Hermann Knoflacher will autofreie Städte: „Wir sollten überhaupt keine Straßen mehr bauen“
Der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher möchte Menschen vom Auto unabhängig machen.
Autos raus aus den Städten, und zwar alle! Hermann Knoflacher fordert seit Jahren komplett autofreie Städte. Machbar und möglich sei das leicht. Das Auto sei jedoch tief im Bewusstsein vieler Menschen verankert, ein Leben ohne sei für viele kaum vorstellbar, so der ehemalige Verkehrsplanungs-Professor der TU Wien. Er fährt fallweise selbst Auto.
Im Interview mit MOMENT spricht er über den Unterschied zwischen Stadt und Land und schildert, wie Wien beinahe mit Autobahnen zugepflastert worden wäre. „Inzwischen ist aber der öffentliche Verkehr die DNA der Stadt.“
MOMENT: Sie haben einmal einen mittelschweren Sturm der Entrüstung entfacht, als Sie in einem Spiegel-Interview offenbart haben, dass Sie in Wien absichtlich Staus herbeigeführt haben, um die Menschen vom Autofahren wegzubringen…
Knoflacher: So ganz stimmt das nicht. Ich habe nur gesagt, was wir in Wien seit 40 Jahren machen und das wurde dann etwas anders dargestellt. Sie merken doch, dass wir in Wien den Straßenraum verändert haben. Früher war der von Autos besetzt. Es gab keine getrennten Straßenbahngleise. Jetzt fahren die Straßenbahnen pünktlich, weil das Auto von den Gleisen verlegt wurde. Nachdem der Platz in der Stadt aber nicht mehr wurde, ist völlig klar, dass dem Auto etwas weggenommen wurde. Als wir das erstmals an der Kreuzung Währinger Straße und Nußdorfer Straße mittels einer Schwelle gemacht haben, gab es einen Mordskrieg mit dem ÖAMTC.
MOMENT: Es gibt bis heute immer einen Aufschrei, wenn es darum geht, den Menschen das Autofahren austreiben zu wollen.
Knoflacher: Die Formulierung ist falsch. Der Mensch treibt dem Menschen nicht das Autofahren aus. Ich will den Menschen helfen, nicht mehr abhängig vom Auto zu sein. Das ist ein großer Unterschied. Ein Arzt treibt einem Menschen auch nicht etwas aus, sondern will ihn gesund machen. Mein Ziel ist es, die Stadt gesund zu machen.
MOMENT: Schaut man sich die Straßen in Österreichs Städten an, scheint es dahin noch ein weiter Weg zu sein.
Knoflacher: Das Auto ist in den tiefsten Ebenen des Stammhirns bei den Menschen verankert. Der Mensch sieht die Welt nicht mehr so, wie er sie gesehen hat, bevor es das Auto gab. Er sieht die Welt so, wie es das Auto haben möchte. Sonst würde es draußen nicht so ausschauen. Für jemanden, der sich von der Abhängigkeit des Autos befreit hat, ist es unerträglich, was im öffentlichen Raum passiert – vor allem für Kinder. Die werden in Wien in Käfigen gehalten, wo sie spielen dürfen, und die Autos fahren um sie herum. Das ist völlig absurd, aber verständlich, wenn man bedenkt, wie tief verankert das Auto bei den Menschen ist. Gehandelt wird im Interesse des Autos.
MOMENT: Sie haben in den 60er und 70er Jahren angefangen, verkehrsplanerische Maßnahmen umzusetzen. Das war die Hochzeit der autogerechten Stadt. Seitdem hat sich einiges im Straßenbild geändert. Ist das Auto möglicherweise inzwischen weniger im Gehirn der Menschen verankert, wie sie sagen?
Knoflacher: Die DNA der Stadt Wien ist die des öffentlichen Verkehrs. Aber das hätte auch ganz anders kommen konnten: Im Jahr 1974 hätten die Ringstraßenbahnen abgebaut werden sollen. Es wurde beschlossen, dass überall wo eine U-Bahn gebaut wurde, die Straßenbahnen einzustellen. Das konnten wir verhindern. Wir haben gezeigt, dass das ein massiver Fehler wäre und die Stadt hat das zum Glück akzeptiert. Geplant war auch, eine Autobahn am Gürtel zu bauen und den Donaukanal entlang. Es gab eine Bürgerinitiative dagegen und Bürgermeister Felix Slavik hat das Projekt dann abgesagt.
MOMENT: In Wien gibt es auch heute viel Streit um große Verkehrsprojekte, wie zum Beispiel den Lobautunnel. Den haben Sie als schädlich für Wien und nicht mehr zeitgemäß bezeichnet. Was ist denn das Problem mit dem Tunnel?
