Anpassung an die Klimakrise? IPCC-Klimabericht-Autorin Bednar-Friedl: "Verfehlen wir das, wird es sehr, sehr negativ"
MOMENT: Vergangene Woche wurde der neue Weltklimabericht veröffentlicht. Er ist 3600 Seiten lang. Was sind die wichtigsten Aussagen?
Birgit Bednar-Friedl: Die Folgen des Klimawandels sind sehr deutlich sichtbar. Deutlicher, als sie vor sieben Jahren im letzten Bericht sichtbar waren. Die damit verbundenen Risiken werden in Zukunft früher und stärker kommen. Gleichzeitig wissen wir, dass es ein kurzes Zeitfenster gibt, in dem wir etwas tun können. Aber wenn wir es verfehlen, wird es sehr, sehr negativ.
MOMENT: Sie haben als Leitautorin das Kapitel zu Europa koordiniert. Was bedeutet das?
Bednar-Friedl: Ich musste sicherstellen, dass in diesem Kapitel alle Leitautoren gemeinsam die Literatur zu Europa einordnen. Der Weltklimarat betreibt keine eigene Forschung. Er wertet die Ergebnisse von unzähligen anderen Studien aus und kommt zu einer Gesamteinschätzung. Für unser Kapitel haben wir mehrere tausend Quellen gesichtet. Wir haben uns auch mit den Kapiteln zu Städten, Gesundheit oder zum Umgang mit den Risiken koordiniert, um daraus das regionale Europa-Kapitel zu verfassen.
MOMENT: Wie stark sind wir in Europa der Klimakrise ausgesetzt? Was sind die Hauptrisiken?
Bednar-Friedl: Wir stehen bereits heute bei 1,1 °C globaler Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Folgen des Klimawandels sind in Europa deutlich sichtbar. Das betrifft einerseits die Landwirtschaft. Dort kommt es zu Ernteeinbußen. Es betrifft aber auch die Wasser- und Energieversorgung. Es gibt deutliche Schäden an der Infrastruktur. Etwa durch Überflutungen. Diese Risiken werden sich noch verstärken.
Wir haben vier Hauptrisiken für Europa identifiziert: Erstens die Hitze, die die menschliche Gesundheit und Ökosysteme beeinträchtigt. Zweitens Verringerung der landwirtschaftlichen Erträge durch die Kombination aus Hitze und Dürre. Drittens Überflutungen, sowohl entlang von Küsten als auch nach Starkregenfällen und entlang von Flussläufen. Das vierte Risiko ist die Wasserknappheit. Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch für Haushalte und in der Produktion.
Besonders betroffen ist der Mittelmeer-Raum. Aber die Risiken breiten sich mit höherer Erwärmung auch nach Mitteleuropa aus. Österreich liegt mittendrin.
MOMENT: Österreich hat sich bereits um mehr als 2 °C erwärmt. Wie sieht es mit den Risiken hierzulande aus?
Bednar-Friedl: Österreich verzeichnet zunehmend Schäden durch Extremwetterereignisse. Wir erinnern uns an Trockenheit und Waldbrände im Waldviertel, wir erinnern uns an Überschwemmungen wie in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr. Solche Ereignisse werden häufiger und stärker und sie treten an Orten auf, an denen sie bisher nicht zu sehen waren.
MOMENT: Ein großer Risikofaktor ist die zunehmende Hitze. Das Problem drängt mehr, als es den meisten Menschen bewusst ist. 2018 gab es in Österreich mehr Hitze-Tote als Todesopfer im Straßenverkehr. Was kommt hier auf uns zu?
Bednar-Friedl: In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird sich die Zahl der von Hitzestress betroffenen Personen in ganz Europa um das Zwei- bis Dreifache erhöhen, sollte die globale Erwärmung auf 3 °C ansteigen. Wir kennen das jetzt schon punktuell auch in Mitteleuropa.
Das Hitze-Risiko wirkt sich auf unser Wohlbefinden aus. Unsere Arbeitsproduktivität wird sinken. Vor allem dort, wo im Freien gearbeitet wird. Wir werden auch in der Nacht nicht mehr so gut schlafen, wenn es so heiß ist.
