Fünf Probleme und (k)eine Lösung
Arbeitslosigkeit
Seit 1982 ist die Arbeitslosigkeit ein Problem, dass im Durchschnitt über die Jahre immer größer wird. 2019 hatte Österreich über 350.000 Arbeitslose. Davon leiden um die 140.000 schon über ein Jahr unter ihrer Arbeitslosigkeit – eine Verdreifachung in zwölf Jahren. 2020 bietet sich eine einmalige Chance in diesem Bereich. Denn der Staat ist nicht mehr budgetär unter Druck. Aufgrund der niedrigen Zinsen wird sich der Staat rund sechs Milliarden an Zinszahlungen ersparen. Die Schuldendynamik ist bei niedrigen Zinssätzen auch eine ganz andere: Selbst permanente Budgetdefizite führen nicht mehr notwendigerweise zu einem Anstieg der Staatsschuldenquote. Die Situation ist so günstig wie zuletzt in den 1970ern. Da könnte sich die Regierung vornehmen, das Problem Arbeitslosigkeit durch eine beschäftigungswirksame Ausgabenpolitik inklusive öffentlicher Beschäftigungspolitik anzugehen. Im Regierungsprogramm vermerkt ist davon kaum etwas. Die türkis-blauen Kürzungen im Arbeitsmarktbereich dürften zwar aufhören. Von einer Beschäftigungsoffensive ist hingegen nicht die Rede.
Globale Erderhitzung
Für Österreich braucht es einen Green New Deal, wie ihn Alexandria Ocasio-Cortez den AmerikanerInnen vorgeschlagen hat. Die ÖsterreicherInnen müssen weniger fliegen und weniger Autofahren. Dafür dürfen sie mehr Rad fahren, zu Fuß gehen und mehr Strecken mit dem Zug bewältigen. Sie müssen weniger Fleisch essen. Die Industrie muss umweltfreundlicher werden, unsere Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Die Politik muss all das ermöglichen oder in manchen Bereichen gar verordnen. Reicht es aus, was die Regierung vorgelegt hat? Eine genaue Bewertung ist schwierig, weil zu vieles unkonkret bleibt. Gerade wenn man es am selbstgesetzten Ziel misst, bis 2040 CO2-neutral zu werden misst, kann sich das aber wohl nicht ausgehen. Gleich einmal zwei Jahre bis 2022 zu warten, bevor das Herzstück der Ökologisierungsbemühungen mittels eines Preises für CO2 kommen soll, lässt viel Konfliktpotenzial und wenig Tatkraft befürchten. Ein weiter Widerspruch bleibt offen: Woher das Geld für den Umbau der Wirtschaft nehmen, wenn Nulldefizit und Schuldenbremse finanzpolitische Ziele sein soll? Bei der Flugticketabgabe, einer der wenigen Maßnahmen die schon mit Zahlen belegt wurde, ist zwar für innereuropäische Fluge die Abgabe gestiegen, aber wohl nicht so empfindlich, dass es einen wirklich starken Effekt haben wird. Nichtsdestotrotz muss man der Regierung zugestehen, dass zum ersten Mal überhaupt eine ökologische Steuerreform kommen soll – mit schwarz-blau hätte es die sicher nicht gegeben. Dennoch mutet es eher wie ein Programm an, dass ein sehr guter Einstieg in die Ökologisierung um das Jahr 2005 gewesen wäre, nicht aber eines, welches das Feuer am Dach wirklich bis 2040 oder 2050 löschen kann.
Ungleichheit
Neuere Forschung zeigt: Die Ungleichheit ist in Österreich riesig. Einige wenige Reiche besitzen den Großteil des Vermögens, während eine breite Masse kaum etwas besitzt. Die realen Einkommen des „ärmsten“ Viertels der ÖsterreicherInnen sind seit 1995 stark gesunken, die des obersten Viertels stärker gestiegen als jene des „Mittelstandes“. Nicht nur finanziell manifestiert sich diese Ungleichheit. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen armen und den durchschnittlichen Menschen beträgt rund ein Jahrzehnt. An Urlaub ist für viele arme Menschen nicht einmal zu denken, während andere regelmäßig halbmonatliche Wochenendtrips planen. Die Regierung plant in dem Bereich zwar Maßnahmen, um die Kinderarmut zu reduzieren. Die schlimmsten Anschläge auf die Schwächsten der Gesellschaft – wie die Abschaffung der Notstandshilfe oder die Senkung der Mindestsicherung – sind mit der grünen Beteiligung vom Tisch. Verbessern dürfte sich bis auf ein Paket gegen Kinderarmut aber auch sonst nicht viel am unteren Ende der Vermögens- und Einkommensverteilung. Bei den reichsten wiederum tut sich auch nichts. Eine Erbschafts- und Vermögenssteuer werden im Programm nicht einmal erwähnt.