Knoflacher: Er wäre ein massiver Rückschlag für Wien. Wir kennen die Verkehrssysteme inzwischen so gut, dass wir präzise abbilden und berechnen können, wie sich Verkehrsströme entwickeln. Wien hätte nichts vom Lobautunnel. Die Stadt könnte seine Umweltziele nicht mehr erfüllen, weil die CO2-Emissionen angefacht würden. Sie müsste mehr Flächen für den Autoverkehr zur Verfügung stellen. Und: Die mittlere Weglänge von Autofahrten in Wien ist nicht mehr als 6 Kilometer. Der Tunnel allein ist aber schon 9 Kilometer lang. Der trägt also nur zur weiteren Zersiedelung bei.
MOMENT: Aber der Tunnel soll die Stadt entlasten: Derzeit stauen sich PendlerInnen gemeinsam mit den Transit-Lkw auf der Tangente. Die könnten dann um die Stadt herumfahren.
Knoflacher: Da staut sich überhaupt nichts – es wird Stau erzeugt. Stau wird durch Angebote erzeugt. Mit dem Tunnel wird der Verkehr nicht entlastet, im Gegenteil: Es wird einfach noch mehr davon erzeugt.
MOMENT: Ein weiterer Zankapfel in Wien ist die Citymaut. Andere Städte haben diese schon eingeführt. Ist es richtig Geld zu verlangen, wenn jemand in die Stadt fahren möchte?
Knoflacher: Die Citymaut ist stark emotional aufgeladen. Der Tenor lautet: Man ist gegen die Autofahrer, also führt man eine Citymaut ein. Und man muss auch aufpassen, aus mehreren Gründen: Die Citymaut ist ungerecht, weil sie soziale Verwerfungen erzeugt. Die Reichen können sich die leisten, denen ist das egal. Das kenne ich aus London. Der Vizebürgermeister dort hat mir erzählt, dass er sich zwar furchtbar ärgert, wenn seine Frau mit dem Auto in die City fährt und dort am Tag 50 Euro verparkt und für die Maut zahlt. Aber es scheint beide offensichtlich nicht zu stören. Eine Citymaut hat auch eine mögliche weitere negative Folge, wenn die Geschäfte dann weiter nach außen verlegt werden. In Wien gibt es dafür gebührenpflichtiges Parken. Das wirkt auch.
MOMENT: Parken in Wien kostet aber nur 2,20 Euro pro Stunde. Das ist lächerlich billig im Vergleich mit anderen Städten. In New York sind es umgerechnet 35 Euro. Das müsste doch viel mehr sein?
Knoflacher: Das ist nicht der Marktpreis, gar keine Frage. Ich habe schon immer gesagt, dass zumindest der Marktpreis verlangt werden sollte. Und der sollte ungefähr bei 4 Euro liegen. Aber mich interessiert eigentlich nicht, was marktgerecht ist, sondern was wirkt. Wenn ich Geld als Therapie verwende, muss ich schauen, wie ich die Dosis erhöhen muss, um das Ziel zu erreichen. Das Ziel ist, die Leute dazu zu bringen, in öffentliche Verkehrsmittel zu steigen. Das geht in Wien relativ leicht, weil wir die Jahreskarte haben. Würden wir dazu auch noch im 21. und 22. Bezirk Parkgebühren verlangen, wäre der Stau auf der Südosttangente größtenteils vorbei. Dann können sie sich die Maut an den Hut stecken. Die braucht es dann mitsamt den negativen Folgen nicht.
MOMENT: Die Warnung davor lautet immer gleich: Wer den Autoverkehr in der Stadt beschneiden möchte, schadet der Wirtschaft.
Knoflacher: Es ist genau das Gegenteil. Das Auto hat höhere Geschwindigkeiten und legt demnach zwangsläufig große Entfernungen zurück. Zu Supermärkten außerhalb der Stadt gehen die Leute nicht zu Fuß oder fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin, sondern mit dem Auto. Das Geld kommt also aus der Stadt, und dort fehlt es dann. Ich kann mich noch an die Schlachten Ende der 60er Jahre erinnern, als die Geschäftsleute in Wien und Innsbruck massiv aufgestanden sind gegen Fußgängerzonen. Staut sich heute etwas auf der Kärntner Straße? Nein, es stauen sich die Fußgänger, mit unzähligen Brieftaschen.
MOMENT: Ihre oft als radikal bezeichneten Pläne sehen vor, das Auto aus der Stadt zu verbannen. Für viele ist das praktisch denkunmöglich. Wie soll das funktionieren?
