Was nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP auf Österreich zukommt

#1 Neuer Anlauf für die anderen Parteien?
Gibt es doch noch ein Versuch zwischen der ÖVP und SPÖ sollten die Verhandlungen scheitern? Das wäre eine mögliche Option, möchte man Neuwahlen doch noch verhindern. Beim ersten Anlauf war diese Variante nicht von Erfolg gekrönt. Besser wurde das Verhältnis durch den Rückzug eher nicht. Aber aus der SPÖ gab es zuletzt viele neue Gesprächsangebote.
Sollte es wirklich dazu kommen, würde aber auch eine “Große Koalition” auf wackeligen Beinen stehen. Im Nationalrat hat man nur ein Mandat mehr, als für eine Mehrheit nötig.
Stabile Verhältnisse wären das natürlich nicht. Denn fehlt etwa ein:e Parlamentarier:in, wird es schon gefährlich bei Abstimmungen. Abhilfe könnten da die NEOS oder auch die Grünen schaffen, indem sie bei einzelnen Vorhaben ihre Zustimmung anbieten. Um einen “Volkskanzler” Kickl zu vermeiden, wären dazu wohl beide Parteien bis zu einem gewissen Punkt bereit.
#2 Eine neue Expertenregierung
Auch eine Rückkehr der “Expert:innen” könnte im Falle des Scheiterns eine Option sein. Eine Expertenregierung bezieht ihr Personal zwar nicht aus den Spitzen der Parteien, setzt aber auf den Rückhalt einer Mehrheit im Nationalrat. Darauf griff Bundespräsident Alexander van der Bellen bereits nach dem Platzen von Türkis-Blau im Jahr 2019 zurück.
Damals gelobte er die mittlerweile verstorbene Höchstrichterin Brigitte Bierlein als erste Bundeskanzlerin der Zweiten Republik an, die das Expertenkabinett anführte.
In der Realität wäre das aber vermutlich auch nur eine Übergangslösung. Für eine stabile Regierung braucht auch eine Expertenregierung den Rückhalt des Nationalrats. Verliert sie den Rückhalt der Mehrheit mit kontroversen Entscheidungen, wäre sie mit einem Misstrauensvotum auch gleich wieder abgewählt.
Dass eine Expertenregierung etwa das große Budgetloch sanieren kann, wenn sie sich wie 2019 mehr auf das Verwalten als auf Reformen konzentriert, ist unwahrscheinlich. Dafür braucht es bei den Einnahmen oder Ausgaben des Staates große Entscheidungen.
#3 Minderheitsregierung
Für Bundespräsident Alexander van der Bellen wäre eine Minderheitsregierung wohl nicht die bevorzugte Wahl. Er hat bereits angedeutet, dass eine “verlässliche Mehrheit” für eine Regierung unabdingbar sei. Das ist eine Minderheitsregierung der Definition nach nicht. Denn sie besteht aus einer oder mehreren Parteien, die weniger als die Hälfte der Nationalratsmandate besitzt.
Was das für die Minderheitsregierung bedeutet? Ein Abhängigkeitsverhältnis zur Opposition, die das zumindest in Teilen duldet. Wie das langfristig funktionieren soll, kann niemand erklären. Die Zustimmung müsste sich eine mögliche Minderheitsregierung also vermutlich mit Zugeständnissen teuer erkaufen. Andernfalls könnte ein Misstrauensantrag das Projekt Minderheitsregierung relativ schnell wieder beenden.
Eine mögliche Variante, wie eine Minderheitsregierung aussehen könnte, wäre zum Beispiel die Konstellation ÖVP und Neos, mit Duldung durch die SPÖ. Zwar haben auch die Grünen angedeutet, dass sie eine Regierung ohne FPÖ-Beteiligung unterstützen, rein rechnerisch ist das aber nicht besonders ausschlaggebend.
#4 Letzter Ausweg: Neuwahlen
Bleiben noch die Neuwahlen. Unter allen Varianten ist das vermutlich die Wahrscheinlichste. Dafür müssten sich die Parteien im Nationalrat auf einen mehrheitlichen Beschluss einigen. Ein Wahltermin wäre unter Berücksichtigung aller parlamentarischer Prozedere und gesetzlicher Wahlfristen frühestens Ende Mai möglich.
Die Frage, ob man nach Neuwahlen vor einer wesentlich einfacheren Situation für eine Regierungsbildung steht. In aktuellen Umfragen gewinnt eher die FPÖ und verliert vor allem die ÖVP. Wenn weiterhin niemand mit der Partei von Herbert Kickl koalieren will oder kann, wären Alternativen dadurch nur schwieriger geworden.