Was ist Pronatalismus?
Was ist Pronatalismus?
Pronatalismus bedeutet grundsätzlich, dass man “für Geburten” ist. Wer die Ideologie verfolgt, spricht sich für kinderreiche Familien aus und will, dass die Politik die Geburtenrate fördert.
Das mag auf den ersten Blick nicht so schlimm wirken. Kinderreiche Familien zu gründen, ist natürlich nicht verwerflich. Und schließlich gibt es einige Länder, die mit sinkenden Geburtenraten zu kämpfen haben. Anreize dafür, mehr Kinder zu kriegen, ergeben da durchaus Sinn.
Doch pronatalistische Bewegungen und Regierungen sehen Kinderkriegen nicht als Möglichkeit, die allen Personen freisteht. Sondern als Pflicht von allen Menschen – besonders Frauen.
Kinderlosigkeit ist für sie eine große gesellschaftliche Bedrohung. Elon Musk schreibt etwa, dass niedrige Geburtenraten ein viel größeres Problem für die Menschheit sei, als die Klimakrise.
Das ist ganz einfach falsch und Expert:innen widersprechen ihm. Den “Kollaps”, von dem Musk schreibt, wird es nicht geben. Sondern einen langsamen Rückgang der Weltbevölkerung, der über Jahrhunderte stattfindet. In der Zwischenzeit könnte die Klimakrise dafür sorgen, dass viele Gegenden der Erde für den Menschen nicht mehr bewohnbar sind.
Wer niedrige Geburtenraten als größtes Problem der Menschheit sieht, setzt aber nicht nur auf Anreize. Sondern auch auf Strafen und Repression, um dagegen anzukämpfen – wie es in Ländern wie Russland und Ungarn etwa schon passiert.
Warum schadet Pronatalismus Frauenrechten?
Ob sie überhaupt Kinder kriegen wollten oder nicht, konnten Frauen lange Zeit nicht selbst entscheiden. Einerseits brauchte man Kinder immer auch zur finanziellen Altersabsicherung. Andererseits wurde von Frauen erwartet, Kinder in die Welt zu setzen. Gesellschaftlichen Druck dazu gibt es zwar immer noch. Aber Frauen haben in vielen Ländern zumindest die Möglichkeit, kinderlos zu bleiben, ohne geächtet oder bestraft zu werden.
Diese Freiheit und Normalität wurde lange und hart erkämpft. Pronatalismus will das im Extremfall rückgängig machen. Denn: Wenn Kinderkriegen als eine Pflicht an der Gesellschaft verstanden wird, wird Kinderlosigkeit im besten Fall als Egoismus ausgelegt – im schlimmsten als Verbrechen. In Russland wurde etwa ein Gesetz beschlossen, das die “Werbung” für Kinderlosigkeit unter Strafe stellt. Sogar über ein Kondomverbot wird nachgedacht.
Zwar können sich Frauen theoretisch immer noch gegen Kinder entscheiden. Doch die Entscheidung wird ihnen immer schwerer gemacht. Der gesellschaftliche Rahmen und Verbote schränken sie immer weiter ein – bis die Entscheidung nicht mehr freiwillig fällt.
Pronatalismus hat viele Schnittpunkte mit der extremen Rechten: “Unsere” Frauen bekommen zu wenig Kinder, das ist eine Bedrohung für “unser” Volk. Die Schuld daran wird auch dem Feminismus zugeschrieben. So behauptete etwa der Terrorist von Christchurch, dass Feminismus zu niedrigen Geburtenraten führe. Er reiht sich damit in eine Reihe rechtsextremer Terroristen ein. Genau dasselbe hat auch der aktuelle südkoreanische Präsident in seinem Wahlkampf behauptet. Gesellschaftliche und finanzielle Gründe werden dabei komplett ignoriert. Südkoreanische Frauen müssen täglich gegen sehr viele Missstände ankämpfen. Kein Wunder, dass viele von ihnen Kindern und Männern abgeschworen haben.
Warum ist Pronatalismus im Silicon Valley so beliebt?
Die Tech-Szene ist fasziniert von Pronatalismus. Nicht nur theoretisch: Elon Musk hat etwa zwölf Kinder mit drei Frauen und finanziert eine Forschungsgruppe, die für höherer Geburtenraten in den USA sorgen soll. Jaan Tallinn, Mitbegründer von Skype, hat fünf Kinder – und mehr als eine halbe Million Dollar an eine pronatalistische Stiftung gespendet. Und sie investieren immer häufiger in Unternehmen im Fruchtbarkeitssektor. Dabei geht es aber weniger darum, dass mehr Menschen Kinder bekommen können – sondern dass mehr Menschen “bessere” Kinder bekommen können. So verspricht ein Unternehmen zukünftigen Eltern etwa, den “perfekten” Embryo für sie auszuwählen.