Knoflacher: Als ich 1959 nach Wien kam, war es genauso denkunmöglich, dass Kinder auf den Gassen nicht Fußball spielen können, weil sie von Autos zugestellt sind. Im Winter war es normal, dass in abschüssigen Straßen wie der Berggasse gerodelt wird. Wir haben mindestens 10.000 Jahre Erfahrung mit Städten ohne Autos. Erst seit 50 Jahren sind unsere Städte voll mit Autos und die Menschen denken, das sei normal. Aber Autofahrer können auf den öffentlichen Verkehr ausweichen. Sie haben in Wien Möglichkeiten, wie in keiner anderen Stadt, die ich kenne – und ich kenne sehr viele. Schon jetzt ist hier relativ wenig Verkehr. Aber es ist noch immer zu viel, 90 Prozent davon könnte man wegnehmen. Dann bleiben Lieferverkehr, Behindertenfahrten, Handwerker und öffentlicher Verkehr.
Man sollte nicht das Auto oder den Autofahrer an sich angreifen. Man sollte Strukturen schaffen, die es den Menschen erleichtern, ohne Auto ihr Leben zu fristen.
MOMENT: Trotz der Klimaschädlichkeit und des Platzverbrauchs fahren immer mehr SUV durch die Stadt. Da sitzt dann meistens nur eine Person drin. Rationell oder praktisch ist das eigentlich nicht. Dennoch haben Menschen offensichtlich den Wunsch, derartige Autos zu fahren. Wie lässt sich das erklären?
Knoflacher: Es ist erstens ein Statussymbol. Zweitens ist es eine – eingebildete – Frage der Sicherheit. Drittens sieht man über alle anderen drüber, aber nur, bis alle anderen auch so weit oben sitzen. Das wesentlichste ist auch: man fühlt sich noch stärker. Es ist ein Rüstungswettlauf, der vom Auto im Stammhirn gesteuert wird. Das ist logisch, ich bin nicht verwundert diesbezüglich. Es ist absurd, wie viel Geld die Leute in solche Blödheiten stecken.
MOMENT: Das würden aber nur wenige Leute zugeben. Sie würden argumentieren, dass sie dieses Auto fahren müssen, weil sie es brauchen.
Knoflacher: Natürlich! Denn das Auto beherrscht das Denken total. Ein normaler Mensch würde nie den Lebensraum seiner Kinder so zerstören, wie es die Gesellschaft der Autofahrer macht. Und zusätzlich habe ich noch das Vergnügen des Autos. Solange das von außen respektiert wird, geht das. Ich bekomme eine positive Rückkopplung und die wirkt exponentiell.
MOMENT: Bewundert werden SUV-FahrerInnen aber schon lange nicht mehr. Für viele sind sie doch der Buhmann der Straße.
Knoflacher: Das ist ein Scheingefecht. Man greift einen SUV-Fahrer an, um sein eigenes kleines Auto zu verteidigen. Jedes private Auto ist ein Problem. Aber man sollte nicht das Auto oder den Autofahrer an sich angreifen. Man sollte Strukturen schaffen, die es den Menschen erleichtern, ohne Auto ihr Leben zu fristen.
MOMENT: Gerade in Wien könnten viele mit den Öffis viel schneller am Ziel sein und nehmen trotzdem das Auto. Warum?
Knoflacher: Weil es so leicht geht. An der TU Wien ist es uns gelungen, die Höfe frei von geparkten Autos zu machen. Und siehe da: Die Leute kommen mit dem öffentlichen Verkehr. Sie müssen die Parkplätze wegnehmen, dann ändert sich das Verhalten. So einfach ist das.
MOMENT: Aber das Gegenteil passiert: Heute hat praktisch jedes neugebaute Haus in Wien eine Parkgarage.
Knoflacher: Das hat eine Historie, die bis zur NS-Zeit zurückgeht. Als Hitler an der Macht war, gab es die sogenannten Reichsgaragen-Verordnung. In abgeminderter Form ist die in Wien noch immer gültig. Diese schreibt vor, dass zu jeder Wohnung und zu jeder Werkstätte mindestens ein Parkplatz errichtet werden muss. Genau das wird in der Bauordnung verlangt. Das ist das Problem. Das schlägt dann bei den Mieten durch. Die werden teurer. Aber in Wirklichkeit brauchen die Leute ja heute keine Autowohnungen mehr. Es stehen 10.000 Parkplätze leer.
MOMENT: Das Verkehrsministerium hat errechnet, dass Haushalte rund 14 Prozent ihres Budgets für das Auto ausgeben und 1,1 Prozent für den öffentlichen Verkehr. Daneben gibt es Rechnungen, dass wer vom Neusiedler See nach Wien pendelt, monatlich das 7-fache bezahlt, wenn er mit dem Auto fährt anstatt öffentlich. Der Kostendruck beim Autofahren ist also eigentlich schon jetzt enorm hoch.
