Terroranschlag in Wien: Was wir uns merken sollten
In der Wiener Innenstadt gab es am 2. November einen Terroranschlag. Ein Kommentar zum Anschlag in Wien.
Es ist die erste Dienstagfrüh im November. Der Tag, an dem der zweite Lockdown beginnt. Der Tag, an dem die USA den Präsidenten, Senat und Abgeordnetenhaus wählen. Die Titelseiten wären heute einfach zu schreiben gewesen. Aber nichts davon dominiert sie. Es gab vor etwas über 12 Stunden einen, wie wir nun wissen, islamistischen Terroranschlag in Wien.
Die Nacht war kurz. Die Klingeltöne wegen der besorgten Nachfragen von Verwandten und FreundInnen am Handy verstummen gerade erst. Draußen tönen immer wieder noch Sirenen wegen dem, was drei U-Bahnstationen weiter passiert ist. ÄrztInnen und PflegerInnen kämpfen immer noch gegen eine Pandemie, und nun auch noch um Leben und Gesundheit unserer Verletzten. Sie haben zum derzeitigen Stand vier dieser Kämpfe verloren. Die ganze Stadt hofft, dass es nicht mehr werden müssen. Sie werden das verarbeiten müssen und trotzdem weitermachen. Für die Angehörigen wird das noch viel schwieriger.
Gerade hat mir jemand ein Paket geliefert, das ich vor wenigen Tagen bestellt habe. Nichts Lebenswichtiges, was mir umso mehr ein schlechtes Gewissen macht. Im ersten Bezirk hat die Polizei ihn bei einer Lieferung weggeschickt. Aber probiert hat er es. „Wir dürfen nicht daran denken“, sagt er tapfer hinter seiner Maske. Ich nicke. Aber natürlich tun wir es wohl beide. Auch LehrerInnen warten heute trotz allem in Schulen, ob unsere Kinder betreut werden müssen. Deren Eltern gehen raus, um unsere Supermärkte offen zu halten, unseren Strom weiter fließen und unsere Öffis fahren zu lassen oder als PolizistInnen und SoldatInnen sicherzustellen, dass da nicht noch ein feiger Angriff folgt. Jeder einzelne Mensch, der heute etwas tut, ist mutig. Jeder einzelne Mensch, der das gerade nicht kann, ist einer von uns.
Unsere Regierenden auf allen Ebenen verhalten sich bisher verantwortungsbewusst und suchen nach den richtigen Worten und Handlungen. Die Einigkeit des Moments wird nicht anhalten. Das ist klar. Aber sie ist gerade tröstlich.
Viele Heldinnen und Helden
Zehn Minuten sind, soweit wir wissen, zwischen dem ersten Notruf und dem Tod des bekannten Täters vergangen. Danach begann die viel längere Ungewissheit, die noch immer anhält. Ganz normale Menschen haben noch als die Kugeln geflogen sind, ihr Leben riskiert und andere damit gerettet. Hotelangestellte und WirtInnen und Menschen, die einfach nur eine freie Couch hatten, haben danach die ganze Nacht in unsicherer Situation Leute zu sich hereingelassen, die sie nicht kannten, die aber nirgends sonst hin konnten. JournalistInnen standen in ihrer und unserer Innenstadt, um eine chaotische Situation aufzuklären, ohne zu wissen, was hinter der nächsten Ecke lauert.
Die schwache Tat werden wir in den nächsten Tagen und Wochen aufklären. Wir werden lernen, was daraus zu lernen ist. Wir werden versuchen, eine weitere zu verhindern, so gut das geht. Die Tat wird auch etwas versuchen: sich in unser alltägliches Denken zu schleichen. Das war die Absicht dahinter.
Viele kleine und große Heldentaten sind schon geschehen – in einer Situation, von der wir wussten, dass sie passieren kann, aber sie uns trotzdem nicht richtig vorstellen konnten. Viele weitere geschehen immer noch. Wir können versuchen, keinen Akt von Mut oder Güte zu übersehen, sie uns alle bewusst zu machen und uns zu merken. Wir können zusammenrücken.
Den Namen des Täters oder die Namen der Täter werden wir vermutlich notgedrungen irgendwo aufschnappen – und dann vergessen.