Die 5 großen Dinge, die sich in der Gastronomie ändern müssen
In den meisten Berufssparten gibt es Probleme. Oft arbeiten Menschen unter Bedingungen, mit denen sie nicht zufrieden sind. In der Gastronomie häufen sich diese Probleme allerdings so sehr, dass sie zu einer der unbeliebtesten Branchen, mit einer extrem hohen Austauschrate beim Personal geworden ist.
Laut einer Befragung der Arbeiterkammer zum Arbeitsklima aus dem Jahr 2019 wollen fast 40 Prozent der 161.000 Arbeitnehmer:innen im Kellner- und Gastgewerbe ihren Job wechseln – der höchste Wert unter allen befragten Branchen. Angestellte suchen sich im Schnitt alle zwei Jahre einen neuen Betrieb oder sogar einen ganz anderen Beruf. MOMENT hat mit Betroffenen und Expert:innen aus der Gastronomie über die größten Probleme gesprochen.
#1 Falsches Arbeitsverhältnis
Fast Vollzeit zu arbeiten, aber geringfügig angestellt oder überhaupt nicht angemeldet zu sein, ist eine Geschichte, die Gastro-Personal häufig erzählt. Die Folgen: niedrigere Bezahlung, kein Urlaubsanspruch, oft keine Versicherung. Überstunden werden kaum honoriert. Was passiert später mal mit der Pension? Oder in der Arbeitslosigkeit.
„Dabei handelt es sich um keine Einzelfälle“, bestätigen Andreas Gollner und Berend Tusch von der Gewerkschaft vida. vida vertritt die Interessen der Angestellten von Gastronomie und Tourismus und ist sich diesem Problem bewusst. Aber nur 22.000 Arbeitnehmer:innen aus Gastronomie und Tourismus zusammen sind Mitglied bei der vida. Bevor sich Angestellte rechtlich oder gewerkschaftlich wehren, ist es oft einfacher, den Job zu wechseln.
#2 Ausbleibende Bezahlung
Diese häufen Stellenwechsel und mangelnde Organisation scheinen gleichzeitig ein Ausdruck aber auch Kern des Problems zu sein. Denn wenn Arbeitskräfte lieber die Stelle wechseln, als dass Arbeitgeber:innen etwas im Betrieb verändern, bleiben schlechte Arbeitsbedingungen bestehen. So auch die geringe und oft fehlende Bezahlung.
Wer sich bei der Gewerkschaft meldet, tut dies meist, weil ihm Arbeitsstunden nicht korrekt ausbezahlt oder Urlaub vorenthalten wurde. Betroffene erzählen, dass sie nie offiziell angemeldet wurden, keinen Vertrag bekamen und ihr Gehalt oft nur schwarz ausbezahlt wurde. Auch Trinkgeld wird nicht immer fair verteilt. Manchen wurde es gänzlich vorenthalten.
#3 Sexuelle Belästigung
Das erschreckendste Ergebnis unserer Recherche: Alle kontaktierten Frauen berichten, dass sie im Beruf sexuell belästigt worden sind. Dabei reichen die Vorwürfe von ungewollten Händen am Hintern, Pfiffen und unangenehmen Kommentaren bis hin zu körperlicher Bedrängnis und Vergewaltigungsversuchen. Meistens gingen die Taten von Gästen aus, in manchen Fällen auch von Kollegen und Vorgesetzten. Einigen der männlichen Befragten ist ähnliches in abgeschwächter Form passiert. Fast alle bestätigten, solche Vorfälle beobachtet oder erzählt bekommen zu haben.
Das Problem ist auch den Arbeitsinspektoraten bekannt – hier habe der oder die Vorgesetzte zu handeln und einzuschreiten. Sprachen die Betroffenen Vorfälle an, wurden sie meist von Arbeitgeber:innen und Kollegen:innen unterstützt. In manchen Fällen glaubte man ihnen allerdings nicht oder es wurde ihnen gedroht, wenn sie sich gegen die Täter wehrten.
#4 Drogen und Alkohol
Ein Faktor, der das Problem der sexuellen Übergriffe in der Gastronomie begünstigt, ist der Einfluss von Alkohol. In den meisten Lokalen wird Alkohol ausgeschenkt, das macht den Arbeitsort zu einem speziellen Umfeld. Dies bestätigt auch Klaus-Peter Fritz, der an der FH Wien der WKW zur Gastronomie forscht: „Gäste verlieren Hemmungen, werden laut und wollen zur Sperrstunde nicht gehen.“
Doch auch auf der Seite der Angestellten spielt Alkoholkonsum eine große Rolle: In einigen Lokalen wird Alkoholkonsum während der Arbeit nicht nur geduldet, oft werden Angestellte von Vorgesetzten und Kolleg:innen dazu motiviert oder sogar genötigt. Viele überstehen lange Nachtschichten nur mit aufputschenden Drogen wie Kokain und Speed. Ein bekanntes Problem, das vor allem in Bars, Clubs, Hotels und während langer Cateringeinsätze auftritt.
#5 Körperliche und psychische Belastung
Doch wie lange hält man das durch? Zwar können körperliche Beschwerden kurzzeitig unterdrückt werden, doch nach jahrelanger Arbeit in der Gastronomie treten die typischen Berufskrankheiten auf, wie Bandscheibenvorfälle und Sehnenscheidenentzündungen. Aus einem Bericht der Arbeitsinspektion aus dem Jahr 2011 geht hervor, dass 62 Prozent der Befragten unter Kreuzschmerzen und Rückenproblemen litten.
Noch größer ist aber das Problem der psychischen Belastung. 70 Prozent der Befragten waren gestresst und überlastet. Die Hälfte sprach von stressverursachter Arbeitsunlust und jede und jeder Dritte sogar von Depressivität. Krankenstände und Frühpensionierungen sind im Gastgewerbe besonders hoch.
Was sich ändern müsste
Die Gastronomie ist eine Branche, die selbst weiß, dass sie große Probleme hat. Das Kernthema ist die hohe Fluktuation von Angestellten. Die Gewerkschaft sieht hier die Arbeitgeber:innen in der Pflicht. Sie würden sich nicht genug darum bemühen, ihre Angestellten langfristig zu halten, indem sie gute Arbeitsbedingungen schaffen.
Das Überangebot an Gastro-Jobs mache es Arbeitnehmer:innen nur zu einfach, sich eine neue Stelle zu suchen, wodurch Probleme am Arbeitsplatz an die nächste Person weitergegeben würden. Damit sich etwas in den Betrieben ändert, bräuchte es aber auch Arbeitnehmer:innen, die sich wehren – also zur Arbeiterkammer oder zur Gewerkschaft gehen.