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Gesundheit

Wie ein psychisch kranker Mann mit einer Selbsthilfegruppe allen helfen will

ShyPlus
Ein psychisch kranker Mann mit Sozialphobie gründet eine Online-Plattform, die als digitale Selbsthilfegruppe kostenlos und niederschwellig Betroffene vernetzt. Gerade in der Corona-Krise kommt sie wie gerufen.
 

Richard hat schon früh bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Der IT-Profi fühlte sich schon als Teenager unter Menschen unwohl. “Es hat aber lange gedauert, bis ich erkannt habe, dass es mehr als nur Schüchternheit ist, nämlich eine psychische Krankheit,” erzählt Richard. Eine Sozialphobie ist eine Angststörung, bei der sich die Betroffenen Sorgen machen, peinliche oder beschämende Momente in der Öffentlichkeit zu erleben. 

Richard fühlt sich zum Beispiel in öffentlichen Transportmitteln unwohl, hat ein körperliches Unbehagen, wenn er unter Leuten ist – im schlimmsten Fall sogar Panikattacken. Ständig denkt er darüber nach, ob er alles richtig macht und was andere über ihn denken – und malt sich die schlimmsten Situationen aus, in denen er sich vor anderen lächerlich macht.

Sozialphobie macht Kontakt mit Selbsthilfegruppe schwer

Gerade Menschen wie Richard fällt es umso schwerer, Hilfe zu suchen oder gar in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. Lange suchte er im Internet nach Hilfe. “Es gibt viele Seiten, auf denen psychische Krankheiten beschrieben sind, dann gibt es wieder Foren, in denen sich Betroffene austauschen. Überall gibt es ein bisschen von etwas. Aber ich wollte endlich etwas haben, das alles vereint,” erzählt Richard. Und damit war die Idee der Plattform ShyPlus geboren, die er 2017 verwirklichte.

 
Logo der Plattform ShyPlus

Die Plattform ShyPlus bietet kostenlos und anonym psychisch Kranken Austausch in einer digitalen Selbsthilfegruppe.

ShyPlus

Digitale Selbsthilfegruppe bietet kostenlose und anonyme Vernetzung

Im Gegensatz zu sozialen Medien wie Facebook können sich bei Richards Plattform Menschen anonym registrieren. Und längst tauschen sich nicht nur Menschen mit Sozialphobie aus – in Foren und Chaträumen wird auch über Depression, Ängste und andere Themen gesprochen. Die Betroffenen können eigene Gruppen gründen und so leichter Personen finden, die gerade Ähnliches durchmachen – zum Beispiel mit ihrer Sozialphobie am Arbeitsplatz große Probleme haben.

 

Die digitale Selbsthilfegruppe verhalf zu Treffen in Lokal

Richard kam mit vielen Menschen in Kontakt, die dasselbe durchmachen wie er. Der Austausch tat so gut, dass die Selbsthilfegruppe sich sogar begann, in einem Lokal zu treffen. “Es half, unter Menschen zu sein, von denen du weißt, dass sie dasselbe empfinden wie du, dass dich niemand verurteilt, weil du wenig sprichst oder dich sichtlich unwohl fühlst,” erklärt Richard. 

Eines Tages endete das Gruppentreffen sogar in einer Karaoke-Bar. “Das klingt fast absurd – Sozialphobiker, die gemeinsam in der Öffentlichkeit singen. Aber es zeigt, wie gut und wichtig diese Vernetzung für uns war. Ein Gruppenmitglied ist sogar immer extra von Linz gekommen,” so der IT-Profi. 

 

Plattform soll ausgebaut werden und wachsen

Richards erhält bereits breite Unterstützung. Etwa von seiner Freundin Ulli. Sie hat im familiären Umfeld mit einer Person zu tun, die unter einer Sozialphobie leidet. Aus dieser Thematik entstanden ihre Beweggründe, Richard zu unterstützen. Sie kümmert sich nun um die Öffentlichkeitsarbeit.

Auch der Verein Lichterkette, der die Stigmatisierung von psychisch Kranken bekämpfen will, unterstützt ShyPlus. “Für Menschen mit psychischer Erkrankung sind gewisse Zeiten sehr belastend. Weihnachten ist besonders schwierig. Dem wollen wir entgegenwirken. Lichterkette hat sich die Lückenschließung zwischen völliger Isolation und erster Inanspruchnahme von Hilfe auswärts, durch niederschwellige Onlineangebote, zur Hauptaufgabe gemacht,” erklärt Brigitte Heller, Vorstand des Vereins Lichterkette.

Richard hofft, dass er auch eine Förderung bekommt und die Plattform langsam ausbauen und professionalisieren kann – und eines Tages vielleicht sogar TherapeutInnen oder PsychologInnen Foren und Gruppen moderieren.

 

Psychische Krankheiten nehmen in Corona-Krise zu

Richard erlebt die Corona-Krise durchaus angenehm, da er nun zu Hause arbeiten kann und gar nicht erst Menschen treffen muss. “Das ist natürlich für Menschen mit einer Sozialphobie direkt eine Erleichterung. Aber in Wahrheit sind alle Fortschritte, die ich und andere gemacht haben, wieder dahin”, so Richard.

Ihm ist durchaus klar, dass die Corona-Krise viele Menschen belastet. Vor allem jene mit psychischen Krankheiten – und viele entwickeln nun erst eine. ShyPlus bietet psychisch kranken Menschen vor allem in Zeiten eines Lockdowns und der sozialen Isolation eine hervorragende Möglichkeit, niederschwellige Hilfe zu suchen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. 

Richard rät Betroffenen, sich einfach einmal zu registrieren und reinzuschauen: “Für mich war der Aufbau der Plattform bereits eine Art Selbsttherapie. Und nun hoffe ich, dass ich damit vielen Menschen helfen kann, die ebenso psychische Probleme haben.”

 

Leidest du unter Depressionen oder hast Suizidgedanken? Bitte wende dich an die Telefonseelsorge, kostenlos stehen dir Experten rund um die Uhr unter 142 zur Verfügung. Es gibt auch Beratungen über Chat und Mail.

Auch die Experten des Kriseninterventionsteams stehen für eine Beratung von Montag bis Freitag unter +43 1/ 406 95 95 zur Verfügung. Auch hier ist eine anonyme E-Mail Beratung möglich.

Die psychologischen Helpline des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen ist Montag bis Sonntag, 10 bis 20 Uhr unter +43 1 /504 8000 erreichbar.
 

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