Pflege
Die Gesellschaft wird älter. Das ist kein Grund in Panik zu verfallen. Stattdessen sollten wir uns darüber freuen, dass wir länger leben. Pensions- und Pflegeausgaben werden steigen, weil mehr Menschen versorgt werden müssen. Das ist grundsätzlich kein Problem, weil es finanzierbar und organisierbar ist. Die Republik hat in der Vergangenheit schon weit größere Umbrüche bewältigt. Zum Problem kann das Thema nur dann werden, wenn Denkverbote herrschen: „Keine neuen Steuern, Abgabenquote auf 40%, Nulldefizit, privat ist besser als Staat“ – alle vier so falsch wie sinnlos – stehen einer vernünftigen Pflegefinanzierung und dem notwendigen staatlichen Ausbau von professionellen, aber auch leistbaren Dienstleistungen in der Pflege und Betreuung im Weg. Im Regierungsprogramm fehlt der große Wurf in der Pflege. Klar ist, dass das Problem gelöst werden muss und in der ein oder anderen Form gelöst werden wird. Der politische Druck dafür ist zu groß.
Mieten
Internationale Hauptstädte machen vor, wie es nicht geht. In Paris, einer der teuersten Städte der westlichen Welt, ist das Finden einer leistbaren Wohnung für die meisten Leute praktisch schon unmöglich. In New York ziehen alle jungen (zumeist) Leute permanent um, weil in hippen, aber gerade noch leistbaren Stadtvierteln Immobilien renoviert, aufgewertet, und an reiche Investmentbanker verkauft werden – ohne nennenswerten Mieterschutz mit dementsprechenden Kündigungen und befristeten Mietverträgen. Gentrifizierung nennt sich das in der Fachsprache, wenn eine kaufkräftigere Generation von meist weißen Leuten die alteingesessenen Schwarzen verdrängt. Deren finanzschwächsten Mitglieder landen dann auf der Straße, und die Zahl der Obdachlosen steigt. In Österreich ist es auch dank höherem Mieterschutz und sozialem Wohnbau noch nicht auf breiter Basis so weit, allerdings blasen sich in großen Städten wie Wien oder Salzburg und in wohlhabenden Regionen wie Innsbruck oder Vorarlberg die Immobilienpreise auf, was auch die Mieten mitreißt. Höchste Zeit, dass der Staat hier ordnend eingreift, wie es die Stadt Wien mit einer neuen auf Gemeinnützigkeit ausgerichteten Raumordnung bereits begonnen hat. Neben mehr gemeinnütziger Bautätigkeit (Länder- und Gemeindesache) könnte das dadurch geschehen, dass gemeinnützig errichtete Wohnungen nicht mehr an MieterInnen verkauft werden dürfen, sondern im Eigentum der Genossenschaften verbleiben. Genau das Gegenteil ist mit der Förderung des „Mietkaufes“ aber im Wohnbereich vorgesehen – die „schleichende Privatisierung“ von staatlich gefördertem Wohnbau, der durch Mietkauf in privates Eigentum übergeht. Befristete Mietverträge gehören bis auf wenige Ausnahmen verboten, werden aber im Programm nicht einmal erwähnt. Positiv zu sehen ist, dass das der Wohnungsbau und bestehende Gebäude umweltfreundlicher gemacht werden sollen.
Fazit
Natürlich gibt es noch einige weitere bedeutende Probleme im Land, z.B. die Bildung. Aber bei hier ausgewählten fünf Über-Themen fällt das Fazit anhand des Regierungsprogramms nicht besonders gut aus. Das Arbeitslosenproblem ignoriert die Regierung. Für das Klima gibt es einen guten ersten Schritt, der aber die ambitionierten Ziele wohl nicht erreichen wird. Gegen die Ungleichheit in der Gesellschaft wird nichts bis kaum etwas unternommen. Das Pflegeproblem schiebt die Regierung vor sich her bzw. will eine Lösung, die Angehörige nicht wirklich entlastet. Beim Thema steigende Mieten fällt das Fazit ebenso wenig überzeugend aus, weil bis auf den Umweltbereich an den entscheidenden Hebeln nicht gedreht wird.
Allzu viel sollte man sich von dieser Regierung anhand ihres Programms derzeit nicht erwarten. Man darf sich aber natürlich positiv überraschen lassen. Vielleicht geht doch mehr, als es zunächst scheint, um das Leben der meisten Menschen im Land zu verbessern. „Aus Verantwortung für Österreich“, wie der Titel des Programmes sagt, wäre das nämlich wirklich dringend notwendig.