Knoflacher: Ja, aber er wirkt nicht und wird nicht wirken. Ich kenne das seit Jahrzehnten. Zum Beispiel haben Israel oder Dänemark sehr hohe Kaufpreise bei den Autos und bei Treibstoffen. Das wirkt nicht. Sie können nicht so viel Geld aufwenden, um die Vorteile kompensieren zu können, die das Auto für die Autofahrer immer noch hat. Das ist eine physische Bindung. Das Auto ist wie ein Virus. Das heißt: Es lässt den Menschen arbeiten, damit er das Auto kauft, die Umwelt damit schon bei der Herstellung zerstört und später beim Fahren. Das wird alles akzeptiert. Die Menschen bekommen das nicht mit. Sie denken, sie wären die Meister des Autos, dabei ist das Auto der Meister der Menschen. Wenn sie im Auto sitzen, dann denken sie nicht mehr an ihr Umfeld. Sie denken an den nächsten Parkplatz. Sie werden vom Auto manipuliert.
MOMENT: Ich auch! Wenn ich ab und an Auto fahre, gilt die Sorge schnell der Suche nach einem Parkplatz.
Knoflacher: Ja, auch ich kenne das. Ich habe zwar kein Auto seit mehr als 20 Jahren, fahre aber fallweise auch.
MOMENT: Bei Verkehrsplanung reden wir oft nur über die Stadt. Aber was ist mit dem Land? Dort ist das Auto doch praktisch eine Lebensnotwendigkeit?
Knoflacher: Ja, aber diese Notwendigkeit wurde künstlich erzeugt. Man hat es zur Lebensnotwendigkeit gemacht. Die haben nichts in der Nähe zum Einkaufen, keine Arbeitsplätze. Das wurde zerstört oder ist jetzt woanders. Die Leute sind viel abhängiger vom Auto als in der Stadt. Das ist aber kein Naturgesetz.
Viele meiner Aussagen sind heute so populär, dass sie üblich sind. Jetzt sage ich: Wir sollten überhaupt keine Straßen mehr bauen.
MOMENT: Kann man das wieder rückgängig machen?
Knoflacher: Natürlich, mit autofreien Ortschaften. Die Autos stehen vor dem Ort und im Ort selbst sind Sie zu Fuß unterwegs. Ich war vor kurzem in einer Gemeinde mit drei Ortschaften und habe diesen Vorschlag gemacht. Der Bürgermeister hat dann sofort kalte Füße bekommen.
MOMENT: Weil so etwas nicht populär ist?
Knoflacher: Schauen Sie: Bei allen Maßnahmen, die wir in Wien gesetzt haben, wurde gesagt, sie seien nicht machbar und nicht durchsetzbar. In Wien werde es nie einen Radverkehr geben und es sei reine Illusion, den Autos Platz wegzunehmen. Aber viele meiner Aussagen sind heute so populär, dass sie üblich sind. Jetzt sage ich: Wir sollten überhaupt keine Straßen mehr bauen. Wenn man Geld ausgibt, dann dafür, die Straßen zurück zu bauen. Die fressen nur das Budget auf.
MOMENT: Das klingt aber nicht machbar. Heute schießt der Bund jährlich 4 Milliarden in die Verkehrsinfrastruktur zu.
Knoflacher: Klar ist das machbar. Gehen sie vor Ihre Haustür. Wir bauen überall zurück.
MOMENT: Ja, in Wien. Am Land werden weiterhin Autobahnen und Umgehungsstraßen gebaut.
Knoflacher: Das kommt schon noch! Wir haben einen Zeitverzug zwischen Stadt und Land.
MOMENT: Wie groß ist dieser Zeitverzug?
Knoflacher: Das hängt immer von den Leuten ab, die dabei sind. Meine schnellste Fußgängerzone habe ich innerhalb von 6 Monaten geplant und ausgeführt. Das war in Südtirol. Meine langsamste Fußgängerzone ist in einer Gemeinde in Oberösterreich. Die wurde vor 40 Jahren geplant und bis heute nicht gebaut. In der Zwischenzeit wurden Millionen für Planungsarbeiten ausgegeben, in der Hoffnung, eine Lösung zu finden. Heute sind sie bei meiner alten Fußgängerzone gelandet. Man braucht eine Verwaltung, die fachlich qualifiziert ist und PolitikerInnen mit Mumm in den Knochen. Sonst nützt das leider alles nichts.