MOMENT: Wie sehr betrifft das Städte wie Wien, Graz oder Innsbruck?
Bednar-Friedl: Städte sind von mehreren Klimarisiken gleichzeitig betroffen. Einerseits die Hitze, aber andererseits Überflutungen durch Starkregen und zunehmender Wassermangel. Wir sehen zusätzlich den Trend, dass immer mehr Menschen in Städten leben. Somit werden immer mehr Menschen betroffen sein.
Das klingt jetzt so, als wären Städte besonders negativ betroffen. Aber gerade in Europa wird viel getan, um damit umzugehen. Es gibt umfassende Pläne, wie man mit der Hitze umgeht. Maßnahmen zum Ausbau der Grünflächen etwa. So verbessert sich das gefühlte Klima in den Städten.
MOMENT: Was können Städte sonst noch machen und was wird bereits getan?
Bednar-Friedl: Einige Städte haben noch Nachholbedarf. Wichtig ist gerade bei wachsenden Städten, dass die Grünflächen in einem guten Zustand erhalten bleiben. Wir brauchen hier Baumarten und Bepflanzungen, die trocken- und hitzeresistent sind. Man kann auch die Gebäudefassaden begrünen und mit Beschattung arbeiten. Und Jalousien verbessern das Raumklima.
Orte wie Spielplätze können für mehrere Zwecke genützt werden. Im Fall von Überflutungen sind sie gleichzeitig Rückhaltebecken, in die das Wasser abfließen kann. Wichtig sind auch Frühwarnsysteme, die an ein Beobachtungssystem gekoppelt sind. So können sich die Menschen besser vorbereiten, indem sie beispielsweise Sandsäcke oder genügend Wasser vorrätig halten.
MOMENT: Welche internationalen Vorbilder gibt es bereits?
Bednar-Friedl: Auch in Österreich funktioniert gerade bei Hitze und Überflutungen vieles sehr gut. Das muss aber auf andere Bereiche ausgedehnt werden. Etwa hinsichtlich der Wasserverknappung. Da muss rechtzeitig vor sinkenden Reserven gewarnt werden. Außerdem braucht es konkrete Pläne, welche Nutzungsgruppen zuerst bedient werden und wer gegebenenfalls nicht mehr Wasser nutzen darf. In vielen Ländern dürfen bei Hitze beispielsweise Schwimmbecken nicht mehr gefüllt werden.
MOMENT: Wir steuern derzeit auf eine Erderhitzung von 3 °C zu. Bei diesem Temperaturanstieg ist in Mitteleuropa von einem “moderaten bis hohem” Risiko auszugehen, dass die Trinkwasserversorgung nicht mehr ausreicht. Beliebte Badeorte am Mittelmeer sind sogar “sehr hohem Risiko” ausgesetzt. Was steckt hinter Begriffen wie “moderates” oder “sehr hohes” Risiko?
Bednar-Friedl: Die Risikostufen des Weltklimarats reflektieren, wie häufig ein Ereignis auftritt und wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der davon betroffen ist. Ein “moderates” Risiko ist regional eingegrenzt und noch bewältigbar. Bei einem “hohen” Risiko ist bereits ein Großteil der Bevölkerung massiv betroffen.
MOMENT: Können wir angesichts der Wasserverknappung überhaupt noch guten Gewissens am Mittelmeer Urlaub machen?
Bednar-Friedl: Wir müssen viele unserer Handlungen hinterfragen. Bei einer höheren Erwärmung werden Maßnahmen wie Bewässerung, die heute noch gut wirken, an ihre Grenzen stoßen. Nur eine intakte Natur sichert langfristig unsere Lebensgrundlage.
MOMENT: Wie wirkt sich die Wasserverknappung und Trockenheit auf die Versorgung mit Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais und Reis aus?
