Budgetdefizit: Die Wahrheit über Österreichs Schulden
Finanzminister Magnus Brunner und „sein“ Budgetdefizit
Vor einem Jahr – da war die Welt noch in Ordnung. Also für uns nicht. Corona, Krieg, krachende Preise und Mieten, das war damals natürlich schon da. Aber für Magnus Brunner war die Welt da in Ordnung. Damals. Vor einem Jahr hat der Finanzminister Magnus Brunner sein Budget präsentiert, ganz optimistisch war er da noch.
Und er hat uns erzählt: Wir müssen uns keine Sorgen machen, es ist ja genug Geld da. Jedenfalls würde Österreich – erstmals! – die Vorgabe der EU einhalten, die da sagt: dass wir uns nicht mit mehr als 3 Prozent der Wirtschaftsleistung neu verschulden dürfen.
Das Problem von Magnus Brunner: Er war vor einem Jahr schon recht alleine mit seiner “Einschätzung”. Der Chef des Fiskalrats, Christoph Badelt, hat schon vor MONATEN – im April! – gesagt: Ui, das wird sich so nicht ausgehen. Brunner hat da natürlich auch sofort reagiert: „Wir müssen das genau beobachten und wir nehmen die Analyse von Professor Badelt sehr sehr ernst.“
Die genaue Beobachtung war jedenfalls keine teilnehmende Beobachtung. Denn außer Zuschauen ist was passiert? Genau! Nix. Bis zur Wahl. Vier Tage danach schickt der Noch-Finanzminiser allen Ernstes ein korrigiertes Budget in die Runde.
Wie viele neue Schulden hat Österreich?
Österreichs Neuverschuldung liegt heuer nicht wie erwartet bei 2,9 Prozent der Wirtschaftsleistung, sondern 3,3 Prozent. Für kommendes Jahr werden schon 4 Prozent Defizit prophezeit. Und diese Prognosen, die passen halt zur Stimmung.
Der Wirtschaft geht’s nicht gut, die Menschen verlieren ihre Jobs, die Betriebe investieren nicht.
Österreich steckt in der Rezession – das heißt, unsere Wirtschaft schrumpft, wir er-wirtschaften weniger als im Vorjahr. Und das tun wir bereits das zweite Jahr in Folge. Wir erleben derzeit gerade die längste Rezession seit 1945.
Die Menschen in Österreich sparen
Was machen die Menschen, wenn sie sehen, dass härtere Zeiten anstehen? Sie werden vorsichtig. Sie legen einen Notgroschen auf die Seite. Versuchen möglichst viel zu sparen – quasi, Vorräte anzulegen. Je mehr sie sparen, desto weniger geben sie aus. Und desto weniger können deshalb andere einnehmen: Dann kaufen der Papa und die Mama das neue Fahrrad für die Tochter eben nicht zum Geburtstag, dieser Umsatz fehlt dem Fahrradhändler. Der kann sich auswärts essen nicht mehr leisten, das fehlt dem Wirten. Der lässt seinen Gastraum nicht renovieren, der Auftrag fehlt dann dem Tischler und so weiter und so weiter und so weiter. In ganz Österreich.
Und dann gilt das bekannte Sprichwort: Geht den Leuten der Reis, dann geht der Wirtschaft der Reis! Die Unternehmen investieren in wirtschaftlich schwierigen Zeiten lieber nicht in die neue Maschine, lassen ihren Schauraum nicht renovieren, bauen die neue Abteilung lieber noch nicht auf. Wenn alle auf die Bremse steigen, dann fährt die gesamte Wirtschaft im Lande das Tempo runter. Und wird langsamer, und langsamer und langsamer.
Was zahlt der Staat Österreich?
Bleibt eigentlich nur noch einer, der in so einer Situation noch Geld auf den Tisch knallen kann. Der Staat natürlich. Die Zauberformel heißt: expansive Budgetpolitik.
Wenn die Wirtschaft schwächelt, dann kann der Staat Geld in die Hand nehmen und selbst investieren.
Er liefert quasi die Starthilfe, damit der Motor wieder in Gang kommt, der von der ganzen Bremserei abgewürgt worden ist. Tut er es nicht, wird es richtig teuer für ihn.