Als Grund nennen sie immer wieder die Sorge um den “Fortbestand” der westlichen Zivilisation, als deren herausragendste Vertreter sie sich selbst sehen. Im Pronatalismus des Silicon Valley steckt ein Gefühl von Überlegenheit. Seine Anhänger:innen sehen sich als Krone der Schöpfung. Ihre Gene sind es wert, erhalten zu werden – nicht die der anderen.
Bestes Beispiel dafür sind Simone und Malcolm Collins, die Gesichter der Pronatalismus-Bewegung. Sie haben ihr Leben danach ausgerichtet, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen und sie dabei nach “objektiven” Kriterien “ideal” zu erziehen. Dazu gehören auch schonmal Schläge – schließlich würden das Tiger ja auch mit ihren Kindern machen, so ihr Argument. Ihr erklärtes Ziel: Mit ihren Nachfahren solle die künftige “Führungsschicht der Welt” heranwachsen.
Ist Pronatalismus rassistisch?
In vielen Fällen spielt Rassismus eine Rolle. So will etwa Viktor Orbán für höhere Geburtenraten in Ungarn sorgen – aber nur unter Ungar:innen. Das sei die ungarische Antwort auf Migration, schließlich wolle man keine “gemischte” Gesellschaft. Zu diesem Zweck wurden Prämien beschlossen, bisher ohne Erfolg. Gleichzeitig verschärft Ungarn den Zugang zu Abtreibungen immer mehr. Der Kampf gegen eine offene Gesellschaft geht Hand in Hand mit dem Kampf gegen Frauenrechte.
Grundsätzlich ist Migration eine – zumindest vorübergehende – Lösung gegen sinkende Geburtenzahlen. Das ist den meisten Anhänger:innen des Pronatalismus aber ein Dorn im Auge. Sie wollen keine wachsende Bevölkerung. Sondern, dass sich die “richtigen” Menschen vermehren.
Wird die Weltbevölkerung weniger?
Noch ist die Zahl der Menschen am Steigen. Vorhersagen sind sich aber einig, dass wir das Bevölkerungsmaximum bald erreicht haben. Die Frage ist nur, wann. Die Prognosen der UNO gehen von den 2080er-Jahren aus.
Vor allem wohlhabende Industrienationen kämpfen bereits jetzt mit niedrigen Geburtenzahlen. Für eine stabile Bevölkerungszahl müsste die bei 2,1 Kindern pro Frau liegen. In Südkorea liegt sie bei nur 0,72, in den USA bei 1,6. In Österreich bekommt jede Frau im Schnitt 1,32 Kinder.
Warum sinken die Geburtenraten?
Für sinkende Geburtenraten gibt es viele Gründe. Grundsätzlich hängen sie mit mehr Wohlstand und besserer Gesundheitsversorgung zusammen: Wer Kinder für die eigene finanzielle Absicherung braucht und mehr Angst haben muss, dass sie nicht überleben, bekommt mehr.
Ein wichtiger Grund sind auch soziale Normen. Sinkt der soziale Druck, Kinder zu kriegen, können sich mehr dagegen entscheiden. Ist es für Frauen normaler, einen Beruf zu ergreifen oder selbst Karriere zu machen, haben sie einerseits einfach weniger Zeit für Kinder. Andererseits sind sie ökonomisch unabhängiger. Auch der bessere Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibung trägt einen Teil dazu bei.
Es gibt aber auch negative Gründe: Viele Menschen wollen wegen der vielen Krisen wie der Erderhitzung keine Kinder mehr bekommen – oder können es ganz einfach nicht.
Warum soll es schlecht sein, für höhere Geburtenraten zu sein?
Womit sie grundsätzlich recht haben: Die Geburtenraten sinken weltweit. Überaltete Gesellschaften können irgendwann zu einem politischen Problem werden. Deswegen ist es an sich nicht negativ, wenn man Lösungen dafür finden will.
Bei den meisten pronatalistischen Bewegungen werden die Lösungen aber mit Einschränkungen und dem Rückbau von Frauenrechten verbunden. Sinkende Bevölkerungszahlen sind hier oft nur ein Vorwand, um andere Ideologien unterzubringen.
Dass Menschen immer weniger Kinder haben wollen, hat viele Gründe. Sie werden nicht gelöst, indem man Menschen einschränkt und zu einer Lebensentscheidung zwingt, die sie nicht wollen.