Bednar-Friedl: Die Lebensmittelversorgung ist eine globale Frage. Das zeigen Nahrungsmittel-Krisen der letzten zehn bis zwanzig Jahre. 2003 kam es zu einem massiven Ausfall der Getreideernte in Russland und der Ukraine aufgrund von Hitze und Dürre. Das hat dazu geführt, dass die Nahrungsmittelpreise weltweit stark angestiegen sind. Die Folge waren Exportbeschränkungen, damit die lokale Bevölkerung versorgt werden konnte. Das verstärkt aber Krisen in anderen Ländern noch mehr.
In Europa geht man davon aus, dass vor allem die Maisernte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stark betroffen sein wird. Aber in anderen Hauptproduktionsgebieten, etwa für den Reis in Südostasien, sind die Effekte sehr viel massiver. Das werden wir natürlich in Europa spüren, obwohl wir viel besser als Entwicklungsländer abgesichert sind.
MOMENT: Einige Grafiken des Weltklimaberichts zeigen, dass in Nordeuropa der Ertrag in der Landwirtschaft sogar steigen könnte. Sind das gute Nachrichten?
Bednar-Friedl: Es gibt für jede Pflanze so etwas wie eine ideale Temperatur. Es stimmt, dass in Nordeuropa manche Pflanzen besser wachsen werden, weil die Vegetationsperioden bei einer moderaten globalen Erwärmung bis 1,5 °C länger werden. Wir stehen aber heute schon bei 1,1 °C. Es ist also ein wahnsinnig schmaler Grat für diesen positiven Effekt. Jenseits von 2 °C ist der Effekt für Europa jedenfalls negativ. Global sowieso.
Sicherlich gibt es manche “Gewinner”, gleichzeitig aber ganz viele Verlierer und bei höherer Erwärmung wird es fast nur noch Verlierer geben. Die positiven Effekte des Klimawandels sind ein sehr temporärer Effekt und kein Argument, die Emissionen nicht drastisch zu reduzieren.
MOMENT: Europa muss sich also auf dramatische Auswirkungen einstellen. Viel schlimmer trifft es aber Länder im globalen Süden. Was sollten und müssten wir in Europa tun, um diese Klima-Ungerechtigkeit auszugleichen? Lässt sie sich überhaupt ausgleichen?
Bednar-Friedl: Der Bereich der internationalen Zusammenarbeit im Klimaschutz und in der Anpassung wurde schon auf vielen Klimaverhandlungen diskutiert. Leider sind die Industriestaaten der Verpflichtung, 100 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 für Entwicklungsländer bereitzustellen, schuldig geblieben. Die Hilfe, die geflossen ist, war deutlich zu wenig.
Der aktuelle Bericht zeigt auch, dass die Risiken des Klimawandels an ganz vielen Orten der Welt gleichzeitig entstehen, und dass sie sich fortpflanzen. Wenn es zu Überflutungen kommt wie die Thailand-Flut 2011, hat das Auswirkungen auf die Automobil- und Computerindustrie Europa und die USA, weil wir aus diesen Ländern Güter wie etwa Halbleiter importieren. Dasselbe gilt für Lebensmittel.
Insofern ist es ein Stück weit Hilfe zur Selbsthilfe, wenn wir diese Länder dabei unterstützen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Für manche Länder wird aber selbst das zu wenig sein. Die tief liegenden Inselstaaten sind bereits bei 1,5 °C massiv bedroht. In manchen Gegenden wird es noch möglich sein, dass es zu Absiedelungen in höher gelegene Gebiete auf diesen Inseln kommt. Aber es werden auch Verluste auftreten, die nicht mehr gutgemacht werden können und unumkehrbar sind. Deshalb müssen die Industriestaaten ihren Beitrag leisten.
Zusammengefasst: Wir müssen global koordiniert agieren. Sonst werden die Risiken nur verschoben und nicht reduziert.
Zur Person: Birgit Bednar-Friedl ist Umweltökonomin am Wegener Center und am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Graz. Sie koordiniert die Arbeit des Klimarats und war eine der koordinierenden Leitautor:innen des IPCC-Berichts über Risiken, Vulnerabilität und Anpassung an die Klimakrise.