Österreich muss aktiv Geld in die Hand nehmen
Denn solange die Wirtschaft stillsteht – solange machen die Unternehmen weniger Gewinne und zahlen weniger Steuern. Die Betriebe müssen Mitarbeiter:innen entlassen. Dem Staat, der Gemeinschaft also, rinnt auf allen Seiten das Geld davon: Es fehlen die Konzernsteuern, die Lohnsteuern, die Beiträge zur Sozialversicherung. Und wir geben mehr aus für Arbeitslose, Beihilfen und Mindestsicherung. Also ist es für den Staat klüger, aktiv Geld in die Hand zu nehmen, es zu investieren und so auf lange Sicht viel billiger auszusteigen. Und das Beste daran: Das kann man so machen, dass es gleich doppelt hilft, nämlich der Wirtschaft im Allgemeinen und den Leuten direkt:
- Wohnungen bauen? Senkt die Mieten wieder, die gerade explodiert sind.
- Öffis ausbauen? Hilft den Pendler:innen und dem Klima. Mehr Kinderbetreuung? Hilft den Familien und den Firmen, die Leute suchen.
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Muss Österreich wirklich sparen?
Was hingegen nicht hilft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten: Sparen. Zum Beschleunigen auf die Bremse drücken, das hat noch nie funktioniert.
Es ist fast unmöglich, Staatsschulden runterzubringen, während die Wirtschaft abschmiert.
Der Internationale Währungsfonds hat das genau analysiert: Die meisten Länder, die probiert haben, mit Sparpaketen die Wirtschaft wieder anzuwerfen, hatten am Ende gleich hohe oder sogar höhere Staatsschulden als vorher.
Schulden sind nicht automatisch schlecht
Übrigens: Schulden sind eben nicht gleich Schulden. Schulden sind nicht immer automatisch schlecht. Das gilt für die Familie, die mit dem Kredit ihr Einfamilienhaus baut – definitiv keine bösen Schulden. Wenn du sie nicht ausgerechnet variabel verzinst genommen hast. So ein Kredit für die Wohnung, fürs Haus ist jedenfalls viel gescheiter, als jahrzehntelang sparen, sich dann das Haus kaufen und nix mehr davon zu haben. Wenn die Kinder längst ausgezogen sind. Es kommt also immer darauf an, was man mit dem Geld macht, das man sich ausborgt.
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Und für Unternehmen gilt dasselbe: Wenn sie zum Beispiel neue Maschinen anschaffen, um so ihren Umsatz und mittelfristig künftige Gewinne zu steigern. Kein Unternehmer käme auf die Idee, große Investitionen nicht mit einem Kredit zu finanzieren.
Warum muss der Staat Österreich investieren?
Familien tun es, Firmen tun es und der Staat? Sollte es auch tun! Und zwar im Schweinsgalopp. So, wie die Familie ohne Schulden kein schönes Haus hat. So hat der Staat ohne Kredite keine Schulen. Kein Schienennetz. Keine Spitäler. Und trotzdem reden uns manche ein: Schulden sind das unsozialste, was ein Staat tun kann.
Nein. Das ist Blödsinn. Wenn wir heute Schulden machen für Schienen, Schulen und Spitäler, dann haben ja die “künftigen Generationen” auch eine Menge davon. Ganz zu schweigen davon, was diese “künftigen Generationen” davon haben, wenn wir jetzt Geld in die Bekämpfung der Klimakrise stecken.
Ob Familie, Firma oder Staatshaushalt, es gilt die simple Regel: Solange wir mit Krediten Werte schaffen, vererben wir unseren Kindern nicht nur einen Teil der Kredite, sondern auch das gesamte damit erbaute öffentliche Vermögen.
Wenn die Wirtschaft boomt, kann Österreich sparen
So. Und was ist jetzt mit dem Sparen? Das kann der Staat immer noch tun, wenn unsere Investitionen in die Zukunft dafür gesorgt haben, dass die Wirtschaft wieder brummt und dass deshalb die Arbeitslosigkeit sinkt.
Dann kann und muss der Staat sparen. Und zwar ernsthaft. Und ernsthaft heißt in dem Fall: gerecht. Sonst tritt man beim Versuch, die Zahlen in Ordnung zu bringen, erst Recht wieder auf die Bremse. Ernsthaft heißt in dem Fall: auf die Einnahmen schauen und auf die Ausgaben. Oder wie es der Fiskalratchef sagt: Ihr müsst die Einnahmen und die Ausgaben zusammen sehen. Und was sehen wir da? Faktor Arbeit hoch, Vermögen kaum.
Wo sollte Österreich nicht sparen?
Erste Ideen, wo wir den Sparstift ansetzen können, werden ja schon ganz laut diskutiert. Aber in welche Richtung geht das? Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts fordert zum Beispiel schon, dass wir den Klimabonus streichen müssen. Nun kann man natürlich sagen: Den Klimabonus bekommen tatsächlich auch Leute, die ihn wirklich nicht brauchen.
