausgabe schlagen die zwei Ritter der Bankenrunde zu. Ein Ex-Banker und Ex-ÖVP-Politiker, Andreas Treichl, sowie der ehemalige ÖVP-Finanzminister und heutige Versicherungschef Hartwig Löger beauftragten eine Studie bei ECO-Austria. Die baute – etwas anders, aber im Prinzip gleich – einen Mercer Index nach. Auch in dieser Bewertung der Pensionssysteme liegt Österreich – „Überraschung“ – schlecht. Mehr private Pensionen müssen her, lautete die Diagnose.
Zum Hintergrund: ECO Austria macht Auftragsstudien. Zumeist für Ministerien (meist mit ÖVP-Ministern), für die Wirtschaftskammer oder die Industriellenvereinigung. Von letzterer wurde das Institut auch gegründet. Beide sitzen zudem im gleichen Gebäude – dem „Haus der Industrie“ am Schwarzenbergplatz in Wien. Das Ergebnis der Studie ist wenig überraschend recht genehm.
Dezember 2024
Der ÖVP-nahe Verein „Aktion Generationengerechtigkeit“ meldet sich nach langer Abwesenheit zu Wort. Wenig innovativ, dafür umso effektiver beauftragt er – es ist leicht zu erraten – eine Studie. Thema: Pensionsreformen. Den wissenschaftlichen Steigbügelhalter durfte diesmal das WIFO spielen. Der langjährige Experte für Versicherungen und Banken am WIFO, Thomas Url, schreibt in der Studie über Pensionsreformen anderer Länder. Österreich müsse nachziehen.
Professionell organisiert wird dazu eine Podiumsdiskussion und ein Pressegespräch. Dort sitzen die üblichen ausgewählten Verdächtigen – ECO-Austria Chefin Monika Köppl-Turyna und Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn, denen ausreichende staatliche Pensionen schon lange ein Dorn im Auge sind. Doch WIFO-Chef Felbermayr ist das Tüpfelchen auf dem i. Er ist ein verdienter Wissenschafter. Den meisten Medien in Österreich gilt er als unabhängiger Wirtschaftsforscher, weil er ab und zu die Regierung kritisiert. In entscheidenden Fragen – Stichwort Bankensteuer – ist er aber auf Linie.
Seine Spitzenposition am WIFO verdankt er dem ÖVP-Politiker Harald Mahrer, der sich für ihn einsetzte. Der ist in einem seiner vielen Zweitjobs Präsident des WIFO, im eigentlichen Job jedoch Präsident der Wirtschaftskammer. Zu der gehören auch die einflussreichen Banken, darunter Raiffeisen.
Es wundert wenig, dass Felbermayr auch beim Thema Privatpensionen – ein Kerninteresse für Banken – firm auf der Seite der Banken und Versicherungen steht. Er tut mehr als das – er treibt die Debatte aktiv voran. Er ist ein Schlüsselspieler, denn er verleiht der Agenda damit die Glaubwürdigkeit, die sie sonst nur eingeschränkt hätte. Im Dezember forderte er nicht nur Arbeiten bis 67. Er forderte auch, dass die Pensionserhöhungen die vergangene Teuerung nicht mehr vollständig ausgleichen dürfen. Das kommt einer Entwertung der Kaufkraft der Pension gleich. Privatpensionen aber müssten gleichzeitig ausgebaut werden.
3. Jänner 2025
Die Gespräche für eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos scheitern. Einer der Knackpunkte, der für Blau-Schwarz den Weg ebnet: Man ist sich bei den Pensionen nicht einig. Die Neos geben noch Wochen später der SPÖ die Schuld, weil sie das Pensionsantrittsalter 67 nicht akzeptieren wollte. Die ÖVP dementsprechend offenbar also schon. Dabei hatten weder Neos noch ÖVP das im offiziellen Wahlprogramm stehen (die Neos es nur in Interviews gesagt) – die ÖVP hatte hingegen im Wahljahr sogar versprochen, die Pensionen nicht zu senken (der Agenda Austria gefiel das gar nicht).
Als eine der ersten Maßnahmen diskutieren dann auch ÖVP und FPÖ laut Medienberichten die Kürzung der Pensionen – eingeklatscht von Medien, die sich wiederum auch auf WIFO-Chef Felbermayr berufen. Schlussendlich ist so etwas aber (zumindest unter den ersten verkündeten Maßnahmen) dann doch nicht dabei. Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, bleibt abzuwarten. Für die Budgets der kommenden Jahre, denen Milliarden fehlen, wäre durch die langfristig wirkenden Pensionskürzungen schließlich wenig zu holen.
8. Jänner 2025
Das bekannte Studien-Spiel noch einmal. Wieder eine Lobbyorganisation, wieder eine Studie. Diesmal beauftragt der Fachverband der Pensionskassen. Ihr Obmann ist im „Nebenjob“ ÖVP-Nationalratsabgeordneter. Die überbetrieblichen Pensionskassen wollen ihr Geschäft ausbauen, alle in Österreich zu Betriebspensionen verpflichten. Kontoführungsgebühren und Provisionen inklusive. Das WIFO wiederum verdient an den Studien zum Thema. Der langjährige Pensionsexperte Thomas Url schreibt Studie um Studie, Felbermayr verkauft diese dann im teuren Café Landtmann – wo eine Melange 6,90 Euro kostet. Für viele Normalbürger unerschwinglich.
Man sinniert bei der Pressekonferenz darüber, ob nicht ein Lohnverzicht der Arbeitnehmer die Betriebspensionen bezahlen könnte. Dass den gesetzlichen Sozialversicherungen damit knapp eine Milliarde Euro an Geld fehlen würde, fällt weiter nicht auf. Weder den anwesenden Journalisten, die das Gesagte unhinterfragt übernehmen, noch den Vortragenden. Auch so kann man die gesetzliche Pensionsversicherung finanziell unter Druck setzen.
Trotz kommenden Sparpaketen solle Steuergeld für die „Förderung“ der Betriebspensionen fließen, weitere 320 Millionen Euro, möchte der Pensionskassen-Chef. Der Wifo-Chef stimmt zu, und die Studie rechnet das brav durch. Doch jeder der Euros wäre im staatlichen Pensionssystem besser aufgehoben, und wird dort auch gebraucht.