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Aber: Wenn man aus der Vogelperspektive draufschaut und das große Ganze sieht, dann wirkt der Klimabonus eigentlich ganz gut: Er hilft Haushalten mit wenig Geld viel stärker als den reichen Haushalten – weil die Reichen mehr CO2-Entschädigung zahlen als die Armen. Sie haben mehr Autos und fliegen mehr und zahlen deshalb mehr CO2-Entschädigung, als sie über den Klimabonus zurückbekommen. Bei den armen Haushalten ist es umgekehrt. Prädikat: verteilungspolitisch wertvoll. Das sagt auch die Analyse des Fiskalrats.
Und das ist das Erste, was ihnen einfällt? Zum Streichen? Ausgerechnet eine der wenigen Maßnahmen, die unten mehr bringen als oben? Da wird uns doch was besseres einfallen? Oder?
„Deshalb wäre jetzt eigentlich – und zwar sofort – die Zeit, dass man sagt, wenn einmal das Pensionsalter der Frauen an die Männer herangeführt ist, dass man dann über eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters sprechen, das wir dann Richtung 67 Jahre kommen.“
Pensionsantrittsalter erhöhen, wird nichts bringen
Das ist so sinnvoll wie eine neue Gefriertruhe kaufen, wenn du gerade Hunger hast. Wenn wir das gesetzliche Pensionsantrittsalter erhöhen, dann wirkt das am Sankt Nimmerleinstag. Die nächsten zehn, 15 Jahre spart das keinen einzigen Cent.
Schon jetzt schaffen es viele Menschen nicht, bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter im Beruf zu bleiben. Weil die Unternehmen Ältere nicht mehr einstellen. Jede dritte Frau und jeder vierte Mann geht nicht aus einem Job in die Pension. Sondern aus der Arbeitslosigkeit. Oder aus dem Krankenstand, weil sie schon zu krank zum Arbeiten sind.
Kurz vor dem Pensionsantritt ist die Arbeitslosigkeit höher als in allen anderen Altersgruppen. Da gäbe es also viel schlauere, bessere Ideen. Zum Beispiel: Bevor wir den Leuten komplett aussichtslos sagen, dass sie bis 70 arbeiten müssen – schauen wir doch erst einmal, dass sie bis 65 arbeiten können.
Wenn wir das schaffen, wenn wir das faktische Pensionsantrittsalter erhöhen – also so, dass wirklich alle bis 65 Jahre arbeiten können – dann bringt das bis 2035 57 Milliarden Euro aufsummiert an Einsparungen im Budget. Das sagen nicht nur wir, das sagen auch die Zahlen der Alterssicherungskommission.
Andere Idee: Tun wir doch endlich auf der Einnahmenseite das, was längst überfällig ist. Als eines von ganz wenigen Ländern besteuern wir hierzulande Erbschaften nicht. Dabei wissen wir, dass in den kommenden Jahren immer mehr vererbt werden wird. 2050 wird es doppelt so viel sein wie heute. Weil die Babyboomer ins “erb-lassende” Alter kommen. Die reichste Generation, die es je gab – und die kinderärmste: Das Geld sammelt sich in immer größeren Klumpen bei immer weniger Menschen.
Eine Erbschaftssteuer würde 1,8 Milliarden bringen
Je nach Steuermodell könnte eine Steuer auf diese exzessiven Vermögen bis zu 1,8 Milliarden Euro in die Staatskasse spülen. Nicht schlecht, oder? Aber der Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung sagt allen ernstes: Na gut. Dann eine andere Idee. Höhere Steuern auf die Gewinne von Konzernen? Für Corona-Querelen und explodierende Energiepreise haben Unternehmen vom Staat Milliarden bekommen – ganz viel Steuergeld ist da aber an Konzerne gegangen, die eigentlich trotz Krisen fette Gewinne gemacht haben.
Auch deshalb läuft unser Budget aus dem Ruder. Zeit, wieder etwas zurückzugeben an die Gemeinschaft? In Österreich zahlen große Unternehmen auf ihre Gewinne 23 Prozent Steuer – theoretisch, in der Praxis ist es oft sogar noch weniger.
Zum Vergleich: In Deutschland sind es fast 30 Prozent. Andere Nachbarländer erhöhen gerade die Gewinnsteuern, etwa Slowenien und die Slowakei. Und wir in Österreich? Die scheidende Regierung hat die Körperschaftsteuer, also die Steuer, die große Konzerne auf ihre Gewinne zahlen, gerade erst von 25 auf 23 Prozent gesenkt. Allein das kostet uns jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro. Erhöhen wir weiter, etwa auf das Niveau Deutschlands, sind noch einmal knapp 3 Milliarden drinnen. Da würde dann vielleicht sogar der Herr Felbermayr sagen: “Das reicht uns!”